Lockdown im Handel
Händler werfen der Politik Versagen vor - "Uns geht langsam die Luft aus"
Heute, Dienstag, 23.02.2021 hat das bayerische Kabinett entschieden, dass Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Blumenläden und Baumärkte ab 1. März wieder öffnen dürfen, unter den Hygienevorgaben, die die für die bereits jetzt ausnahmsweise geöffneten Handels- und Dienstleistungsbetriebe gelten. Die Hoffnung des restlichen Einzelhandels richtet sich also weiterhin auf den 7. März, an dem der Lockdown enden soll. Denn die Situation des Handels ist - trotz staatlicher Hilfen - dramatisch.
"Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht"
Der Handelsverband Deutschland (HDE) spricht von einem Versagen der Politik. „Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und bleibt in dieser für uns alle dramatischen Situation den vor Wochen versprochenen Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown schuldig“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth in einer Pressemitteilung. Nach einer aktuellen HDE-Umfrage unter 1000 Unternehmen sieht sich mehr als jeder zweite vom Lockdown betroffene Händler ohne weitere staatliche Hilfen in Existenzgefahr. Wie ist die Situation im Landkreis Miltenberg?
„Händler im Landkreis befürchten, dass die Lichter für immer ausgehen.“
Hubert Eckert, Kreisvorsitzender (Miltenberg) des Bayerischen Handelsverbands:
„Hier macht unsere Region keine Ausnahme. Wenn die Hilfen nicht zügig, unkompliziert und ausreichend kommen, ist ein solches Szenario nicht ausgeschlossen. Vielen Unternehmen geht nach einem Jahr der Einschränkungen und Lockdowns die Liquidität und die Luft aus. Einnahmen fehlen weiterhin, Kreditlinien sind ausgereizt und die Rücklagen längst aufgebraucht. Zu alledem schieben Händler von saisonabhängigen Sortimenten wie beispielsweise Textilien, Schuhen, Sportartikel u. Ä. mittlerweile ein immenses Warenlager vor sich her, das sie bezahlt haben, aber nicht verkaufen konnten und das jeden Tag an Wert verliert. Viele dieser Händler befürchten, dass ohne zeitnahe Korrekturen bei ihnen die Lichter für immer ausgehen. Frust und Verzweiflung sind in einer Branche, die in den vergangenen Monaten stets ein verlässlicher Partner in der Pandemiebekämpfung war, groß wie nie.“
Auch die Zuteilung der Hilfen für die hiesigen Händler sieht Hubert Eckert kritisch:
„Die mehrfach vom Finanzministerium angekündigten Milliardenhilfen gingen am Handel vorbei, was momentan zu einer Existenzgefährdung vieler Unternehmen führt. Die Soforthilfe ganz zu Beginn der Pandemie vor etwa einem Jahr haben über die ersten Wochen hinweggeholfen; danach blieben die Geschäfte, die von der Schließung betroffen sind, auf ihren Waren und den Verlusten sitzen. Anders als landläufig angenommen, gab es keine November- und Dezemberhilfen für den Handel. Bei den Überbrückungshilfen kamen aufgrund der hohen Hürden lediglich rund sechs Prozent aller Anträge aus dem Handel. Fehlende Umsätze, weiterlaufende Kosten und ausbleibende Hilfen kann kein Betrieb auf Dauer auffangen. Bis jetzt wurde hier eine ganze Branche im Stich gelassen. Davon betroffen sind alle Geschäfte mit Ausnahme der sog. systemrelevanten Bereiche wie Lebensmittel, Drogerien usw. Die ersehnte kommende Phase der Überbrückungshilfen macht zumindest ein wenig Hoffnung: Ein Teil des Warenverlusts soll als Fixkosten angesetzt werden können. Ich hoffe sehr, dass dies für die Händler nicht zu spät kommt.“
Auch Claudia Müller-Bartels, Vorsitzende des MainBogen e. V. und 1. Vorständin des Vereins für Handel & Gewerbe Erlenbach e. V. bestätigt, dass die Stimmung unter den regionalen Einzelhändlern, besonders in der Modebranche, schlecht ist. Zur Kritik an der Politik sagt sie:
„Wir haben eine Ausnahmesituation, für die es kein Patentrezept gibt, so etwas hatten wir noch nie. Ich kann nicht vom Staat erwarten, dass er all das ersetzt, was an Umsatz fehlt. Aber, so wie ich das draußen höre, klappt es mit den versprochenen Zahlungen nur schleppend, auch ist das Antragsverfahren sehr aufwendig, was natürlich auch der Tatsache geschuldet ist, dass man dadurch dem Missbrauch einen Riegel vorschieben will.“
Sie sieht ebenfalls die Textil- und Schuhbranche besonders hart getroffen:
„Die Frühjahrsware 2021 wurde bereits im Juli des letzten Jahres geordert. Im ersten Lockdown blieb bereits die Frühjahrsware 2020 sitzen, im Sommer waren die Käufer verunsichert und zurückhaltend, das Weihnachtsgeschäft fiel ebenfalls aus und jetzt ist die Frühjahrsware 2021 vorrätig, kann nicht verkauft, muss aber bezahlt werden. Zwar wird alles versucht, um wenigstens einen Teil der Ware durch Click & Collect an die Kunden zu bringen, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal die Menschen zurzeit anscheinend weniger brauchen und sich beim Einkauf zurückhalten.“
Der Lockdown ist nicht mehr nachvollziehbar: Sicherer Einkauf ist machbar
Christof und Carina Breunig führen das Modehaus Breunig in Klingenberg.
„Die Situation belastet uns mental und finanziell sehr. Kein Verkauf, keine Einnahmen und kein Ende in Sicht. Neue Kollektionen treffen ein und müssen bezahlt werden. Unser Abholservice reicht nicht zum Überleben. Deshalb haben wir begonnen, einen Online-Shop aufzubauen, um für unsere Kunden präsent zu sein und zu signalisieren, uns gibt es noch! Wir wissen, gegen die großen Anbieter wie Amazon und Co. kommen wir nicht an. Der Grundgedanke ist, auch beim Online-Kauf den regionalen Handel zu unterstützen. Für uns ist es nicht nachvollziehbar, warum sich Menschenmassen bei den Discountern tummeln dürfen und wir, die strenge Hygienekonzepte umsetzen, geschlossen bleiben müssen. Warum dürfen wir nicht mit Eingangsbeschränkungen, Terminabsprachen und den bereits getroffenen Hygienekonzepten, die den Kunden schützen, wieder öffnen? Sicher einkaufen, das ist im Einzelhandel doch besser möglich als bei Lidl, Aldi und Co. Von einem Lockdown zum nächsten ist keine Perspektive für den Einzelhandel.“
Marion Deumer ist Schriftführerin des Vereins MCity Gewerbe und Tourismus Miltenberg e.V. und Geschäftsführer/Gesellschafterin des Miltenberger Modegeschäftes Steinwinter fashion. Sie schildert die Situation wie folgt:
„Unsere Stimmung gestaltet sich so: Wir werden auf keinen Fall aufgeben und werden weiterhin durchhalten und die nötige Ausdauer erweisen. Unsere Devise heißt ,Gib alles, nur nicht auf!‘, also weitermachen und aktiv sein und da spreche ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen in Miltenberg.
Wir hoffen alle darauf, dass der Lockdown im März beendet wird und wir zu Ostern für unsere Kunden, die wir sehr vermissen, da sein können. Das Ostergeschäft wird auch dringend gebraucht, da wir schon auf unser Weihnachtsgeschäft verzichten mussten. Die Möglichkeit für Click & Collect spielt selbstverständlich eine große Rolle, wenn es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Telefonische Bestellungen und auch Bestellungen über unseren Onlineshop nehmen wir sowieso schon immer an und unsere Kunden haben dieses Angebot auch genutzt. Die bestellten Waren haben wir dann in der näheren Umgebung entweder persönlich den Kunden angeliefert oder auch versendet. Auch unsere Händler-Kollegen setzen das Angebot von Click & Collect um, und alle Kunden, die es ihrerseits nutzen können, sind unheimlich dankbar dafür.
Dass die Kunden die Bestellungen bei uns abholen dürfen, ist sehr wichtig, das hätten wir aber vom Anfang des Lockdowns an im Dezember und vor allem zum Weihnachtsgeschäft dringend benötigt. Warum das nicht erlaubt war, können wir leider nicht nachvollziehen. Als Perspektive wünschen wir uns einen realisierbaren Fahrplan, denn die Maßnahmen im Einzelhandel und für viele andere Branchen empfinden wir leider schon lange nicht mehr verhältnismäßig. Sie sind für uns schwer nachvollziehbar. Wie schon gesagt, wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir im März wieder öffnen dürfen, nur leider glauben wir daran nicht wirklich und stellen uns schon mental auf einen späteren Termin ein.“
Vieles wurde versucht, um Umsatz zu retten
Hubert Eckert:
„Der Handel hat stets mit allen zulässigen und kreativen Möglichkeiten versucht, weiterhin für seine Kunden da zu sein, beispielsweise mit Videochats und der Auslieferung ihrer Waren. Auch Click & Collect ist gut und sinnvoll, um die Menschen vor Ort mit einem zusätzlichen Angebot bedienen zu können. Diese Option hätte unter den jetzt bestehenden Auflagen durchaus auch schon im November erlaubt werden müssen. Nichtsdestotrotz wurde dies von der Kundschaft gut angenommen, wofür der Handel wirklich sehr dankbar ist. Allerdings gleichen die so erzielten Umsätze eine normale Öffnung natürlich nicht aus und reichen bei Weitem nicht an die erforderlichen Größen heran. Vielmehr versuchen die Unternehmen derzeit wenigstens kostendeckend zu arbeiten.“
Welche Öffnungsstrategie braucht der Handel jetzt?
Hubert Eckert:
„Der Handel braucht eine bestmögliche und insbesondere verlässliche Perspektive und endlich die versprochenen Hilfen. Eine sichere und faire Öffnungsstrategie ist derzeit immer noch nicht in Sicht. Mit Blick auf die Erlaubnis zur anstehenden Öffnung für körpernahe Dienstleistungen können die Händler natürlich nicht nachvollziehen, dass ihre Geschäfte länger geschlossen bleiben müssen. Dies erscheint regelrecht widersinnig und absurd – vor allem vor dem Hintergrund, dass die geöffneten Geschäfte wie der Lebensmitteleinzelhandel täglich unter Beweis stellen, dass Einkaufen durch die ausgefeilten und funktionierenden Hygienekonzepte durchaus sicher ist. Dies hat der Handelsverband in einem Gutachten nachgewiesen. Selbst die Berufsgenossenschaft hat ihre Ergebnisse veröffentlicht, wonach es bei der Arbeit im Einzelhandel nicht zu einer erhöhten Infektionsgefährdung kommt. In Folge haben gerade die jüngsten Beschlüsse das Vertrauen der Händler in die politischen Entscheidungsträger zusätzlich belastet.“
Sicherer Einkauf ist mit Maske und Abstand machbar
Eine Geschäftsfrau aus Miltenberg:
„Ich habe Hilfen beantragt, diese sind aber noch nicht bei mir angekommen, ich hoffe natürlich, dass das bald geschieht. Natürlich versucht man mit dem Click & Collect noch etwas Umsatz zu machen, man ist stundenweise im Geschäft, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es sind kaum Menschen unterwegs, wenn ich Bekannte oder Kunden sehe, gehe ich auch schon mal vor die Tür, um sie zu begrüßen. Es ist alles wirklich sehr bedrückend. Ich hoffe, dass wir ab dem 8. März wieder öffnen dürfen, rechne aber nicht gleich mit einem großen Kundenansturm. Die Menschen werden zunächst zurückhaltend sein. Wichtig wäre, dass auch die Gastronomie wieder öffnen darf, damit die Innenstädte belebt sind und die Menschen einen Grund haben, zu kommen. Ich selbst fürchte mich nicht vor einer Ansteckung durch Kunden, wir haben unser Hygienekonzept, wenn jeder seine Maske trägt, Abstand hält und man die Zahl der Personen im Geschäft beschränkt, kann meines Erachtens nichts passieren, genauso wie im Lebensmittelhandel.“
Gute Beratung ist gefragt
Claudia Müller-Bartels hilft seit dem 1. Lockdown in 2020 gemeinsam mit Carolin Straub aus Wörth der mittelständischen Wirtschaft bei Anträgen und Anfragen. Initiator sind MainBogen und die Gewerbevereine, denen beide angehören.
„Am Anfang waren es einzelne Anfragen, z. B. zu den Anträgen für die staatliche Hilfe. Mittlerweile beraten wir zu vielen Themen wie die Stundung von Kreditraten, Verhandlungen mit den Vermietern, Gesprächen mit Leasingfirmen und vieles mehr. Gewerbetreibende, die private Rücklagen haben oder hatten, stehen noch etwas besser da als andere, aber die Liquiditätsprobleme betreffen mittlerweile fast jeden.“
Autor:Sabine Rindsfüsser aus Miltenberg |
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