Kein Kitsch, Klischee und Kommerz:
Weihnachten mal anders

Das „Weihnachtsfest, wie es einmal war“, der Kirchgang als Höhepunkt oder die Freude auf das kleine Geschenk sind idealisierende, oft verklärende Kindheits- und Jugend-Erinnerungen. Sie entlarven, was es heute nicht mehr gibt, was nicht mehr gilt und legen die Unfähigkeit bloß, das Fest sinnvoll zu gestalten und wirklich tief zu erleben.
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  • Das „Weihnachtsfest, wie es einmal war“, der Kirchgang als Höhepunkt oder die Freude auf das kleine Geschenk sind idealisierende, oft verklärende Kindheits- und Jugend-Erinnerungen. Sie entlarven, was es heute nicht mehr gibt, was nicht mehr gilt und legen die Unfähigkeit bloß, das Fest sinnvoll zu gestalten und wirklich tief zu erleben.
  • hochgeladen von Roland Schönmüller

Der Fernseher ist aus. Die Geschenke warten verpackt unter dem geschmückten Christbaum. Das Weihnachtessen und der nächtliche Kirchenbesuch folgen nach der gegenseitigen Bescherung.

Aber zuvor heißt es - wie „alle Jahre wieder“: „Papa - such’ noch schnell eine schöne Weihnachtsgeschichte für uns aus!“.

Das ist in vielen Familien gar nicht so leicht. Aus quirligen Kleinkindern sind in den letzten zwei Jahrzehnten aufgeschlossene Kinder geworden, die sich zu kritischen Teenagern und selbstbewussten, jungen Erwachsenen entwickelten.

Abgesehen von der zeitlosen, biblischen Weihnachtsgeschichte sind rührselige Wintermärchen, -legenden und -geschichten jetzt als Heiligabend-Programmpunkt passé.

Gefragt ist eine unverbrauchte, neue, stimmungsvolle Kurzgeschichte. Sie darf gern nachdenklich stimmen und gedanklich herausfordernd sein.

  • Der Vorlesetext soll nicht zu traurig und bevorzugt humorvoll wirken, schon gar nicht oberflächlich und seicht sein - wenn’s geht mit Identifikationselementen, wo der eine oder andere hinterher nickt und sagt: „Stimmt! Das passt zu Weihnachten und zur Winterszeit und ist jenseits von Kitsch, Klischee und Kommerz!“

„Wer such(e)t, der findet“- so heißt eine biblische Redensart im Neuen Testament beim Evangelisten Matthäus.

Aber gibt es für den obigen Adressatenkreis einen passenden Weihnachtstext?

Ernüchternd
entwickelt sich meine Suche und immer wieder enttäuschend präsentiert sich der Befund.



Sieben Grundtypen literarischer Weihnachtsgestaltungen bieten sich an:

  • Geschichten und Erzählungen rangen sich um Schneeflocken, Schlitten, Geschenkpakete, Glockentöne, Rentiere, den Weihnachtsmann und weitere winterliche, amerikanisierte Accessoires. Hier wird Weihnachten der christlichen Sinngebung entkleidet.
  • Das „Weihnachtsfest, wie es einmal war“, der Kirchgang als Höhepunkt oder die Freude auf das kleine Geschenk sind idealisierende, oft verklärende Kindheits- und Jugend-Erinnerungen. Sie entlarven, was es heute nicht mehr gibt, was nicht mehr gilt und legen die Unfähigkeit bloß, das Fest sinnvoll zu gestalten und wirklich tief zu erleben.
  • Dann gibt es Erzählungen, die in die biblische Zeit um Christi Geburt zurückführen und Szenen der Kindheits-Evangelien historisierend oder psychologisierend ausschmücken. Diese neue Ausdeutung der neutestamentlichen Geburtslegenden kommt nicht bei jedem Leser oder Zuhörer an.
  • Bekannt sind in der älteren Literatur auch moralisierende Bekehrungs- und symbolische Rettungsgeschichten, die an das Weihnachtsgeschehen gekoppelt sind: aus hartnäckigen Zeitgenossen werden Nächstenliebe praktizierende Menschen oder eine in einer Notsituation befindliche Person erfährt Rettung. Mit im Spiel sind dabei das in die heutige Zeit versetzte Jesuskind oder Gestalten der biblischen Geburtsgeschichten. Solche wunderbaren Verwandlungen wirken eher harmlos und schürfen nur an der Oberfläche der eigentlichen Weihnachtsbotschaft.
  • Dann gibt es noch meditative und spirituelle Texte mit heutigen Gedanken zu Weihnachten: Als Reflexionen und Assoziationen bleiben sie meist binnenchristliche, zu fromme Selbstbesinnungs-Versuche.
  • Eher das Gegenteil sind kritische Text-Typen. In ihnen wird der Sinn von Weihnachten angezweifelt, auch satirisch als unglaubwürdig entlarvt: so bei Heinrich Bölls Geschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“, in Friedrich Dürrenmatts kurzer Erzählung „Pilatus“ oder in Gedichten von Kurt Tucholsky oder Erich Kästner. Sie kritisieren eine bestimmte bürgerliche Art des Weihnachtsfestes.
  • Schließlich gibt es noch bekannte, sozialkritisch-politische Texte mit hohem literarischem Stellenwert, beispielsweise Wolfgang Borcherts „Die drei dunklen Könige“, Peter Huchels „Dezember 1942“, Wolfdrietrich Schnurres „Anbetung“ oder die „Dezembernacht“ von Marie Luise Kaschnitz. Es sind allesamt Klassiker einer Tradition, wo die biblische Weihnachtsgeschichte und kirchliche Heilsdeutung mit der harten Wirklichkeit von Weltkriegsszenarien und der Gegenwart konfrontiert wird, aber durch ständige Wiederholung seine Provokations- und Anregungskraft verliert.

Gibt es nun Texte, Erzählungen und Gedichte, die tatsächlich zum Kern des Weihnachtsfestes hinführen?

Kurt Martis “weihnacht“ (1963), Erich Frieds „Weihnachtslied“ aus dem Jahr 1947 oder Siljas Walters „ Abwesenheit ist dein Wesen“ (1985) sind zum Beispiel lesenswerte, deutungsoffene und kurze Weihnachtstexte, die in expressiven Sprachbildern und Symbolen dem wahren Geheimnis des Festes auf der Spur sind. Sie suchen Raum im Zuhörenden und Lesenden.

Bei diesen drei Vorschlägen ist die Rede von der christlichen Geburt mit einem neuen Gottesbild (Kurt Marti), von einem Kind, das den Rhythmus von Durcheinander und Gewalt durchbricht (Erich Fried) oder von der gegenwärtigen Abwesenheit einer geliebten Person, die dennoch fassbar und situativ ertragbar wird.

Roland Schönmüller

Autor:

Roland Schönmüller aus Miltenberg

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