Bundesweiter Apotheken-Protesttag am 14. Juni
„Wir müssen wieder sichtbar werden“ – Öffentlichkeit soll auf jahrelange Missstände aufmerksam gemacht werden.

Auch im Landkreis Miltenberg beteiligen sich die Apotheken am bundesweiten Protest.  | Foto: Thomas Grittmann
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  • Auch im Landkreis Miltenberg beteiligen sich die Apotheken am bundesweiten Protest.
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Rot plakatierte Schaufenster sprechen eine deutliche Sprache: Heute bleiben deutschlandweit viele Apotheken geschlossen. Auch im Landkreis Miltenberg beteiligen sich die Apotheken am Protest. Mit ausreichend Vorlauf wurden die Kund*innen auf den Schließtag vorbereitet. Die Arzneimittelversorgung bleibt über Notdienstapotheken aufrechterhalten.

Die Lage ist brisant: Lieferengpässe und eine seit Jahren bestehende Unterfinanzierung gefährden die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln. Immer weniger junge Menschen sehen eine berufliche Zukunft in der Apotheke, die Personalnot spitzt sich zu. Auch Hochschulabsolventinnen und -absolventen können sich immer seltener den Gang in die Selbständigkeit vorstellen, weil die wirtschaftliche Perspektive fehlt. Mit dem heutigen, bundesweiten Protest reagiert die Apothekerschaft jetzt. Der Gesamtvorstand der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA) beschloss einen 10-Punkte-Forderungskatalog, der verhindern soll, dass weitere Apotheken und mit ihnen wichtige soziale Anlaufstellen vor Ort verschwinden. Die Forderungen betreffen unter anderem eine angemessene Entlohnung, die ausufernde Bürokratie sowie Schwierigkeiten bei der Abrechnung mit den Kassen, welche ein hohes Risiko für Apothekeninhaber*innen darstellen können. Mit ihren Forderungen will die ABDA zudem dafür sorgen, dass die Anregungen und Erfahrungen der Apothekerschaft seitens der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen endlich ernst genommen werden.

20 Jahre Stillstand müssen enden

Katja Neuerer, Apothekerin und Inhaberin der Anker- und Mäander Apotheke in Miltenberg, Barbara Zeitner, Apothekerin und Inhaberin der Nord-Apotheke in Miltenberg und Thomas Grittmann, Apotheker und Inhaber der Park Apotheke in Miltenberg sowie der Stadt Apotheke in Erlenbach, sind, wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, der Meinung, dass gehandelt werden muss. Bisher bekam die Öffentlichkeit nicht viel von den Missständen mit. Das soll sich mit dem Protest ändern, hoffen sie. „Seit 20 Jahren herrscht Stillstand, das war eine lange Zeit zu kompensieren, jetzt nicht mehr“, sagt Apothekerin Katja Neuerer. „Wir sind Heilberufler*innen und gleichzeitig Kaufleute. Durch zahlreiche Vorgaben funktioniert das nicht mehr. Damit wir als große Gruppe gesehen werden, ist ein deutschlandweiter Protest notwendig.“

Das in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegte Packungshonorar auf verschreibungspflichtige Medikamente, das sogenannte „Fixum“ von 8,35 Euro, wurde vor 20 Jahren ausgehandelt. „Das ist heute weder angemessen noch passt es zu dem, was wir leisten können und sollen“, erklärt Neuerer. Zu den Forderungen gehört eine Erhöhung des Honorars von 8,35 Euro auf 12 Euro pro Packung, zudem soll es jährlich an die Kostenentwicklung angepasst werden.

Apotheke muss wieder berufliche Perspektive für junge Menschen bieten

Zehn Jahre liegt die bislang letzte Erhöhung des Apothekenhonorars inzwischen zurück, obwohl Personal -und Sachkosten steigen. „Auch wir Apotheken leiden unter der Inflation und den gestiegenen Energiekosten und haben keine Möglichkeit, das zu kompensieren. Hinzu kommt die Abwanderung der Kund*innen ins Internet. Wir können unsere Preise nicht anpassen, wie z.B. andere Unternehmen“, so Neuerer. „Das kann auch nicht mit den Verkäufen aus dem verschreibungsfreien Sortiment aufgefangen werden“, ergänzt Barbara Zeitner, die seit 30 Jahren Apothekerin ist. „So wie die Situation jetzt ist, habe ich sie in meiner gesamten Berufslaufbahn noch nicht erlebt“, sagt sie. „Das erklärt auch den Apothekenstand in Deutschland, der auf einen Tiefstand von unter 18.000 Betriebe gefallen ist“, erklärt Thomas Grittmann. „Im vergangenen Jahr mussten 400 Apotheken deutschlandweit schließen, das ist mehr als eine Apotheke pro Tag.“

„Die Vergütung steigt nicht, das sorgt für Nachwuchsprobleme“, weiß Katja Neuerer aus Erfahrung. „Wenn die Mitarbeiter*innen nicht angemessen bezahlt werden können, dann wandern sie in andere Branchen ab. „Wir bekommen seit zwei Jahren keine Bewerbungen mehr“, so Neuerer weiter. „Ältere Mitarbeiter*innen gehen in Rente und es kommen keine Jüngeren hinterher.“ Das Problem kennt auch Barbara Zeitner: „Auch wegen den Arbeitszeiten und den Notdiensten wird es immer schwieriger, junge Menschen für einen Beruf in der Apotheke zu begeistern. Eine angemessene Bezahlung würde die Berufe der PTA und PKA wieder attraktiver machen.“ Thomas Grittmann: „Ich habe lange gesucht, bis ich für die Stadt Apotheke in Erlenbach einen Apotheker gefunden habe. Vor allem jüngere Apotheker*innen wollen nicht mehr in einer Vor-Ort-Apotheke arbeiten, sondern lieber in Krankenhäusern oder in der Industrie, wo sie unabhängiger sind von diesem Bürokratiewahnsinn.“

Im Einsatz für Patient*innen

„Gäbe es keine Vor-Ort-Apotheken, dann hätten wir im Moment keine ausreichende Arzneimittelversorgung“, ist sich Barbara Zeitner sicher. Verantwortlich dafür ist die Lieferengpass-Krise. Katja Neuerer: „Wir wenden jeden Tag sehr viel Zeit auf, um Lieferengpässe zu kompensieren. Wir suchen nach Alternativen, telefonieren Hersteller ab, tauschen unter Kollegen aus. Das ist viel Aufwand und bindet Ressourcen und Kapazitäten.“ Für diesen Aufwand erhalten die Apotheken lediglich einen Zuschlag von 50 Cent. „Das ist ein Schlag ins Gesicht“, so Neuerer. „Die Zeit, die wir investieren, steht nicht im Verhältnis zu diesen 50 Cent, die auch noch versteuert werden müssen. Wir betreiben diesen Aufwand, weil es unser Auftrag ist! Es geht auch nicht nur um diese 50 Cent, sondern viel mehr um die Geringschätzung unserer Arbeit. Wir wünschen uns, dass der Wert unserer Arbeit gesehen wird und die Bereitschaft, dies auch zu honorieren. Vergangenen November haben sich die Engpässe extrem verschärft, als es keine Antibiotika oder Fiebersäfte für Kinder mehr gab. Das bedeutete noch mehr Aufwand und führte häufig dazu, Medikamente teilweise selbst herstellen zu müssen. Das ist eine totale Notlösung in einer der führenden Industrienationen.“

Weniger Risiko und weniger Bürokratie

Bürokratische Aufgaben haben in den Apotheken in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Barbara Zeitner: „Unser Berufsbild, welches zu großen Teilen aus Heilen und Helfen besteht, weicht immer mehr dem Dokumentationsaufwand, den wir haben. Ich als Apothekerin sitze schon mehr am Schreibtisch, als dass ich mich um meine Patientinnen und Patienten kümmern kann.“ So geht es auch Thomas Grittmann und seinen Mitarbeiter*innen. Für ihn ist das, wie für viele andere Apotheker*innen, ein enormer Stressfaktor. „Das nimmt einem die Freude am Beruf“, sagt er. Bürokratieabbau gehört unter anderem auch zu den Forderungen der ABDA.
Kleine Formfehler in einem Rezept können dazu führen, dass die Krankenkassen zu Lasten der Apotheken die Bezahlung verweigern. Das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein, fordert die ABDA weiter.

„Wir wollen Aufmerksamkeit!“

Katja Neuerer: „Wir als Unternehmer*innen verzichten heute bewusst auf Einkommen, denn wir wollen Aufmerksamkeit! Wir müssen zeigen, was passiert, wenn die Apotheken nicht mehr da sind und damit ein großes Leistungsangebot wegfällt wie Notdienst, Patientenbegleitung, umfangreiche Beratung, z. B. zur Reise-Apotheke, zu Impfungen oder in Ernährungsfragen, pharmazeutische Dienstleistungen, wie Blutdruckkontrolle oder das Analysieren von Medikationsplänen, Wundmanagement und vieles mehr. Das soll dieser Protesttag bewusst machen! Eine Apotheke vor Ort ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Zum Erhalt der Apotheken muss es entsprechende Schritte und Signale aus der Politik geben, die umgesetzt werden müssen.“ Noch sei die Versorgung im Landkreis ausreichend, so Neuerer. Aber müssten zwei bis drei Kolleg*innen schließen, werde es kritisch. „Auch nach 30 Jahren ist mein Beruf für mich noch der Schönste auf der Welt“, sagt Barbara Zeitner. „Was Apotheken leisten, muss sichtbar werden, nicht nur für die Politik, sondern auch für die Bevölkerung. „Wir protestieren auch für die Menschen vor Ort, die Rahmenbedingungen müssen besser werden, um die Versorgung auch weiterhin gewährleisten zu können“, erklärt Thomas Grittmann. „Deshalb müssen wir uns als Apotheker*innen geschlossen an die breite Öffentlichkeit wenden“.

Wichtige Partner im Gesundheitswesen

„Apotheken bieten das niedrigschwelligste Gesundheitsangebot“, erklärt Katja Neuerer. „Wir sind oftmals die erste Anlaufstelle für Patient*innen. Das entlastet auch Arztpraxen. Keine Versandhandelsapotheke macht Nachdienst oder stellt selbst Medikamente her“, weiß Barbara Zeitner. „Wir sind immer da. Das möchten wir auch, wir wollen zum Stadtbild gehören“, so Zeitner weiter. „Aber durch diese Selbstverständlichkeit sind wir unsichtbar geworden. Wir möchten gerne wieder wahrgenommen werden, als das, was wir sind: Wichtige Partner im Gesundheitswesen.“

Ins Gespräch kommen

„Mein Team und ich sind heute vor unseren Filialen in Erlenbach und Miltenberg zu finden. Wir wollen mit unseren Patientinnen und Patienten ins Gespräch kommen“, lädt Grittmann ein. „Wir möchten informieren und aufklären, warum der Apotheken-Protest notwendig ist.“ Auch viele andere Apotheker*innen im Landkreis stehen heute vor ihren geschlossenen Apotheken und hoffen auf Verständnis und Interesse ihrer Patient*innen.

Nach einem Protestmarsch vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt findet ab 11 Uhr eine zentrale Protestveranstaltung mit mehreren 100 Teilnehmern auf dem Marktplatz in Würzburg statt.

Autor:

Marlene Deß aus Miltenberg

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