Landkreis Miltenberg
Kritik an Corona-Maßnahmen wächst – Landrat Jens Marco Scherf hat Verständnis für Unmut – "Wir würden gerne noch mehr tun!" - kaum Spielraum für regionale Strategien

Landrat Jens Marco Scherf informiert in seinem monatlichen Podcast über aktuelle Themen aus dem Landkreis. Ab Freitag, 27.03.2021 gibt es die aktuelle Ausgabe, zu hören u. a. auf www.meine-news.de.  | Foto: News Creativ
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  • Landrat Jens Marco Scherf informiert in seinem monatlichen Podcast über aktuelle Themen aus dem Landkreis. Ab Freitag, 27.03.2021 gibt es die aktuelle Ausgabe, zu hören u. a. auf www.meine-news.de.
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Es wird das zweite Osterfest im Zeichen von Corona. Der Lockdown wird bis 18. April 2021 verlängert, von Gründonnerstag bis Ostermontag gilt eine „Ruhephase“ mit strengen Kontaktbeschränkungen, auf Präsenzgottesdienste und vermeidbare Reisen soll verzichtet werden. Damit sind die Öffnungsperspektiven für Gastronomie und Kultur, die ab 22. März 2021 eigentlich für Gebiete mit einer Inzidenz unter 100 gelten sollten, in weite Ferne gerückt. Im Interview mit dem News Verlag spricht Landrat Jens Marco Scherf (Kreis Miltenberg in Bayern) sehr offen darüber, was bei der Bekämpfung der Pandemie versäumt wurde und was im Landkreis trotzdem gut läuft.

Herr Scherf, der Unmut in der Bevölkerung über die Pandemie-Maßnahmen wächst. Wie beurteilen Sie die Kritik?
„Die Zuschriften und das Unverständnis für nicht mehr nachvollziehbare Regelungen nehmen vor allem seit dem März stetig zu: Dass trotz guter Hygienekonzepte im Einzelhandel nicht gearbeitet werden kann, dass man nach Mallorca in Urlaub fliegen kann, aber die hiesigen touristischen Betriebe geschlossen bleiben. Und natürlich das, was bei der Impf- und Teststrategie nicht läuft. Das alles sorgt für Unverständnis. Dieses Gefühl, dass die Bevölkerung im Herbst oder frühen Winter den schweren Weg noch nachvollziehen konnte, dieses Verständnis für das staatliche Agieren beim Thema Rechtsvorgaben, Beschränkungen, Impfen und Testen, das schwindet rapide. Und ich habe volles Verständnis dafür! Beim Impfen, beim Testen und bei neuen sich daraus ergebenden Öffnungswegen – für mich die drei Säulen, um aus der Pandemie herauszukommen – ist vom Bund nicht geliefert worden! Diese drei Dinge, auf die wir alle gebaut haben, sind nicht eingetreten.“

Herr Scherf, wie groß ist denn überhaupt der Gestaltungsspielraum eines Landrats in Bayern? Können Sie z. B. entscheiden, dass Menschen mit einem negativen Test in den Biergarten dürfen?
„Die aktuelle 12. Bayerische Infektions-Schutzmaßnahmen-Verordnung hatte uns ja ab Montag, 22. März die Möglichkeit geboten, wenn wir diese 14 Tage unter 100 sind, weitere Öffnungsschritte zu gehen bezüglich der Kinos, der Kulturräume und der Außengastronomie. Das wurde vergangenen Donnerstag (18. März 2021, Anm. d. Red.) abgeräumt. Wir haben überhaupt keine Entscheidungsmöglichkeiten mehr! Das war in der 11. Bayerische Infektions-Schutzmaßnahmen-Verordnung auch schon so, damals hieß es bei den Öffnungen für den Einzelhandel, dass uns gewisse Ermessensspielräume gegeben werden. Darauf hatte spannenderweise das Wirtschaftsministerium extra hingewiesen, auch die betroffenen Einzelhändler, aber das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat uns dann belehrt, dass dafür das Einverständnis der Regierung von Unterfranken notwendig sei und dieses nicht erteilt werde.
Abgesehen von den rechtlichen Dingen sind Vorgaben zu Test- und Impfkonzeptionen bei uns im Landkreis aber natürlich bestmöglich umzusetzen. Und das ist das, was unser Team seit Beginn der Pandemie macht. Ein Beispiel ist die Teststrategie für die Senioreneinrichtungen. Vom Staat wurde die Versorgung der Einrichtungen mit Schnelltests vorgegeben. Wir haben darüber hinaus das Personal regelmäßig mit PCR-Tests durchgetestet. Das hat die Einrichtungen entlastet und die Sicherheit erhöht. Auch unser Testzentrum in Miltenberg mit einer Kapazität von weit über 500 Testungen am Tag im Regelbetrieb geht über das hinaus, das der Staat gefordert hat. Wir können also bei der Umsetzung der Rahmenbedingungen immer versuchen, das Bestmögliche zu machen. Auch beim Impfen, da wünschen wir uns eine Zusammenarbeit zwischen Impfzentrum und Hausärzten. Aber was rechtliche Dinge angeht, Lockdown, Öffnungen usw., da können wir nicht selbst entscheiden. In Bayern. Und wer jetzt den Eindruck erweckt, es gäbe Möglichkeiten, die es nicht gibt, um sich politisch zu profilieren, der wird am Ende Schiffbruch erleiden.“

Wenn Tübingen oder Rostock als Beispiele dafür herangezogen werden, was auf lokaler Ebene machbar wäre, wenn man nur wollte, dann ist das also ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen?
„Ja. Wir können solche Dinge momentan nicht ausprobieren, wie jetzt beispielsweise in Berlin die Philharmonie (Vor-Ort-Testungen und Konzert mit Publikum, Anm. d. Red.) oder in Rostock mit dem Fußballspiel vor Publikum. Ich kenne die Hygienekonzepte im Landkreis, z. B. der Zehntscheuer Amorbach oder der Kochsmühle Obernburg. Wir haben vom Kulturreferat des Landkreises im September/Oktober im Bürgerzentrum Elsenfeld Veranstaltungen gehabt. Ansteckungsrisiko 0,0. Trotzdem geht es nicht. Auch das Aussetzen von Click & Meet ist durch die Verordnung unwiderruflich geregelt, wenn die Inzidenzen den Schwellenwert übersteigen. Da zählt weder ein hervorragendes Hygienekonzept des Handels noch die Tatsache, dass unsere Apotheken im Landkreis flächendeckend Schnelltests anbieten. Wenn bei einer Inzidenz über 100 die Verordnung sagt, Click & Meet wird untersagt, dann wird es untersagt. Die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer sind gerade bei uns im Dreiländer­eck eine große Belastung für die Einzelhändler.“

Wenn Sie für den Landkreis eine eigene Öffnungsstrategie für das Gewerbe – unabhängig von den Ampel-Vorgaben – umsetzen könnten, wie sähe diese aus?
„Was der Einzelhandel und Teile der Bevölkerung von uns erwarten, ist ja, dass wir uns nicht mehr rein an den Inzidenzwerten orientieren, sondern auch an den Fragen ,Wie gut ist das Hygienekonzept?‘ und ,Wie niedrig ist tatsächlich die Infektionsgefahr?‘. Und mit den mittlerweile sehr, sehr ausgefeilten Hygienekonzepten im Einzelhandel halte ich ein Click & Meet auch bei einer Inzidenz von über 100 mit FFP2-Maske und Personenbegrenzung für umsetzbar. Diese regionalen belastbaren Konzepte zu ermöglichen, das wurde meiner Meinung nach verpasst. Wenn wir jetzt mehr rechtlichen Freiraum erhielten, würde ich versuchen, dass durch Schnelltests auch wieder Kultur erlebbar wird.“

Ist häufiges Testen für Sie also die richtige Strategie?
„Ja. Wer nicht testet, erlebt zwei oder drei Monate später eine böse Überraschung. Zwei Dinge sind beim Testen aber wichtig: Erstens frühzeitig zu merken, da ist was. Wenn man Infektionen zu lange nicht bemerkt, verbreitet sich das Virus schnell und unentdeckt weiter, oft symptomlos und durch die 14-tägige Inkubationszeit. Dann kann man es irgendwann nicht mehr ,austreten‘. Und: Wer viel testet, muss auch mit den Ergebnissen umgehen können und fragen, in welcher Relation die Anzahl der positiven Fälle zu den schweren Krankheitsverläufen steht usw. Da hatten wir übrigens jetzt erstmals eine positive Entwicklung. Zweitens: Viel zu testen würde uns auch Öffnungsschritte trotz Infektionsgeschehen ermöglichen, sofern wir dazu die rechtlichen Freiräume hätten. Allerdings müssen wir jetzt, Ende März, die Auswirkungen der britischen Mutante beobachten. Mittlerweile ist diese bei 70 % der Fälle im Landkreis nachgewiesen. Sie ist ansteckender, auch für junge Leute, und bringt mehr schwere Krankheitsverläufe. Daher ist es jetzt wieder eine sehr kritische Phase, und das, obwohl unsere Belastbarkeit und unsere Ausdauer sehr stark begrenzt sind.“

Gibt es lokale Hotspots im Landkreis Miltenberg oder besonders betroffene Bevölkerungsgruppen?
„Das kann ich so nicht feststellen. Das Corona-Geschehen ist altersmäßig breit gefächert, es sind Fälle in Schulen, Kitas oder auch Betrieben, aber ohne den Dominoeffekt mit zahlreichen Folgeinfektionen. Wir haben keinen Hotspot. Verlässlich sagen kann ich aber, dass die Fallzahlen in unseren stationären Senioreneinrichtungen deutlich zurückgegangen sind. Hier merken wir wirklich – toi, toi, toi – die positive Wirkung der Impfungen. Heute kam auch endlich die Information, dass eine erste kleinere Menge an AstraZeneca-Impfdosen in Kürze zur Verteilung an die Arztpraxen zur Verfügung steht und die Praxen wohl ab Anfang April mit dem Impfen beginnen können.“

Und was ist mit den Schulen? Wie sieht es da z. B. mit den Tests aus?
„Heute ist der 23. März 2021 und wir haben keine Schnelltests für die Kinder in den Schulen und auch kein belastbares Schnelltestkonzept für die Schulen. Wir hoffen, dass die Tests in den Osterferien kommen. Aber so, wie es sich der Staat vorstellt, ist das nicht durchführbar. Die Tests sollten zum Wohl der Kinder so stattfinden, dass z. B. bei einem positiven Ergebnis auch eine unmittelbare und behutsame Betreuung des Kindes sichergestellt ist. Das ist in der Schule nicht zu leisten, und daher würde ich das lieber in die Hände der Familie geben. Leider hat das Kultusministerium heute klargestellt: Die Test-Utensilien dürfen nicht mit nach Hause gegeben werden. Schade.“

Herr Scherf, es scheint, dass Sie viele Kritikpunkte aus der Bevölkerung teilen. Wie sollte mit dieser Kritik umgegangen werden?
„Es ist eine sachliche Kritik und es muss einfach machbar sein, die Punkte offen zu benennen. Ich halte einen ehrlichen Dialog mit der Bevölkerung für extrem wichtig. Und wer glaubt, mit der Pandemie parteilpolitisch zu punkten, der schadet uns allen. Es sollte aufgezeigt werden, wo nicht gut gehandelt wurde. Das ist sehr wichtig, damit die Bevölkerung weiter mitgeht. Gerade auf Bund/Länderebene müssen es sich die Verantwortlichen bewusst machen, dass das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein Vertrauensvorschuss für die demokratischen Parteien war. Trotz der damals schon stark wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung gab es keine Stärkung der extremen Ränder. 
Und das zeigt mir, dass trotz der Unzufriedenheit immer noch eine sehr große Besonnenheit und ein Verantwortungsgefühl da ist. Es hilft jetzt nichts, einfach zu kapitulieren, auch wenn beim Impfen und Testen vieles schiefgelaufen ist in den letzten Wochen auf staatlicher Ebene. Wir haben keine Alternative dazu, diese Pandemie zu bewältigen. Emotional sind die neuen Beschlüsse ein Tiefschlag, aber die Gefahr vieler schwerer Krankheitsverläufe durch die britische Mutante ist tatsächlich groß. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass wir Alternativen zum pauschalen Schließen von Schulen oder Einzelhandel erarbeiten. Die 2 Säulen sind eine deutlich verbesserte Impfkampagne, und zwar gemeinsam mit Hausärzten und Impfzentren, sowie eine effektive Teststrategie. Wir setzen im Landkreis Miltenberg weiterhin alles daran, im Rahmen unserer Gestaltungsmöglichkeiten das Bestmögliche zu erreichen.“

Podcast mit Landrat Jens Marco Scherf | März 2021
Landrat Jens Marco Scherf informiert in seinem monatlichen Podcast über aktuelle Themen aus dem Landkreis. Ab Freitag, 27.03.2021 gibt es die aktuelle Ausgabe, zu hören u. a. auf www.meine-news.de.  | Foto: News Creativ
Nur virtuelle Treffen an Ostern 2021: Auch in diesem Jahr gelten an den Feiertagen strenge Kontaktbeschränkungen. | Foto: Stock Adobe/Angelov
Autor:

Sabine Rindsfüsser aus Miltenberg

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