Kreistag Miltenberg trotz Pandemie handlungsfähig
Unter besonderen Bedingungen erfolgte am Montag der Auftakt zur neuen Legislaturperiode des Miltenberger Kreistags. Angesichts der Corona-Pandemie und der daraus resultierenden Abstands- und Hygienemaßnahmen wich das Gremium in die Untermainhalle Elsenfeld aus. Dort, wo sonst Handball gespielt und Schulsport betrieben wird, vereidigte Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) 21 neue Kreisrätinnen und Kreisräte. Scherfs Vertreter wird künftig Bernd Schötterl von den Freien Wählern sein, weitere Stellvertreter sind Monika Wolf-Pleßmann (SPD) und Günther Oettinger (Neue Mitte).
Da die konstituierende Sitzung laut Allgemeinverfügung „unverzichtbar und unaufschiebbar“ ist, war diese im Gegensatz zum allgemein in Bayern gültigen Veranstaltungsverbot ausdrücklich erlaubt worden. Künftige Entscheidungen sollten aber, zitierte der Landrat aus dem Schreiben aus München, „möglichst weitgehend auf beschließende Ausschüsse übertragen werden.“ In seinen einführenden Worten gab er Einblicke in die Struktur des Landratsamts, stellte die Führungskräfte vor und informierte über die Arbeit im Landratsamt während der Corona-Pandemie. Dank hohen Einsatzes und der Nutzung aller personeller Ressourcen im Landratsamt habe man alle Infektionsketten verfolgen können. „Wir als Kreisverwaltungsbehörde tragen die Verantwortung für die Beobachtung der Neu-Infektionen und die Einhaltung der 30- beziehungsweise 50-Neuinfektionen-pro-100.000-Einwohner-Grenze“, stellte Scherf fest. Parallel dazu verteile man das über den Katastrophenschutz erhaltene Schutzmaterial und sichere die Verfügbarkeit notwendigen Materials. Dies sei nur dank des Einsatzes der beiden THW-Ortsgruppen und der Freiwilligen Feuerwehren mit der Kreisbrandinspektion unter Leitung von Kreisbrandrat Meinrad Lebold möglich. Daneben gelte allen Beteiligten in der Klinik, den Arztpraxen, den Apotheken und der Pflege ein großes Dankeschön. Dem BRK-Kreisverband galt der Dank für Aufbau und Betrieb der Sars-CoV-2-Teststrecke an der Helios-Klinik in Miltenberg. Der Kreistag habe den überörtlichen Katastrophenschutz in der Vergangenheit stets ernst genommen, sagte er und empfahl, die Unterstützung dieses Engagements nicht voreilig geführten Initiativen gutgemeinten Sparens zu opfern.
Das Virus hinterlasse viele Spuren bei den Menschen sowie in der Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote habe sich im April von 2,6 (2019) auf 3,6 Prozent erhöht, die Zahl der offenen Stellen sei von 1117 (April 2019) auf 800 gesunken, so Scherf. Erste Einbrüche bei der Gewerbesteuer zeigten, dass auch die Wirtschaft vor langfristigen Schäden geschützt werden müsse. Die öffentliche Hand solle deshalb alles tun, um die regionale Wirtschaft zu stützen und zu stabilisieren. Der aktuelle Kreishaushalt stehe unter anderem für die Fertigstellung der Generalsanierung von JBG Miltenberg und HSG Erlenbach, den Baubeginn der Zweifach-Sporthalle an der Realschule Obernburg, Kreisstraßensanierungen, das Photovoltaik-Programm des Landkreises, Investitionen in das Radwegenetz, Digitalisierung der Schulen und die Planung des Schulbauprogramms III. Landrat Scherf dankte ausdrücklich dem „alten“ Kreistag, dass er mit dem Haushalt 2020 noch die Weichen richtig gestellt habe, davon profitiere man nun. Der Kreistag werde einiges zu tun haben, verwies er auf zahlreiche Projekte aus den Bereichen Klimaschutz, Naturschutz und Artenschutz, Mobilität, Bildung, Digitalisierung und Gesundheitsversorgung – die Frage der Finanzierung werde durch die Pandemie nicht einfacher, so Scherf.
Nach der Vereidigung von 21 neu gewählten Kreistagsmitgliedern (einer war entschuldigt) wurde die Stärke der Fraktionen festgestellt. Da Kreisrat Hans Jürgen Fahn von den Freien Wählern zur ÖDP/BLU gewechselt war, ergibt sich folgendes Verhältnis: CSU 20 Sitze, Grüne und Freie Wähler je zehn Sitze, SPD sieben Sitze, Neue Mitte sechs Sitze, ÖDP und FDP je drei Sitze, Linke ein Sitz.
Statt wie bisher Thomas Zöller (Freie Wähler) ist Bernd Schötterl (Freie Wähler) neuer Stellvertreter des Landrats. In der geheimen Wahl setzte er sich mit 36 zu 22 Stimmen gegen Karin Passow (CSU) durch. Zuvor hatten Thomas Zöller und Dr. Armin Bohnhoff (CSU) die Vorzüge von Schötterl und Passow hervorgehoben, die beide für den Posten des Stellvertreters qualifizieren. Bei der Wahl der weiteren Stellvertreter des Landrats sprach sich der Kreistag mehrheitlich für das Duo Monika Wolf-Pleßmann (SPD) und Günther Oettinger (Neue Mitte) aus, die von der CSU nominierte Karin Passow kam nicht zum Zug.
Ebenso erließ der Kreistag seine Geschäftsordnung. Kommunaljurist Oliver Feil erläuterte einige Änderungen, über die einzeln abgestimmt wurde. So wird künftig das Themenfeld Energie dem Ausschuss für Bau und Verkehr zugeschlagen. Der Antrag von Matthias Ullmer (Neue Mitte), es beim alten Ausschuss für Energie, Natur- und Umweltschutz zu belassen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Der Landrat begründete die Vorgehensweise unter andere mit der Tatsache, dass alle Energiethemen im Landratsamt im Kreisbauamt angesiedelt sind und somit in einem neuen Ausschuss „Energie, Bau und Verkehr“ effizienter bearbeitet werden könnten. Weiterhin kann der Kreistag im Pandemiefall Befugnisse auf Ausschüsse, Verwaltung oder Landrat übertragen, soweit Befugnisse nicht gesetzlich dem Kreistag vorbehalten sind. Dies geht auf eine Empfehlung des Innenministeriums zurück. Da es laut Dr. Armin Bohnhoff (CSU) möglich ist, den Kreistag auch in Pandemiezeiten tagen zu lassen, beantragte er, diese Möglichkeit zu nutzen. Sein Antrag wurde aber mehrheitlich abgelehnt, Landrat Scherf verwies auf den Infektionsschutz, der auch in den kommenden Monaten solche Sitzungen erschweren oder verhindern kann.
Künftig sollen die Ausschüsse zudem wieder mit zwölf Sitzen statt bisher 14 ausgestattet sein, da die Stärkeverhältnisse der Fraktionen im Zwölfergremium – wie auch im 14er-Gremium – korrekt abgebildet sind. Der Antrag von Dr. Bohnhoff, die Sitzzahl bei 14 zu belassen, wurde vom Gremium mehrheitlich abgelehnt. Die komplette Geschäftsordnung, die unter anderem auch eine Anpassung der Wertgrenzen für Landrat, Kreistag und Ausschüsse vorsieht, wurde bei drei Gegenstimmen erlassen.
Einstimmig sagte der Kreistag Ja zum Erlass der Satzung zur Regelung der Entschädigung ehrenamtlich tätiger Kreisräte und sonstiger ehrenamtlich tätiger Bürger. Die Satzung orientiert sich an der Fassung der letzten Legislaturperiode.
Der Kreistag beschloss zudem gemäß der geänderten Geschäftsordnung, die Kreistagsangelegenheiten während der Pandemie auf seine jeweils zur Vorberatung zuständigen Ausschüsse zu übertragen. Die Ausschüsse sind beschließend tätig und keinerlei Beschränkungen durch Wertgrenzen unterworfen. Nicht betroffen ist etwa der Haushalt, der laut Gesetz dem Kreistag vorbehalten ist. Der Kreistag kann die Übertragung jederzeit durch einfachen Beschluss wieder aufheben.
Dem Antrag der CSU auf Vorlage einer Bestandsaufnahme der Gemeinde- und Kreisfinanzen und aller Einnahmen und Ausgaben bis Ende Mai erteilte Landrat Jens Marco Scherf eine Absage. Die Zahlen zu den Gemeindefinanzen seien laut zuständigem Staatsministerium frühestens nach Mitte des Jahres belastbar, so der Landrat. Eine Aufarbeitung aller Ausgaben inklusive Prüfung einer Verschiebung, sei weder bis zur Sitzung möglich noch sei es der konstituierenden Sitzung möglich, diese zu bewerten. Das komme einer Wiederholung der Haushaltsberatung gleich. Die aktuelle Haushaltssituation werde aber demnächst Thema in einer Sitzung sein, kündigte er an. Kämmerei und Controlling hätten ohnehinjeden Tag Einnahmen und Ausgaben sowie aktuelle Veränderungen im Blick und sorgten für eine ordnungsgemäße Abwicklung des Haushalts, betonte der Landrat.
Scherf wandte sich zudem entschieden gegen die CSU-Forderung, der Landkreis möge alle nicht vertraglich geregelten Zahlungen einstellen. Sollte man dieser Forderung nachkommen, käme das hinsichtlich des Investitionsprogramms einer „haushaltspolitischen Vollbremsung“ gleich mit unabsehbaren Schäden für die regionale Wirtschaft, so der Landrat und versuchte die CSU mit dem Hinweis auf eine gleichlautende Empfehlung aus dem Innenministerium zu überzeugen. Den größten Spielraum habe der Kreistag jedoch bei den freiwilligen Leistungen, weshalb er als Landrat die Umsetzung dieser bis zur Beratung und Beschlussfassung zum Antrag in einer regulären Sitzung aussetzen werde. Dazu gehörten neben der kommunalen Schwimmfähigkeitsförderung oder der kommunalen Radwegeförderung auch die Eigentumsübertragung des KEG von der Stadt Amorbach zum Landkreis Miltenberg.
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