Fastenvorsatz: mehr Rücksicht nehmen!
Heute beginnt die 40-tägige Fastenzeit. Neben dem religiösen Aspekt ist für viele die Zeit bis Ostern als „Kur nach dem Fasching“ eine willkommene Gelegenheit, um Körper und Geist wiederzubeleben: mehr Sport, weniger Fernsehen, kein Nikotin, Alkohol oder Süßes. Wie wäre es in diesem Jahr mit einem Vorsatz für die nächsten 7 Wochen, der nicht nur dem eigenen Ich, sondern uns allen etwas bringt: Mehr Rücksicht!
Von Rüpeln umgeben???
Neulich im Weihnachtskonzert: Zwei Damen mittleren Alters in der Reihe vor mir unterhalten sich halblaut. Das Konzert beginnt, die Damen plaudern munter weiter. … Neulich an der heißen Theke: ein junger Mann bestellt ein Schnitzelbrötchen: sagt „Schnitzelbrötchen“, nimmt es entgegen, bezahlt, geht. Ohne Bitte oder Danke. Neulich vor dem Supermarkt: ein älterer Herr parkt auf dem Eltern-Kind-Parkplatz und wird darauf angesprochen. Er raunzt bloß „Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Sachen“.
„Was empfindest du als störend oder nervig, über was ärgerst du dich immer wieder?“ Alle Befragten in meinem Bekanntenkreis, Kolleginnen und Kollegen konnten gleich mehrere Dinge nennen. Ganz vorne natürlich die Gaffer und Menschen, die Rettungskräfte behindern. Es folgten rücksichtslose Verkehrsteilnehmer, Zebrastreifen-Überfahrer, Raser, Falschparker vor Ausfahrten, in Wendezonen oder Rettungswegen, unberechtigte Nutzer von Behinderten- oder Eltern-Kind-Parkplätzen. Der Mangel an der sogenannten „guten Kinderstube“ grassiert – nicht ausschließlich bei der Jugend, sondern bei Menschen jeden Alters.
Gute Kinderstube war gestern
Da wird gedrängelt und gerempelt, im Zug oder Bus sitzen geblieben, auch wenn ältere oder behinderte Menschen danebenstehen. Füße und Koffer kommen auf den Sitz. „Danke“ oder „Bitte“ entfallen, ein freundlicher Gruß bleibt unerwidert. Im Kino, Theater oder Konzert wird laut gequasselt, man schaut zeitgleich Youtube-Clips (mit Ton!) auf dem Handy. Was auch nervt – und das empfinden nicht nur die Kinderlosen unter den Befragten so: Eltern, die ihrem Nachwuchs keinerlei Einhalt gebieten, egal was die „Süßen“ anstellen. Genauso berechtigt ärgert es Eltern, wenn beim Einsteigen mit Kinderwagen im ÖPNV keiner mit anpackt, niemand Rücksicht auf Schwangere oder Familien mit Kleinkindern nimmt oder Kinder beim Anstehen einfach weggedrängt werden.
„Sie sind aber empfindlich!“
Sicher, wir sind alle nur Menschen, jeder hat mal einen schlechten Tag und lässt die berühmten Fünfe gerade sein. Solange man noch merkt, wenn man etwas falsch gemacht hat, sich entschuldigt oder spätestens dann, wenn man darum gebeten wird, hilft, ist doch alles gut. Nobody ist perfect! Aber wenn der Zehnte beim Parken vor der Ausfahrt eine faule Ausrede benutzt wie „Mach ich sonst ja auch nicht, es war aber gerade nichts frei und ...“ dann kommt man doch ins Grübeln. Ist man ein überempfindlicher Spießer, weil man allgemeingültige Regeln einfordert, die unser Zusammenleben angenehm und sicher machen? Es geht ja nicht darum, ob ich die Gabel links oder rechts halte, sondern die Frage ist: Spricht mein Gegenüber noch die gleiche „Regelsprache“ wie ich? Hält er am Zebrastreifen oder bei Rot wirklich an oder zieht er durch, weil er gerade mag?
Die Umwelt leidet auch
Wir haben Angst vor Feinstaub, lassen aber das Auto im Stand laufen, um schnell mal einen Brief einzuwerfen oder ein Schwätzchen zu halten. Wir beklagen das hohe Verkehrsaufkommen, kutschieren aber uns und unsere Kinder zur Arbeit, zur Schule oder zum Kindergarten, obwohl der Bus fährt oder der Weg auch zu Fuß zumutbar wäre.
Unsere Landschaft vermüllt, und zwar nicht nur an viel befahrenen Straßen, sondern auch an Wanderwegen, in Feld, Wald und Flur. Jedes Jahr beteiligen sich viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer an der Flursäuberungsaktion des Landkreises und sammeln mühsam den Dreck anderer Leute wieder auf, den diese achtlos weggeworfen haben. Die Ausbeute ist erschreckend groß und fördert so manches skurrile Teil zutage, das in der Natur „entsorgt“ wurde.
„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“
Den Aufruf zu mehr kindlicher Spontanität und Phantasie eines lebenslustigen Mädchens – Pippi Langstrumpf – hat so mancher scheinbar falsch verstanden. Ein gesundes „auf sich selbst achten“ ist zwar durchaus angebracht, nur sollte das nicht auf Kosten der Mitmenschen oder der Umwelt gehen. Viele „Gaffer“ oder Hetzer stellen ihr eigenes Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Beachtung über alles andere und nehmen dabei billigend die negativen Folgen in Kauf.
Ob wirklich der Egoismus in unserer Gesellschaft ansteigt oder „nur“ Gedankenlosigkeit, Zeitdruck oder reine Bequemlichkeit dazu führen, sich rüpelhaft zu verhalten, das ist sicherlich Diskussionsstoff vieler Psychologen. Es scheint aber wohl so, dass Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, nicht bei jedem Menschen gleichermaßen ausgeprägt ist.
Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen?
Was bringt es mir, Regeln zu beachten, nett zu grüßen und mich anständig zu benehmen? Gott sieht vielleicht alles, aber die Verkehrsüberwachung nicht … Da kommt niemand und klopft mir auf die Schulter und sagt, „Super, heute mal zwischen den weißen Linien geparkt! Weiter so!“
Es wäre jetzt sicher naiv, zu denken, dass der, der sich immer an die Regeln hält und sich den Mitmenschen gegenüber anständig verhält, automatisch glücklich und erfolgreich ist. Nein, im Gegenteil. Wer sich immer vorne anstellt und sich nur um sich selbst kümmert, scheint oft weiter zu kommen im Leben als die Rücksichtsvollen, die ihr Verhalten immer mal wieder hinterfragen.
Dafür sind diese aber eher mit sich im Reinen, haben ein gutes Gewissen, ernten öfter mal ein Lächeln und einen Dank, verspüren Gelassenheit, Freude und Glück. Gutes tun tut gut!
Umdenken ist erst einmal unbequem – es lohnt sich aber auf jeden Fall. Daher mein Aufruf zur Fastenzeit: Lasst uns aufmerksam durch das Leben gehen, die eigene Komfortzone verlassen, öfter mal überlegen, ob man selbst gerne so behandelt werden möchte, wie man andere behandelt. Mehr auf die Mitmenschen achten. Zuhören und Ruhe bewahren. Mal aufstehen, wenn niemand sonst es tut, Geduld haben, wenn es mal wieder länger dauert und helfen, wenn man kann. Und lächeln. Probieren wir es doch einfach 7 Wochen aus. Vielleicht können wir dann gar nicht mehr anders.
Pfarrerin Marie Sunder-Plassmann aus Amorbach zum Thema „Rücksicht nehmen als Fastenvorsatz“:
„Nach der hier im Untermaingebiet fröhlich begangenen ,Fast-Nacht‘ kommt nun die Fastenzeit. Ihre traditionellen Merkmale sind sehr zurückgegangen, dafür haben sich neue, gute Bräuche etabliert. Früher wurde in der kirchlich so genannten Passionszeit darauf verzichtet, Fleisch zu essen.
Heute gibt es die immer mehr zunehmende Gewohnheit, ,etwas‘ zu fasten, was einem zur Gewohnheit geworden ist, ohne besonders zuträglich zu sein. Bei mir ist es in diesem Jahr: ich verzichte darauf, auf meinem Vorteil zu bestehen. Auf eigenen Vorteil zu verzichten ist eine Verhaltensweise, die sehr von der christlichen Tradition geprägt ist, aber auch gut zur interreligiösen Ethik der modernen Zeit passt.
Bei mir wären solche Vorteile zum Beispiel: mein guter Platz in der Warteschlange, mein Parkplatz, den ich genau an dieser Stelle brauche, der reservierte Platz, auf dem jetzt jemand anderes sitzt und anderes mehr. Anstatt gelassen lächelnd den Vorteil zu gewähren, den ein anderer zu brauchen glaubt, kann ich, im ständigen Zeitdruck, den ich mir mache, richtig grantig werden, wenn jemand mir etwas wegschnappt. Ein bisschen Lockerheit in diesen Dingen verändert die Atmosphäre zum Positiven und hat eine Wirkung, die den Nachteil, der uns entstanden ist, bei weitem überwiegt. Wenn wir lächelnd das gewähren, was sich ein anderer nimmt, dann bleibt unsere Seele in Frieden, und der andere beginnt, nachzudenken. Und wenn wir es wirklich mal existenziell eilig haben, dann dürfen wir andererseits freundlich anfragen, ob wir mal vor können. Und wenn meine Vorderfrau dann hoffentlich auch gerade ,Vorteilnahme‘ fastet, dann lässt sie mich verständnisvoll und großzügig drankommen.
Das Hauptmerkmal der sogenannten Leitkultur des christlichen Abendlandes ist nach theologischer Definition die Nächstenliebe. Im ganz ,normalen Wahnsinn‘ des Arbeitsalltags kann ich aber ganz unchristlich werden. Das will ich in diesem Jahr anders machen. Als Pfarrerin würde ich gerne auch Vorbild sein. Also, wenn Sie mal testen wollen, wie es sich mit meinem guten Vorsatz entwickelt hat, drängeln Sie sich vor mich. Schauen wir mal, ob ich es schaffe, nett zu bleiben.“
Katja Bergmann aus Niedernberg zum Thema „Rücksicht nehmen“:
„So oft erlebe ich es, dass Menschen beim Bäcker ihre Brötchen bestellen, ohne auch nur ,Guten Morgen‘ zu sagen. Oder ,Auf Wiedersehen‘. Die Verkäuferin hinter der Theke wird nicht wahr genommen, ebenso wenig der Fahrer, zu dem wir in den Bus einsteigen. In unseren Gedanken sind wir oft schon längst bei der Arbeit, beim nächsten Termin oder schauen gerade auf unser Smartphone. Außerdem grüßen die anderen doch auch nicht. Dabei mag keiner ein unfreundlicher Griesgram sein. Vielmehr liegen Selbstwahrnehmung und Realität, gerade wenn es um das Sozialverhalten geht, oft weit auseinander. Wer würde sich schon selbst als rücksichtslos bezeichnen? Fangen wir also am besten bei unserem eigenen Verhalten an, sicher fällt dazu jedem etwas ein.
Viele sind der Meinung, die heutige Elterngeneration lege bei der Erziehung zu wenig Wert auf höfliches Benehmen und das Einhalten von Regeln. Kinder, die im Restaurant um die Tische rennen, der berühmte Trotzanfall an der Supermarktkasse oder ein lautstarker Streit zwischen den Geschwisterkindern, bei dem auch Schimpfworte fallen. In solchen und ähnlichen Situationen schüttelt die ältere Generation oft den Kopf. Wahrscheinlich stimmt es sogar, dass der Erziehungsstil über die Jahre liberaler geworden ist. Heute werden Eltern, Erzieher und Lehrer nicht mehr so sehr als Autoritätspersonen wahrgenommen, wie es zum Beispiel in meiner eigenen Kindheit noch der Fall war. Auch die Wertvorstellungen, die wir an unsere Kinder weitergeben, haben sich mit der Zeit verändert bzw. scheinen weniger allgemeingültig zu sein. Trotzdem glaube ich, dass die Eltern von heute sich nicht weniger Gedanken um die Erziehung ihrer Kinder machen als die letzten Generationen. Jedenfalls ist dies meine Erfahrung aus dem persönlichen Umfeld.
Mir ist es wichtig, dass meine Kinder mit anderen respektvoll umgehen, Bitte und Danke sagen und sich entschuldigen, wenn sie jemanden geärgert haben. Das klappt natürlich nicht immer, besonders wenn sie noch sehr klein sind. Man braucht Geduld und muss sie immer wieder daran erinnern, es ihnen erklären und ganz wichtig: Vorleben. Kinder achten sehr genau darauf, wie ihre Eltern sich anderen gegenüber verhalten. Wenn die Eltern also rücksichtsvoll sind und sich für andere einsetzen, werden ihre Kinder dieses Verhalten sehr wahrscheinlich übernehmen.“
Autor:Sabine Rindsfüsser aus Miltenberg |
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