„Lichtungen“ entdecken: Von der Arbeit mit demenzkranken Menschen
„Wir hatten früher zwei Kühe im Stall stehen!“ „Bei uns zuhause gab es nur eine Ziege!“ „Der Nachmittag heute ist eine schöne Erinnerung an meine eigene Kindheit und Jugend!“ Vieles ging den Senioren durch den Kopf, die mit dem Seniorenkreis Weilbach vor kurzem den Bauernhof der Familie Weidner besucht hatten. Veranstaltungen wie diese sind für sie eine schöne Gelegenheit, sich an vergangene Zeiten zu erinnern und wieder in eine Welt einzutauchen, die längst vergangen ist.
Die Erinnerung schwindet
Bei den meisten Senioren, die noch rüstig und gesund sind, sind solche Rückblenden unproblematisch. Sie leben im Hier und Jetzt. Doch wie ergeht es den Menschen, die krank sind? Vor allem demente Senioren, bei denen die Erinnerungen schwinden, haben oft große Probleme, sich mit den Anforderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen und im Alltag zurechtzukommen.
Pflege-Weiterentwicklungsgesetz
Senioreneinrichtungen, in denen viele Demenzkranke betreut werden, haben dies erkannt und Mittel und Wege ergriffen, um den Menschen zu helfen. Vor einigen Jahren wurden mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherungen für Menschen, die bedingt durch ihre Demenzerkrankung Fähigkeitsstörungen aufweisen, ausgeweitet. So wurde unter anderem eingeführt, dass Pflegeheime für Personen, die einen erheblichen allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf aufweisen, zusätzliche Betreuungskräfte zur Betreuung und Aktivierung einstellen können. Dies wird durch leistungsgerechte Zuschläge honoriert und ist im §87b Sozialgesetzbuch (SGB) XI geregelt.
Ausbildung von Betreuungsassistenten
Dazu wurden Pflegekräfte entsprechend ausgebildet und geschult, einmal jährlich finden in der Regel Weiterbildungsmaßnahmen statt. Die Betreuungsassistenten, wie die speziell ausgebildeten Kräfte offiziell heißen, sind in den Einrichtungen mit der Betreuung demenzkranker Menschen beschäftigt. Dazu führen sie sowohl Gruppen- als auch Einzelaktivierungen durch. Die Gruppenaktivierungen sollen im Hauptteil den Dementen möglichst ganzheitlich erreichen. So sollen Körper, Seele und Geist jedes Einzelnen angesprochen werden; aber auch das Sozialverhalten der Teilnehmer soll gefördert werden. Wenn entsprechende Beschäftigungen eingebaut werden, dienen die Aktivierungen auch dazu, die Beweglichkeit zu erhalten. Für diejenigen Bewohner, die ihr Zimmer oder Bett aus verschiedensten Gründen nicht verlassen können, führen die Betreuungsassistenten Einzelaktivierungen durch. Generell sollen alle Angebote dazu beitragen, das Wohlbefinden der Bewohner zu steigern. Dies ist einer der wichtigsten Grundsätze, die die Arbeit der Betreuungsassistenten beinhalten.
Stufenweiser Krankheitsverlauf
Demenzkranke durchlaufen in der Regel einen stufenweisen Prozess der Erkrankung, in dem sich das Kurzzeitgedächtnis mehr und mehr abbaut. Dies geschieht zwar langsam, ist aber nicht reparabel. Damit fällt es demenzkranken Menschen zunehmend schwerer, mit vertrauten Personen oder alltäglichen Situationen umzugehen, denn das Gedächtnis hierfür lässt zunehmend nach. Hier setzt die Arbeit der Betreuungsassistenten an, die mit ihren Aktivierungen lange zurückliegende Erinnerungen wachrufen können. Denn diese Erinnerungen sind im Langzeitgedächtnis der Patienten abgespeichert und gehen normalerweise nicht verloren. Diese so genannten Lichtungen sind ein wichtiges Element bei der täglichen Arbeit mit Demenzkranken. Eine Lichtung stellt beispielsweise auch der Besuch auf dem Bauernhof dar, bei dem mit Gerüchen und Bildern Erinnerungen an die Jugendzeit hervorgerufen werden.
Auseinandersetzung mit der Biografie
Um Lichtungen bei demenzkranken Menschen hervor- oder wachzurufen, ist es unerlässlich, über deren Biografie Bescheid zu wissen. Die Fachleute unterscheiden dabei zwischen äußerer und innerer Biografie. Während bei der äußeren Biografie die reinen Fakten zählen, wie beispielsweise die Anzahl der Geschwister des Erkrankten oder ob er auf dem Land oder in der Stadt gelebt hat, erfasst die innere Biografie die Gefühle und den Bezug zu den äußeren Biografiefakten. Wenn die Betreuungsassistenten die Biografie eines demenzkranken Menschen kennen, dann können sie mit Hilfe von Bildern, Gerüchen oder Liedern die wichtigen Verknüpfungen für das Erreichen der Lichtungen bilden und Erinnerungen wachrufen, in denen der kranke Mensch erreichbar ist und sich wohlfühlt. Man könnte sagen, dass die Betreuungsassistenten in die Welt der demenzkranken Menschen eintauchen und versuchen, sie dort zu erreichen und abzuholen. Allerdings, und das macht die Tätigkeit oft nicht einfach, ist dies nur in gewissem Rahmen eine Zeitlang möglich. Je weiter die Krankheit fortschreitet, umso schwieriger ist es, Lichtungen zu erreichen.
Erfüllende und beglückende Tätigkeit
Wenngleich die Arbeit der Betreuungsassistenten mit sehr viel persönlichem Einsatz verbunden und im Verhältnis nicht besonders üppig entlohnt wird, so ist doch für die Mehrheit der Beruf eine wunderschöne Tätigkeit, die als erfüllend und beglückend empfunden wird.
Autor:Andrea Kaller-Fichtmüller aus Miltenberg |
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