Leben mit Demenz: Ein sehr persönlicher Bericht, der Mut macht
Demenz ist ein Oberbegriff für mehr als 50 Krankheitsformen. Sie verlaufen unterschiedlich, führen alle jedoch langfristig zum Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Die Ursachen für Demenzerkrankungen sind vielfältig. Die Zahl der Erkrankungen hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen und wird auch künftig nicht rückläufig sein, obwohl gerade in diesem Bereich sehr viel geforscht wird und die Wissenschaft immer wieder auf neue Erkenntnisse stößt.
Einer, der persönlich von der Thematik Demenz betroffen ist, ist Herbert Wufka aus dem Erlenbacher Stadtteil Mechenhard. Er pflegt seine demenzkranke Frau Christine seit fast drei Jahren. In einem sehr authentischen Bericht schildert er seine Erfahrungen mit der Krankheit und gibt Betroffenen und Angehörigen Mut, die schwere Zeit gemeinsam zu meistern.
Langsam, still und leise
„Begonnen hat alles eigentlich schon vor fast 14 Jahren“, erzählt Herbert Wufka zurückblickend. „Damals ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass mit meiner Frau etwas nicht stimmt. Christine hatte immer einen sehr guten Orientierungssinn. Bei Urlaubsfahrten konnte sie sich mühelos zurechtfinden und uns zu den Orten führen, die wir ausgesucht hatten. 2000 besuchten wir unseren Sohn in Vancouver. Bei dieser Gelegenheit unternahmen wir auch eine Fahrt in die Rocky Mountains. Unser Sohn schlug vor, dass meine Frau das Kartenlesen übernehmen und ihn lotsen sollte. Doch sie konnte die Karte nicht lesen. Die Wahrnehmung und die Orientierung waren offenbar eingeschränkt.“ In der Folgezeit bemerkt Herbert Wufka auch andere Unstimmigkeiten. „In Gesprächen mit Verwandten oder Freunden verwendete sie auffallend oft die gleichen Textbausteine oder kam immer wieder auf das gleiche Thema zu sprechen, obwohl dieses mit dem Gespräch nichts zu tun hatte.“
Die Erinnerung lässt nach
Mit der Zeit ließ dann auch das Kurzzeitgedächtnis nach. Herbert Wufka: „Meine Frau wusste nicht mehr, was wir am Tag zuvor gegessen hatten oder was wir am Wochenende gemeinsam unternommen hatten. Das war vor etwa sechs bis sieben Jahren.“ Hilfe sucht Ehepaar Wufka beim damaligen Hausarzt. „Der Hausarzt machte zwar verschiedene Tests, schob aber die Auffälligkeiten auf normale Alterserscheinungen zurück. Ich glaube, er war einfach nicht für das Thema sensibilisiert. Zudem hat Christine eine hohe Intelligenz und konnte die Ausfälle gut überspielen.“
Die Diagnose: Demenz
Dann steht eine Operation an. Herbert Wufka erinnert sich noch genau an die Ereignisse vor drei Jahren. „Ich hatte das Personal darum gebeten, ein Auge auf meine Frau zu haben. Aber irgendwie konnte es passieren, dass Christine ihr Zimmer verließ und auf dem Klinikgelände umherirrte. Glücklicherweise lief sie nicht auf die Straße, sondern wurde vorher wieder zurückgebracht. Jetzt endlich wurde ein Neurologe hinzugezogen.“ Und dann ging alles ganz schnell: Verschiedene Tests über kognitive Fähigkeiten, Gespräche und schließlich die Diagnose: Demenz.
Und plötzlich ist alles anders
Endlich ist klar, woran Christine Wufka leidet: Sie ist an Demenz erkrankt. „Während meine Frau es nicht wahrhaben will und die Diagnose nicht bewusst an sich herangelassen hat, war für unsere Söhne und mich das Erschrecken nicht so groß. Denn durch die Auffälligkeiten in den zurückliegenden Jahren war mir ja klar geworden, das etwas nicht stimmt.“ Und doch ist plötzlich alles ganz anders. „Der schleichende Prozess der letzten Jahre wird zum Dauerzustand und auf einmal ist man rund um die Uhr eingespannt.“
Erschwerend kommt hinzu, dass die sozialen Kontakte mit der Zeit immer weniger wurden. „Schulfreundinnen von Christine haben sich zurückgezogen, fragten nicht, kamen nicht. Die Kontakte rissen ab.“ Noch heute denkt Herbert Wufka nur ungern an diese Zeit zurück. „Wir fühlten uns immer mehr isoliert und ausgegrenzt. Ich denke heute, dass die Leute einfach nicht wussten, wie sie mit der Krankheit umgehen sollten.“
Die Familie, Anker und Hilfe in schwerer Zeit
Aber Herbert Wufka geht den Weg nach vorne. „Ich bin von Anfang an offensiv mit der Krankheit umgegangen, habe Verwandte und Freunde informiert. Auch mit unseren Söhnen, die mich stets unterstützen und für mich persönlich ein großer Halt sind, habe ich mich regelmäßig ausgetauscht.“ Und er hat vor allem eines getan: Er hat sich selbst über die Krankheit informiert und Bücher darüber gelesen. „So wurde mir besser klar, was mit meiner Frau passiert.“ Und er hat sich Hilfe geholt, als diese notwendig war, und sich ein Netzwerk aufgebaut. „Hilfe ist wichtig. Es ist kaum möglich, die Krankheit alleine zu bewältigen. Man geht selbst dabei kaputt.“
Hilfe suchen und auch annehmen
„Ich bin Herrn Schmitt von der Beratungsstelle für Senioren und pflegende Angehörige sehr dankbar“, gibt Herbert Wufka unumwunden zu. „Er hat mir in der schweren Anfangszeit sehr geholfen. Er war Gesprächspartner, mit dem ich mich austauschen konnte, und Ratgeber, der mir die verschiedenen Hilfsangebote aufgezeigt hat.“
Das Leben geht weiter
Inzwischen wird Christine Wufka mit Medikamenten behandelt. „Ich habe das Gefühl, dass sich der Krankheitsverlauf dadurch verlangsamt hat.“ Den Tag meistert das Ehepaar gut. Herbert Wufka: „Meine Frau schläft morgens gerne etwas länger. Wenn sie aufgestanden ist, helfe ich ihr bei der Morgentoilette und beim Ankleiden. Ich lege ihr die Kleidung zurecht und sage ihr, wie sie was anziehen soll. Sonst kann es schon passieren, dass sie versucht, die Hose als T-Shirt anzuziehen. Klar, ich brauche dafür Geduld und muss mich ihr zuwenden, aber ich kenne Christine schon so lange und weiß, was für ein liebevoller Mensch sie war. Ich habe damit kein Problem.“
Da der Tag-Nacht-Rhythmus von Christine Wufka noch funktioniert, sie auch nicht aggressiv und körperlich noch sehr fit ist, ist der Tagesablauf ansonsten nicht so sehr eingeschränkt. „Wir gehen viel spazieren, denn meine Frau läuft gerne. Oft unterhalten wir uns mit Passanten. Manchen fällt dann gar nicht auf, dass Christine krank ist.“
Tagespflege und Demenzgruppe
Dienstag ist Christine Wufka bei der Tagespflege der Caritas in Erlenbach. „Ein Angebot, das ich gerne annehme und nicht missen möchte, denn die Pflege dort ist liebevoll und wird sehr professionell durchgeführt.“ Zusätzlich besucht Christine Wufka am Donnerstagnachmittag eine Demenzgruppe, in der sie sich wohlfühlt, auch wenn sie ihrem Mann hinterher nicht erzählen kann, ob sie Kaffee getrunken hat oder welches Stück Kuchen sie gegessen hat. „Aber wenn sie getanzt hat, was die Gruppe manchmal macht, dann weiß sie das. Sie hat früher sehr gerne getanzt und die Erinnerung daran ist immer wach. Generell ist das eine tolle Gruppe, in der meine Frau gut aufgehoben ist.“
„Das Herz wird nicht dement!“
Vor etwa einem halben Jahr ist Christine Wufka in die zweite Phase der Krankheit eingetreten. „Sie findet sich jetzt in unserem Haus nicht mehr zurecht.“ Dennoch kommt Herbert Wufka noch sehr gut mit der Situation klar. „Ich stecke den Kopf nicht in den Sand. Zwar betrifft es mich, aber eigentlich bin ich doch machtlos. Ich denke es ist wichtig, dass man sich informiert und Hilfe sucht. Das tut gut und schafft Freiräume. Das Thema selbst ist ja so komplex. Ich wünsche mir, dass die Ärzte und die Bevölkerung mehr für die Krankheit sensibilisiert werden, denn die Zahl der Betroffenen nimmt leider immer mehr zu.“
Eines liegt Herbert Wufka sehr am Herzen: „Man sollte immer bedenken, dass der Mensch trotz der Erkrankung immer der gleiche bleibt. Ich würde sogar sagen, dass ich mit Christine heute emotional stärker verflochten bin, als dies früher der Fall war. Ihre guten oder auch weniger guten Eigenschaften sind immer noch vorhanden. Vieles tritt nicht mehr so deutlich zutage, aber es ist immer noch da. Das Herz wird nicht dement.“
Autor:Andrea Kaller-Fichtmüller aus Miltenberg |
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