Achtung! Helikoptereltern im Anflug! Werden unsere Kinder zu viel umsorgt?
Achtung, Achtung! Die Schule hat begonnen, Helikoptereltern im Anflug! Per landläufiger Definition sind das Eltern, die wie ein Überwachungshubschrauber um ihre Kinder kreisen, sie verplanen und überbehüten.
Obwohl viele Eltern sich gerne an die Freiheiten der eigenen Kindheit erinnern, bescheren sie dem Nachwuchs durch ihre Überfürsorge das genaue Gegenteil. Früher liefen Kinder alleine oder mit Freunden zur Schule, heute wird laut einer Elternumfrage des Forsa-Instituts jedes fünfte Grundschulkind mit dem Auto in die Schule chauffiert. Und das Handy ist zur längsten Nabelschnur der Welt geworden.
Turnbeutel oder Pausenbrot vergessen? Ruf mich an! Bus verpasst? Elterntaxi kommt! Parkchaos vor Schulen, genervte Lehrer und unselbstständige Kinder, so lauten die Vorwürfe an Helikoptereltern. Dabei meinen die es doch nur gut. Wie sieht es in den Schulen des Landkreises aus, und sind überfürsorgliche Eltern wirklich der Schrecken Nr. 1?
Dazu Monika Frank, staatliche Schulpsychologin am Schulamt Miltenberg:
"Es liegt in der Verantwortung der Eltern, immer wieder innezuhalten, das Kind genau zu beobachten und zu überlegen, was ist das Beste für ihn/sie und was ist wirklich wichtig?! Nach Erfahrungen aus meiner Beratungspraxis gibt es sie durchaus in einem erkennbaren Maße, aber man sollte nicht generell von einer „Generation Helikoptereltern“ sprechen. Viele tun es aus reiner Sorge um die vermeintlich „perfekte“ Zukunft des Nachwuchses in einer sich immer schneller verändernden Welt.
Je mehr Eltern aber ihren Kindern abnehmen und je mehr sie in einer Welt leben, in der alles verfügbar und vorgeplant ist, umso schwieriger wird es, gezielt zu helfen, wenn Anforderungen auftauchen, denen die Kinder dann nicht gewachsen sind oder wenn nicht alles nach Plan läuft. Verhaltensverträge haben keine Ziele mehr, für die sich Anstrengung lohnt und körperliche Reaktionen bei etlichen Schülern zeigen, wie sehr manche Kinder unter ihrer Situation leiden.
Daher sollte man sich immer wieder bewusst machen: Extreme sind selten günstig. Am besten für die Kinder wäre ein guter Mittelweg. Den Kindern mit Liebe und Wertschätzung begegnen, Zeit für gemeinsame Unternehmungen einplanen und Unterstützung beim Selbstständigwerden. Aber auch klare Regeln und Grenzen sind wichtig, die aufzeigen, in welchem Rahmen ich mich ausprobieren kann. Und da darf es dann auch mal Phasen der Langeweile geben, die Kreativität anregen können und zum Abschalten und Zur-Ruhe-Kommen einladen."
Stefan Adams, zuständig für Kinder, Jugend und Familie im Landratsamt
Miltenberg:
"Aus Sicht der Jugendhilfe, die durch die Jugendsozialarbeiter an vielen Schulen des Landkreises präsent ist, kann es eher wünschenswert sein, wenn Eltern sich engagiert um die Belange und um die Erziehung ihrer Kinder kümmern und sie bestmöglich fördern. Jugendsozialarbeiter haben oft eher mit dem Problem zu kämpfen, dass Eltern eine Mithilfe bei der Förderung ihres Kinders verweigern, oder die Zusammenarbeit mit Schule und Jugendhilfe erschweren, indem sie sich nicht an Absprachen halten oder schwer zu erreichen sind.
Überfürsorgliche Eltern tauchen in der Jugendsozialarbeit an Schulen sehr selten auf. In Einzelfällen suchen Schüler, die unter zu hohen Erwartungen der Eltern leiden oder die durch geringes Selbstwertgefühl und mangelnde Selbstsicherheit auffallen, weil ihre Eltern sehr dominant das Leben der Kinder bestimmen (wollen), den Kontakt zu Jugendsozialarbeitern.
Für die allermeisten Eltern ist die Erziehung ihrer Kinder sehr wichtig. Sie wollen ihre Kinder beschützen und Schaden von ihnen fern halten. Sie sind dabei nicht neutral, sondern eindeutig parteiisch für ihre Kinder. Schule und Eltern legen großen Wert auf eine gute Zusammenarbeit und Schule fordert die Beteiligung der Eltern an der Bildung ihrer Kinder auch ein. In Einzelfällen mag es da zu Missverständnissen oder Irritationen kommen, aber eine gute Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern schafft da meist Klarheit."
Ich bin dann weg ...
Um das Leben zu meistern, sollte man sowohl mit Erfolg als auch mit Niederlagen umgehen können und eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt haben. Und das lernt man nur, wenn man auch mal auf sich alleine gestellt ist – im freien Spiel mit anderen Kindern, ohne Kontrolle, ohne Erwachsene. Früher flog der Ranzen in die Ecke und man ging mit den Freunden raus. Unsere Väter fuhren als 10-jährige alleine kilometerweit mit dem Rad bis zum nächsten Badesee.
Heute erlauben wir es Kindern in diesem Alter kaum noch, sich in einem Radius von 500 Metern ums Haus selbstständig zu bewegen. Es wurde festgestellt, dass der sogenannte Streifradius von Grundschulkindern – also das Gebiet, das sie auf eigene Faust entdecken können – innerhalb weniger Jahrzehnte von 20 auf 4 Kilometer geschrumpft ist.
Polizeihauptkommissar Hubert Becker, Verkehrserzieher bei der Polizeiinspektion Miltenberg:
"Eine übertriebene Vorsicht legen Eltern an den Tag, die mit dem 'Elterntaxi' bis unmittelbar vor den Schuleingang fahren.
Wie eine vom ADAC in Auftrag gegebene Studie durch die Bergische Universität Wuppertal belegt, kamen auf dem Schulweg im vergangenen Jahr weit mehr Kinder im Auto ihrer Eltern zu schaden, als Kinder, die zu Fuß unterwegs waren. Zudem werden andere Kinder durch Fahrmanöver vor den Schulen gefährdet.
Der bessere Weg ist es, Kinder gut auf den Schulweg vorzubereiten, mit ihnen den Schulweg mehrfach abzugehen und dabei auf Gefahrenstellen hinzuweisen. Dies dient auch der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder, damit sie nach und nach lernen, auf 'eigenen Füßen' zu stehen. Sollte der Schulweg wirklich in Ausnahmefällen zu weit sein, ist es sinnvoll, das Kind schon zirka 200 Meter vor der Schule abzusetzen, damit es die letzten Meter mit anderen Kindern bewältigen kann."
Vorwurf: zu viel des Guten
Oft werden viel Energie, Zeit und auch Geld eingebracht, um die optimale Förderung und Betreuung des Kindes zu organisieren. Leerlauf, in dem das Kind sich selbst überlassen bleibt oder sich – ach du Schreck – langweilt, scheint verpönt.
Dahinter steckt oft die Angst, das Kind könnte es später einmal schwer haben, wenn es nicht von Anfang an auf Leistung getrimmt ist. Ein Vorwurf an Helikoptereltern: Sie sind zu ehrgeizig und setzen ihre Kinder unter Druck, das Kind muss erfolgreich sein, um das Ego der Eltern zu befriedigen. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?
Dazu noch einmal Stefan Adams vom Landratsamt Miltenberg:
"Ich glaube, dass es in solchen Situationen weniger um das Ego der Eltern geht, sondern um deren Wunsch, für ihre Kinder das Beste zu wollen und die 'Kontrolle' zu behalten. Der Grad zwischen Motivation und Druck ist oft sehr
schmal und verändert sich je nach Situation und Rahmenbedingungen. 'Fördern und fordern' ist ein pädagogisches Prinzip, das oft richtig ist, aber immer wieder individuell dem jeweiligen Kind und seiner Situation angepasst werden muss.
Mit zunehmendem Alter haben Kinder ein steigendes Autonomiebedürfnis. Spätestens mit Beginn der Pubertät verändert sich diese Situation meist komplett und Kinder fordern massiv die Hoheit über die eigene freie Zeit zurück oder beginnen mit der eigenen Lebensplanung, die sich auch mal von der ihrer Eltern unterscheidet."
Wie viel Förderung braucht ein Kind?
Adams: "So viel wie nötig. Kinder sollten in einem ausgewogenem Maße gefördert und gefordert werden. Förderung sollte sich außerdem an den Interessen der Kinder orientieren. Auf jeden Fall sollte es genügend unverplante Zeit für das Treffen mit Freunden, Hobbys oder Langeweile zur Verfügung haben."
Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern und sich für sie einsetzen, sind anscheinend doch nicht automatisch überreagierende Helikoptereltern. Die Kunst ist, das richtige Maß zu finden und die eigenen Kinder nicht zur Unselbstständigkeit zu erziehen.
Und noch etwas: Eltern schwärmen oft von der eigenen Kindheit, in der man stundenlang sich selbst überlassen war – unkontrolliert, unbeobachtet, ungefördert. Gönnen wir es unseren Kindern doch auch – wenigstens ab und zu.
Autor:Sabine Rindsfüsser aus Miltenberg |
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