Stadtentwicklung: Bürgermeisterkandidatin Sabine Balleier kritisiert Bebauungsplan für Altes Bahnhofsgelände in Miltenberg
„Planung verfehlt ihr Ziel“

Miltenberg. Der Miltenberger Stadtrat wird sich in nächster Zeit mit etlichen Einwänden gegen den Bebauungsplan für das Alte Bahnhofsgelände beschäftigen müssen. „Bei der Stadt ist offenbar eine ganze Reihe von Stellungnahmen eingegangen“, berichtet Bürgermeisterkandidatin Sabine Balleier. Am Donnerstag ist die Frist zu Ende gegangen, innerhalb derer Bürger sich zur vorgesehenen Bebauung des Areals am Mainufer mit Märktezentrum, Wohnhäusern und Hotels äußern konnten. Insbesondere die Einkaufsmärkte stoßen bei vielen Menschen auf erheblichen Widerstand.
Sabine Balleier ist eine derjenigen, die Widerspruch gegen die Planungen erhoben haben. Ihre größten Kritikpunkte: Die Planer hielten sich nicht an Empfehlungen aus Einzelhandelsgutachten und Integriertem Städtebaulichem Entwicklungskonzept (Isek), das Vorhaben gefährde den bestehenden Einzelhandel, füge sich nicht in das Miltenberger Stadtbild ein und erzeuge zu viel Verkehr. „Die Planung verfehlt ihr Ziel, ein ,attraktives Quartier in exponierter Lage am Main’ zu schaffen, in vielerlei Hinsicht“, kritisiert Balleier.
So empfehle beispielsweise das 2007 erstellte und 2013 aktualisierte Einzelhandelsgutachten für das Alte Bahnhofsgelände eine Textilverkaufsfläche von 1000 Quadratmetern. „Vorgesehen ist mehr als das Doppelte“, erklärt die von der SPD unterstützte Bürgermeisterkandidatin. Auch wesentliche Vorschläge der Bürger aus dem Isek fehlten: eine Seniorenwohnanlage, ein Wohnmobil-Stellplatz, vernetzte Grün- und Freizeitzonen entlang des Mains. Hinzu komme, dass der Bebauungsplan den Investoren keine Vorgaben für die Gestaltung der Gebäude mache. „Das Einzige, was geregelt ist, ist, dass Gebäude mehr als 50 Meter lang sein dürfen“, erklärt Balleier. „Theoretisch können uns die Investoren am Alten Bahnhof also alles hinstellen – bis hin zum fast fensterlosen Riesen-Klotz.“
Sorgen bereitet der Bürgermeisterkandidatin das Thema Verkehr: „Das Verkehrsgutachten geht von 3700 Fahrzeugen zusätzlich pro Tag aus.“ Dabei habe sich die Stadt seit Jahren bemüht, Autos und Laster aus der Ortsdurchfahrt zu verbannen – durch die Umgehungsstraße, die Verschmälerung der Mainstraße und die an Idee, dort Tempo 30 anzuordnen, die letztlich daran scheiterte, dass die Strecke Ausweichroute für die Umgehungsstraße ist. „Und nun will man mit dem  Märktezentrum wieder massiv Autofahrer in die Stadt holen“, kritisiert Sabine Balleier. „Das läuft doch allem zuwider, was die Stadt in den vergangenen Jahren mit mehr oder weniger Erfolg zu regeln versucht hat: der Beruhigung der Bürgstädter Straße, dem gescheiterten Tempo 30 in der Eichenbühler Straße, jedem Versuch, Autofahrer auf die Umgehung zu zwingen… Aber irgendwann muss sich eine Kommune doch mal entscheiden, was sie eigentlich will.“
Was passiert nun mit den Einwänden, die der Stadt vorliegen? Die Vorschriften sehen vor, dass die einzelnen Punkte gegeneinander abgewogen werden. Dafür werden sie nach Inhalten sortiert und zusammengefasst. Die Verwaltung nimmt zu jedem Einwand Stellung; der Stadtrat entscheidet, ob der Einwand berücksichtigt wird oder ob ihm ein anderes Interesse entgegensteht.

Die Stellungnahme von Bürgermeisterkandidatin Sabine Balleier im Wortlaut:

Betr.: Stellungnahme zur Neuaufstellung zweier vorhabenbezogener Bebauungspläne „Einkaufen in der Stadt“ und „Wohnen am Fluss“ als erste bzw. zweite Änderung des Bebauungsplanes „Mainzer Straße“ mit Berichtigung des Flächennutzungsplanes

Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit widerspreche ich den Entwürfen der beiden oben genannten Bebauungspläne. Die Begründung lautet wie folgt:

Die gesamte Planung für die beiden Bauvorhaben beruht auf einer veralteten Datengrundlage: Zitiert werden in den Erläuterungen der ursprüngliche Bebauungsplan „Mainzer Straße“ aus dem Jahr 2007, das ISEK aus dem Jahr 2011 sowie das 2013 aktualisierte Einzelhandelsgutachten des Büros GMA aus dem Jahr 2006. Zwischen der Erstellung der Dokumente und dem Zeitpunkt der Offenlegung liegen erhebliche Zeitspannen, die Auswirkungen auf die Einschätzung des Vorhabens haben. Die Situation in der Stadt, im Einzelhandel in deutschen Kleinstädten sowie in den umliegenden Kommunen hat sich seit Erstellung der genannten Gutachten signifikant verändert. Die Planungen lassen demnach Aktualität vermissen bzw. orientieren sich nicht mehr an der aktuellen Situation in Miltenberg und den umliegenden Gemeinden. Die Bewertungen zur Notwendigkeit des Vorhabens lassen Entwicklungen wie die der Seehecke in Kleinheubach außer Acht und können daher nicht als ausreichende Entscheidungsgrundlage herangezogen werden.

Die geplante Wohnbebauung birgt die Gefahr der Überdimensionierung. In der Begründung zum Vorhabensbereich „Wohnen am Fluss“ heißt es: „Die Geschossigkeit kommt der Ansiedlung von zentralen urbanen Wohnformen entgegen.“ Die Formulierung suggeriert einen hohen Bedarf an Wohnraum in Miltenberg; eine solide Datengrundlage für den künftigen Bedarf gibt es indes nicht. Stattdessen weisen die Planer selbst darauf hin, dass das Statistische Landesamt für den Landkreis Miltenberg bis zum Jahr 2036 einen Bevölkerungsrückgang um fünf Prozent voraussagt. Eine Aussage dazu, warum dies in der Stadt Miltenberg anders sein sollte, treffen die Begründungen zum Bebauungsplan nicht. 
Die ambitionierte Planung mit knapp 80 Wohnungen steht im Widerspruch zu einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (Quelle: www.iwkoeln.de). Diese besagt unter anderem, dass Wohnungs-Neubauten in ländlichen Räumen, zu denen auch Miltenberg zählt, zu Leerständen in den Ortskernen führen. Die Schaffung zusätzlichen Wohnraums sei nur dort sinnvoll, wo ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr das Wohnen fernab der Großstädte attraktiver mache und somit die Metropolen entlaste. 
Das jedoch ist in Miltenberg bislang nicht der Fall. Die Bahnverbindungen ins Rhein-Main-Gebiet und in Richtung Würzburg sind schlecht, weisen lange Fahrt- und Umstiegszeiten auf. Der Verweis der Planer auf die B469 als gute Verkehrsanbindung an die A3 und damit das Rhein-Main-Gebiet vernachlässigt Realitäten wie Distanzen, steigende Benzinkosten, die massiven Staus im Großraum Frankfurt und bei Würzburg sowie nicht zuletzt den Umweltfaktor. 
Unter den derzeitigen Bedingungen führt die Schaffung einer derart großen Zahl neuer Wohnungen nicht zu einer Entlastung der Ballungsgebiete, sondern erzeugt den Einschätzungen der Fachleute zufolge lediglich weitere Leerstände in gewachsenen Ortskernen – in Miltenberg selbst, aber auch in allen umliegenden Kommunen.

In der Begründung des Planvorhabens ist die Rede von einem „Verbundeffekt“: Die Märkte am Alten Bahnhof nutzten dem Einzelhandel in der Innenstadt. Ziel der Planung sei es, die „Einzelhandelsversorgungsfunktion in der Innenstadt zu stärken“. Die Planung verfehlt in dieser Hinsicht ihr Ziel. Wie vielfältige Stellungnahmen der Einzelhändler zeigen, befürchten die Geschäftsleute vielmehr einen Abzug von Kaufkraft aus der Innenstadt. Die Stadt Miltenberg würde damit einen wesentlichen touristischen Faktor – ihre lebendige Altstadt mit vielen kleinen Boutiquen – aufs Spiel setzen. Die im Vergleich mit anderen Städten ähnlicher Größe nach wie vor recht gut funktionierende Struktur sollte nicht durch die Ansiedelung von Billigmärkten gefährdet werden. Hinzu kommt, dass die Planung sich nicht an die Empfehlungen des Einzelhandelsgutachtens der GMA hält: statt der empfohlenen 1000 Quadratmeter Textilverkaufsfläche sieht der Bebauungsplan „Einkaufen in der Stadt“ mehr als 2000 Quadratmeter für Textilsortimente vor und schafft damit eine existenzgefährdende Konkurrenz zu den Geschäften in der Altstadt.

Das Hotelvorhaben im Planbereich „Wohnen am Fluss“ ist nicht auf topographische Besonderheiten sowie den Ensembleschutz der Miltenberger Altstadt abgestimmt. Ein Kubus mit sieben Stockwerken ausgerechnet an der schmalsten Stelle des Mains in Miltenberg, wo der Bau das historische Schwertfegertor, die umgebende Bebauung mit dem beginnenden Schwarzviertel und nahezu auch den Hang des Greinbergs in den Schatten stellt, ist architektonisch unvereinbar mit Landschaftsschutz und Denkmalschutz der historischen Altstadt. Deren besonderes Erscheinungsbild würde sowohl aus den Betrachtungsperspektiven mainauf- und abwärts, als auch vom gegenüberliegenden Mainufer aus empfindlich gestört.

Die Mainzer Straße ist offiziell ausgewiesene Ausweichstrecke für die Umgehungsstraße. Das Verkehrsgutachten zum Vorhaben berücksichtigt nicht Verkehrsströme, die durch regelmäßige Sperrungen der Umgehung für Wartungsarbeiten am Tunnel entstehen. Insbesondere zu Spitzenzeiten rechnen Verkehrsplaner zudem laut Planunterlagen mit „Stau“ auf der Breitendieler Straße und erschwertem Fahrzeugabfluss. Da zur Entlastung der Stadt vom Verkehr eigens eine Umgehungsstraße gebaut wurde, ist es nicht nachvollziehbar, warum jetzt ohne Not zusätzlicher Verkehr im Stadtkern in einem solchen Ausmaß generiert werden soll. 
Die Zahl der Fahrzeugbewegungen im betroffenen Bereich würde den Berechnungen zufolge um mehr als ein Drittel steigen: Etwa 3700 Fahrzeuge mehr sollen demnach Tag für Tag über die Mainzer Straße rollen – der größere Teil davon in Richtung Innenstadt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in den Begründungen zum Planvorhaben mehrfach das Verkehrsaufkommen mit 10.000 Fahrzeugen pro Tag beziffert wird. Dieser Wert stammt aus dem Jahr 2010 und ist veraltet. 
Insbesondere das Märktezentrum im Bebauungsplanbereich konterkariert die bisherigen Bemühungen der Stadt, über die Umgehungsstraße, die Verschmälerung der Mainzer Straße und eine - aus rechtlichen Gründen nicht umsetzbare - Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h Verkehr aus der Innenstadt fernzuhalten. Es ist davon auszugehen, dass auch Pendlerverkehr aus Richtung Bürgstadt, Freudenberg und Eichenbühl mit Errichtung des Märktezentrums weniger die Umgehung und verstärkt die direkte Verbindung durch die Innenstadt nutzt, wenn auf dem Weg noch Einkäufe erledigt werden können. Der Nutzen der Umgehungsstraße wird damit massiv in Frage gestellt. 
Hinzu kommt, dass die Ein- und Ausfahrten für das Märktezentrum den Radweg Miltenberg – Weilbach – Amorbach mehrfach unterbrechen. Dies stellt eine Gefahrensituation für Radfahrer und eine empfindliche Störung des Radwegekonzepts für den Kreis Miltenberg dar. Reelle Ausweichmöglichkeiten werden mit dem Plan nicht geschaffen.

Die Planung verfehlt ihr grundsätzliches Ziel, ein attraktives Quartier in exponierter Lage am Main zu schaffen. Der Besatz des Märktezentrums mit Billiganbietern steht dem Ziel der Attraktivität ebenso entgegen, wie der durch Kundenverkehr und Anlieferung entstehende Lärm und die fehlenden Freizeitflächen am Main im Bereich des Planungsgebiets. Der neu zu schaffende (Premium-)Radweg verläuft eingeengt zwischen Wohnblocks und Discounterhallen, ohne eine attraktive Möglichkeit zum Verweilen zu bieten. Die Planung schottet sich gegen den Main ab, statt sich – wie vorgesehen – in Richtung des Flusses zu öffnen. Sichtachsen und Korridore, die eine Verbindung von der Mainzer Straße zum Ufer schaffen, sind nicht zu erkennen.

Der Bebauungsplan trifft keine ausreichende Festsetzung für die Gestaltung der Baukörper. Gebäudelängen von mehr als 50 Metern sind zulässig, für das äußere Erscheinungsbild macht der Plan keinerlei Vorgaben. Die Planung versagt demnach bei der Erreichung des eingangs formulierten Ziels, eine attraktive Gestaltung in exponierter Lage am Fluss mit unmittelbarer Verbindung zum Umfeld mit historischen, denkmalgeschützten Gebäuden wie Schwertfegertor, Altem Bahnhof und Mainzer Tor zu schaffen. Vielmehr entsteht ein ghettoartiger Bereich, der im scharfen Widerspruch steht zur ensemblegeschützten Altstadt, dem Landschaftsbild mit Main und Greinberg im Hintergrund sowie der grundsätzlich kleinteilig gehaltenen Bebauung in Miltenberg.

Als ein wichtiger Grund für die Neufassung der Bebauungspläne wird das Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzept aus dem Jahr 2011 angeführt. Fakt ist jedoch, dass wesentliche Wünsche der Miltenberger Bürger aus dem Isek-Prozess im aktuellen Entwurf des Bebauungsplans keinerlei Berücksichtigung finden. Beispiele sind die Einrichtung eines Wohnmobil-Stellplatzes, die Aufwertung des Mainufers, eine Vernetzung der Grün- und Freizeitzonen entlang des Mains oder die Errichtung einer Seniorenwohnanlage. Keiner dieser Vorschläge aus dem Isek-Prozess wurde berücksichtigt. Damit wird das Planvorhaben nicht den gesellschaftlichen Anforderungen an moderne Quartiere gerecht.

Der Bebauungsplan enthält in der geänderten Fassung nach wie vor Festsetzungen, die einen Besatz mit Geschäften im Sinne der Bürger nahezu unmöglich machen. So sind ein Elektronikmarkt wie Euronics oder ein Einrichtungsmarkt wie Depot (beide angesiedelt in Kleinheubach) von vornherein als innenstadtrelevant ausgeschlossen.

Die Entwicklung von Gastronomie- und Einzelhandelsflächen bedeutet emissionsrechtlich eine hohe Belastung für die Anwohner in der Umgebung. Andererseits behindert die Wohnbebauung aus Schallschutzgründen die künftige Entwicklung des Reifenhandels in der Mainzer Straße. Auch ein gastronomischer Betrieb an der Mainzer Straße – wie zuletzt das „Red Rock“ – scheint aufgrund verschärfter Lärmvorschriften wegen der Wohnbebauung nicht mehr möglich.

Der in der Begründung zum Bebauungsplanvorhaben enthaltene Hinweis, die Schleppkurven für die Belieferung des Netto-Marktes sollten detaillierter untersucht werden, weckt die Befürchtung, dass die Lieferzone in der Planung nicht ausreichend groß für Lastwagen angelegt wurde. Die Folge wären unnötige Rangiervorgänge in der Lieferzone, die eine zusätzliche Lärmbelastung für die Wohnbebauung mit sich bringen würden.

Die Spielplätze in dem beiden Planbereichen „Einkaufen in der Stadt“ und „Wohnen am Fluss“ sind zu klein dimensioniert und schlecht positioniert. Die Reaktionen der Bevölkerung auf das neugestaltete Mainufer im Bereich des Schwarzviertels zeigt deutlich den auch im Isek geäußerten Bedarf der Menschen nach ansprechend gestalteten Aufenthaltsflächen am Fluss. Dem wird die vorliegende Planung nicht gerecht.

Naturschutz: Das überplante Gelände ist aufgrund seines Bewuchses derzeit Heimat zahlloser Wildbienen und anderer bedeutender Insekten. Ein angemessener Ausgleich ist im Bebauungsplan nicht ersichtlich. Entsprechende Festsetzungen, zum Beispiel zur insektenfreundlichen Bepflanzung von Dächern, fehlen.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Balleier

Autor:

Sabine Balleier aus Miltenberg

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