Kinder und Jugendliche sind nicht nur Schülerinnen und Schüler!
Landtagsabgeordneter Berthold Rüth (CSU) und Akteure der außerschulischen Jugendbildung tauschten sich über die aktuelle Lebenssituation junger Menschen im Landkreis Miltenberg aus.
„Ich bin da ganz bei Ihnen. Kinder und Jugendliche brauchen jetzt in diesen schwierigen Zeiten auch außerhalb von Schule Orte, wo sie sich mit ihren Freunden treffen können und fernab von Lehrplänen und Leistungsdruck gemeinsam Zeit verbringen können.“, betonte Landtagsabgeordneter Berthold Rüth (CSU) beim Gespräch mit dem Kreisjugendring (KJR) Miltenberg, dem Würzburger Diözesanverband des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der Regionalstelle für Kirchliche Jugendarbeit im Landkreis Miltenberg und dem Jugendhaus Sankt Kilian.
Die Akteure der außerschulischen Jugendbildung und Jugendverbandsarbeit teilten am Montag, 3. August Herrn Rüth ihre Sorge mit, dass Kinder und Jugendliche immer wieder und in Zeiten von Corona noch verstärkter nur noch auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler reduziert werden. Deutlich werde dies an der am 9. Juli 2020 veröffentlichten Anordnung des Bayerischen Kultusministeriums, in welcher mehrtägige Klassenfahrten bis Ende Januar 2021 verboten werden. In der Begründung der Anordnung heißt es: „Der Fokus im ersten Halbjahr des neuen Schuljahres 2020/21 soll und muss auf der Erteilung von Unterricht liegen, um Unterschiede im Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler, die sich infolge des pandemiebedingten eingeschränkten Schulbetriebs ergeben haben, bestmöglich auffangen zu können.“ Gleichzeitig werden gemäß der Anordnung aber Klassenfahrten erlaubt, die eine Berufsorientierung als inhaltliches Ziel verfolgen. Lukas Hartmann, Leiter des Jugendhauses St. Kilian, kann die inhaltliche Begründung nicht nachvollziehen: „Dem Kultusministerium geht es nicht vorrangig um Fragen des Gesundheitsschutzes und um die Einhaltung der Infektionsschutzverordnung, sonst würden sie generell alle Schulfahrten untersagen. Die Ausnahme von Berufsorientierungsmaßnahmen offenbart das Bildungsverständnis, dass das Kultusministerium vertritt. Es geht ihnen nur um eine formale schulische Bildung.“
An diesem Punkt setzte die BDKJ-Diözesanvorsitzende Christina Lömmer mit ihrer Kritik an: „Wieder einmal wird deutlich, dass es nur um die wirtschaftliche Verwertbarkeit von jungen Menschen geht. Außerhalb der Schule, in den Vereinen und Jugendverbänden oder bei Maßnahmen der Jugendbildungshäuser finden auch wichtige Lern- und Bildungsprozesse statt, die erheblich zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen beitragen. Sie erwerben hier Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen, die es später im Berufsalltag auch braucht.“
Jugendseelsorger Pfarrer Bernd Winter von der Regionalstelle für Kirchliche Jugendarbeit berichtete von zahlreichen Gesprächen, die er in den vergangenen Wochen und Monaten mit Jugendlichen geführt hatte: „Die jungen Leute haben sehr unter der häuslichen Isolation gelitten, ihnen fehlte der Kontakt zu Freunden und Schulkameraden.“ Sie bräuchten jetzt mehr den je Gemeinschaftserlebnisse, die sie normalerweise in Gruppenstunden, bei Gottesdiensten oder bei Ferienangeboten wie Zeltlagern erfahren würden. Von ähnlichen Erlebnissen berichtete auch Alison Wölfelschneider, ehrenamtliche Vorsitzende des Miltenberger KJR und Leiterin ihrer örtlichen Jugendfeuerwehr: „Meinen Mädels und Jungs bei der Jugendfeuerwehr fehlt der regelmäßige Kontakt zu den Gleichgesinnten und damit auch das Ventil, ihre Frusterlebnisse und ihre negativen Erfahrungen, die sie im Alltag in Familie, Schule oder mit Freunden machen, rauszulassen.“
Bestätigt werden die Eindrücke von Winter und Wölfelschneider durch die gerade veröffentlichte „COPSY-Studie“ des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Diese hat bei einer Befragung von 1.000 Kinder und Jugendlichen festgestellt, dass sich die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen in Deutschland während der Corona-Pandemie vermindert hätte und sie zunehmend unter psychischen und psychosomatischen Auffälligkeiten leiden würden.
Jenniffer Hartmann, Geschäftsführerin des Kreisjugendrings, sah die Bedeutung von Ferienmaßnahmen und Klassenfahrten für die Entwicklung junger Menschen durch die „COPSY-Studie“ belegt: „Die Befragungen des Hamburger Universitätsklinikums zeigen, wie wichtig gerade jetzt positive Erlebnisse und Gemeinschaftserfahrungen für Kinder und Jugendliche sind, um die negativen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Ein gemeinsamer Abend am Lagerfeuer, ein Spielenachmittag oder eine Schnitzeljagd - alles Klassiker der Jugendarbeit - können Kindern und Jugendliche ein Stück Normalität zurückbringen.“
Landtagsabgeordneter Rüth zeigte Verständnis für die Kritikpunkte und versprach, diese mit nach München zu nehmen und mit dem Staatsminister für Unterricht und Kultus, Prof. Dr. Michael Piazolo, zu besprechen. Er wolle für eine möglichst regionale Umsetzung der Anordnung des Kultusministeriums werben: „Es muss möglich sein, dass die Schulleitungen vor Ort auf Grundlage des aktuellen Infektionsgeschehens im Landkreis entscheiden dürfen, ob die Durchführung einer Klassenfahrt möglich und sinnvoll ist oder eben nicht.“ Gleichzeitig bat er um Verständnis, dass sich die Verantwortlichen in München Entscheidungen im Hinblick auf Lockerungen nicht leicht machen würden, da sie verschiedene Interessen und Anliegen im Blick hätten und diese miteinander vereinbaren wollen und müssen.
Hartmann bat Herrn Rüth um eine zügige politische Lösung: „Die Situation fürs Jugendhaus ist ernst. Durch den Lockdown sind seit März allein rund 40 außerschulische Jugendbildungsmaßnahmen ausgefallen, das waren rund 3.100 Übernachtungen. Wenn die aktuelle Anordnung bestehen bleibt, fallen uns bis Ende Januar weitere 35 mehrtägige Veranstaltungen aus, die wir normalerweise mit Schulen aus dem Landkreis Miltenberg und Aschaffenburg durchführen würden. Weitere 30 außerschulische Maßnahmen anderer Veranstalter und Akteure wären davon auch betroffen.“ Wenn die Anordnung tatsächlich erst zum zweiten Halbjahr aufgehoben werden würde, gäbe es vielleicht im Sommer 2021 die eine oder andere Jugendbildungsstätten als Orte von Schullandheimaufenthalten, Tagen der Orientierung oder Tutorenschulungen nicht mehr.
Hartmann bedankte sich abschließend bei Herrn Rüth für das offene und konstruktive Gespräch.
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