Die Rehkitzretter sind bald wieder unterwegs
Bewaffnet mit einem langen Stock, wegen der Sonne gut „behütet“ und die Hose gegen die Zecken in die Socken gestopft marschieren die Rehkitzretter voll motiviert los: Auf die Suche nach jungen Kitzen, um sie dem Mähtod zu entreißen! Jedes Jahr spielen sich während der Mahd auf unseren Wiesen Dramen ab. Es werden tausende von jungen Kitzen „vermäht“ oder sie überleben schwer verletzt. Durch schwere Schnittverletzungen oder abgetrennte Beinchen verenden viele von ihnen langsam und qualvoll. Auch die Rehmütter erleiden aufgrund der nicht abgesaugten Milch Euterentzündungen, an denen sie sterben können. Klingt hart. Ist Realität.
Dazu kommt, dass das verweste Fleisch weiter in die Nahrungskette gelangt. Es verbleibt im Heu und wird als Futter von Kühen und Pferden aufgenommen. Die können an bakterienverseuchtem Futter ebenfalls verenden. Auch regional sind bereits einige Tiere nachweislich daran gestorben.
Mit etwas Aufwand kann dies reduziert, wenn nicht sogar verhindert werden. Etwa durch die Aktion „Action for Kitz“, bei der die Helfer vor der Mahd systematisch die Wiesen auf der Suche nach Jungtieren ablaufen.
Diese Initiative wurde vor vier Jahren von Doris Völker-Wamser aus Hausen ins Leben gerufen, die solch ein Drama vor der eigenen Haustür erlebt hat und nicht tatenlos bleiben wollte: „Angefangen hat alles, weil ich beim Spaziergang am Waldrand immer wieder Körperteile von vermähten Kitzen fand, und Ricken die tagelang nach ihren Jungen suchten. Dieser Anblick ließ mich nicht mehr los. Ebenso wichtig ist mir auch, im heutigen Medienzeitalter unsere Jugend wieder für die Heimat zu sensibilisieren.“
Zwischen Mai und Juli werden die meisten Rehkitze geboren. Die Geiß legt das Kitz ins hohe Gras, wo es kaum zu sehen ist. Meist lässt die Mutter es allein, um keine Feinde auf das Versteck aufmerksam zu machen, und kommt nur zum Kontrollieren, Putzen und Füttern. Da kleine Kitze bei Gefahr nicht weglaufen, sondern sich ducken, haben sie gegen die Mähmaschinen keine Chance.
So läuft der Einsatz
Will ein Bauer mähen, ruft er im Vorfeld einen Kitz-Retter an. In der gegründeten WhatsApp-Gruppe wird mitgeteilt, wo und wann Treffpunkt ist – wer kann, ist da, es gibt keine Verpflichtung und kein Muss – und dann wird systematisch mit Stöcken (um das Gras zu teilen) die Wiese abgelaufen. Dies dauert in der Regel zwischen 1 und 2 Stunden – je nach Wiesenfläche und Helferzahl. Findet man ein Kitz, darf man es nicht mit bloßen Händen retten. Dazu werden Gummihandschuhe angezogen oder das Kitz mit viel Gras hochgenommen und abseits in eine ungemähte Nachbarwiese versetzt. Bauern und Jäger/Jagdpächter sind zwar angehalten, die Wiese vor dem Mähen abzugehen, da aber mehrere großen Wiesenflächen oft an einem Tag gemäht werden, ist dies für sie in der Kürze der Zeit nicht zu schaffen.
Elektronische Rehkitz-Retter
Seit zwei Jahren kommen zusätzlich elektronische Rehkitzretter zum Einsatz. Die Geräte, die von einem Jäger entwickelt wurden, geben akustische und sichtbare blaue Signale ab, die die Tiere von den Liegeplätzen vertreiben sollen.
Sie werden ein bis max. drei Tage vor dem Mähen auf den Wiesen verteilt. Die elektronischen Geräte ersetzen allerdings nicht das Ablaufen, da frisch gesetzte Kitze ihren Liegeplatz nicht verlassen. Bisher wurden die akustischen Geräte gesponsert (der Preis pro Stück ohne Akku und Ladegerät liegt bei 85 Euro) – weitere Sponsoren sind jederzeit willkommen!
Mit Unterstützung der Sparkasse Miltenberg-Obernburg ehrt der Kreis Kommunen, die sich besonders für den Schutz von Jungtieren einsetzen. 2017 wurde die Spessartgemeinde Hausen zur kitzfreundlichsten Gemeinde, in diesem Jahr wurde Eichelsbach mit dem Bambi-Preis der Initiative „Action for Kitz“ geehrt. Jeder kann künftig eine Gemeinde mit den entsprechenden Unterlagen und Infomaterial für eine Auszeichnung nominieren. Ansprechpartner ist das Büro des Landrats. Vielleicht wird es in diesem Jahr ja einmal eine Gemeinde aus dem südlichen Landkreis?
Stimmen zu „Action for Kitz
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Initiatorin Doris Völker-Wamser aus Hausen: „Dass das Ganze so gut ankommt und sogar mehrfach ausgezeichnet wurde, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte sogar Angst davor, dass die Kitzrettung zu wenig Menschen interessiert. Die Auszeichnungen, das Interesse der Jugend und viele positive Resonanzen von Verantwortlichen sind der Auftrieb, den man braucht, um weiterzumachen. Ich begegne doch auch leider immer wieder Jägern und Landwirten die nur daran interessiert sind, möglichst nichts tun zu müssen. Gott sei Dank gibt es auch Leute wie die Vorstandschaft der Kreisgruppe Obernburg des Bayerischen Jagdverbandes und Vorstände des Bayerischen Bauernverbandes, die mir stets mit Rat und Tat zur Seite standen. In den Orten, wo auch die Beteiligung der freiwilligen Helfer sehr gut funktioniert, konnten die Zahlen der vermähten Kitze auf Null reduziert werden. Das Engagement der Bevölkerung muss aber vielerorts noch verbessert werden. Dabei könnten auch wieder die zuständigen Jäger und Landwirte in eigenem Interesse maßgeblich beitragen.“
Barbara Ben Amor aus Eichelsbach: „Ich bin bei uns im Ort Ansprechpartnerin für die Helfer, Jäger und Landwirte, und es ist eine sehr gute Zusammenarbeit. Mit dieser Aktion retten wir vielleicht nicht die Welt, aber einen kleinen Teil davon, und wir erleben auch viele emotionale Eindrücke: Etwa, wenn uns Tiere und Pflanzen begegnen, die uns noch in Staunen versetzen. Wenn es Kritik hagelt – berechtigt oder unberechtigt. Oder wenn der Jagdpächter uns nach der Aktion zum Dank in seine Jagdhütte einlädt. Achtsamkeit gegenüber allem Leben ist mir sehr wichtig.“
Hugo Konrad aus Hausen, der seit 25 Jahren als Jagdpächter in Eichelsbach tätig ist, findet die Aktion super: „Wir schauen zwar auch selbst immer auf den Wiesen nach, haben aber aufgrund von mangelndem Personal gar nicht die Möglichkeit, das Gelände so intensiv abzugehen. Als Dankeschön habe ich auch schon einen elektronischen Wildretter gestiftet und stehe als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Was schön ist, es ziehen drei an einem Strang: Bauern, Jagdpächter und die Bevölkerung.“
Sebastian Hennig, Förster der Gemeinde Weilbach: „Ich finde die Aktion sehr gut. Für mich steht dabei vordergründig – neben dem Tierschutz – vor allem die Umweltpädagogik. Ich sehe mich selbst in einer Vermittlungsposition, um den Kontakt zwischen den Beteiligten herzustellen. Wir – also Landwirtschaft, Jäger und Schule – möchten uns auch dieses Jahr wieder gemeinsam an der Aktion beteiligen. Es ist ein guter Anlass, mit den Kindern auch rauszugehen, sie ihrer Umgebung und der Natur näherzubringen. Nur so können sie ihre Umwelt kennen, schätzen und schützen lernen!“
Andreas Pogorzelski, Leiter der Gotthard-Grundschule Weilbach: „2014/15 gab es erstmals einen Aufruf durch das Staatliche Schulamt für diese Aktion. Eine Lehrerin nahm sich der Idee an und bastelte im Rahmen einer Natur-Arbeitsgemeinschaft mit den Kindern die Scheuchen. Im Sommer dann, nachdem Förster Sebastian Hennig mit einem Landwirt Kontakt aufgenommen hatte, ging der Förster mit selbigen Kindern und mit mir hinaus auf die Flur und zeigte uns die Stelle, wo der Bauhof der Gemeinde die Scheuchen aufstellen werde. Auch wurden die Kinder an Ort und Stelle noch einmal über die Bedeutung der Aktion und darüber hinaus auch über die Wichtigkeit des Naturschutzes im Allgemeinen genau aufgeklärt. Im nachfolgenden Schuljahr kam Herr Hennig wieder auf die Schule zu, die Aktion wurde wiederholt und wenn nötig Scheuchen repariert. Die Kinder machten mit ihm auch einen Unterrichtsgang zur ausgesuchten Wiese. Im Schuljahr 2016/17 wurde pausiert. Heuer würde der Klassenlehrer der 4. Klasse sich gerne mit den Schülern wieder dieser Aktion annehmen und setzt sich mit dem Förster dafür noch in Verbindung. Wir Lehrer haben die Erfahrung gemacht, dass solche Aktionen sehr sinnvoll sind. Erstens um den Kindern nahezubringen, wie Natur ,funktioniert‘ bzw. dass wir – von klein bis groß – doch einiges für die Natur selbst tun können. Und dass solch eine Aktion natürlich auch nachhaltig eine eigene Verantwortung für die Umwelt wachsen lässt, liegt klar auf der Hand.“
Ihre Unterstützung ist gefragt!
Doris Völker-Wamser erhielt 2016 den mit 5000 Euro dotierten Tierschutzpreis. Ihr Kampf zur Rettung von Rehkitzen findet nicht nur bundesweit Nachahmer: Inzwischen haben die Österreicher und Schweizer die Idee aufgegriffen!
Vielleicht haben Sie ja Zeit und Interesse, in diesem Jahr als Kitzretter aktiv zu sein oder eine Gruppe zu gründen? Es werden wieder Listen in vielen Gemeindeverwaltungen im Landkreis Miltenberg bereitliegen, in die sich freiwillige Helfer eintragen können. Je mehr es sind, desto besser!
Autor:Sylvia Kester aus Miltenberg |
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