Häusliche Gewalt hat viele Gesichter

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"Ich bin jetzt fast 80 Jahre alt und habe nichts von meinem Leben gehabt. Mein Lebtag lang hab` ich geschafft, hab` einen Säufer daheim, der rumgehurt und mich geschlagen hat. Hab` drei Kinder großgezogen und ein Haus gebaut, auf das ich natürlich stolz bin - aber im Endeffekt habe ich nichts davon gehabt. Ich war einmal bei einem Rechtsanwalt. Aber da hat meine damals noch kleine Tochter gesagt "Mama ich will nicht, dass die Kinder in der Schule sagen, deren Eltern sind auch geschieden!" Also habe ich aus Rücksicht nichts unternommen. Heute ist mein Mann nach Schlaganfällen und Herzinfakt gesundheitlich zwar angeschlagen, aber Rücksicht kennt er immer noch nicht. Und ich bin einfach nur froh, wenn er morgens aus dem Haus geht. Ich habe mir im Haus ein kleines Zimmer eingerichtet, nur für mich. Da geh ich abends hin und es fällt alles von mir ab. Es ist meine Zuflucht. Ich wünschte, ich hätte früher den Mut und die Kraft gehabt zu gehen."

Häusliche Gewalt ist ein Tabu, über das man nicht spricht, bei dem aber Handlungsbedarf besteht. Erst in den letzten Tagen sorgte ein Vorfall von häuslicher Gewalt für Schlagzeilen in der Tagespresse. Ein 45-jähriger Erlenbacher hatte seine schwangere 25-jährige Freundin bereits mehrfach geschlagen. Überwiegend üben dabei Männer Gewalt gegenüber Frauen aus. Laut einer Studie der EU ist jede dritte Frau Opfer von Gewalt. Viele Frauen suchen die Schuld zuerst bei sich selbst, andere glauben an Besserung und manche spielen den Übergriff zunächst herunter.
Tatsache ist: Der Partner setzt Gewalt und Demütigung ein, um zu kontrollieren und Macht auszuüben. Hinterher tut es ihm häufig leid und er beteuert, dass so etwas nie wieder vorkommt, was aber ein Trugschluss ist.

Gewalt hängt auch nicht vom sozialen Hintergrund ab, sondern es sind alle sozialen Schichten betroffen. Aber erst mit Hilfe von außen kann es gelingen, auszubrechen.

„Aus Angst und Scham schweigen Frauen jedoch und oft sind sie über die Verantwortung für ihre Kinder erpressbar. Denn gehen sie aus der Beziehung, trennen sie die Kinder vom Vater. Es dauert leider meist lange, ehe sie sich eingestehen, dass es den Kindern ohne einen gewalttätigen Vater besser gehen wird und dass alles besser ist, als ein Leben in Angst“, betont Tanja Draudt, Leiterin des Frauenhaus Aschaffenburg.

Kinder jeden Alters können indirekt oder direkt von häuslicher Gewalt betroffen sein: Wenn sie zuhören, sie beobachten oder diese sogar am eigenen Leibe erfahren müssen. Aufgrund der Umgebung, in der sie aufwachsen, entwickeln sie oft kein Selbstvertrauen oder das Gegenteil ist der Fall und Schläge gehören für sie später auch zum Alltag.

Die Opfer hoffen immer, dass es nur ein Ausrutscher war. Aber, es ist ein Teufelskreis. Die telefonische Beratung ist ein erster Schritt, um in Erfahrung zu bringen, wie der Weg aus der Gewalt aussehen könnte. „Zuhören und ermutigen, aufklären und begleiten ist das, was wir als Beraterinnen bieten können, sagt Tanja Draudt.

„Schauen Sie nicht weg, wenn Sie vermuten, dass jemand unter Gewalt leidet. Handeln Sie, liebe Leserinnen und Leser. Sprechen Sie die betroffene Person vorsichtig darauf an und helfen Sie ihr, Hilfe zu bekommen. Denn gerade Kinder und Jugendliche wissen nicht, an wen sie sich mit ihrer Angst wenden können. Ein indirektes Hilfsangebot kann schon ein Flyer im Briefkasten sein“, sagt Maritta Storwasser, seit 24 Jahren im Sekretariat von SEFRA.

Wie soll ich mich entscheiden?
Der erste mutige Schritt ist schon getan, wenn man sich jemandem anvertraut! Ob anonym über eine telefonische Beratungsstelle (siehe Infokasten) oder gegenüber einer Freundin. Frauen empfinden es schon als Erleichterung, über ihre Situation sprechen zu können, ohne dass sie zu einer sofortigen Entscheidung gedrängt werden. Es tut gut, dass jemand zuhört und ihnen glaubt. Wenn die Frau die Gewaltbeziehung verlassen möchte, sind Informationen wichtig. Als Notrufberatung ist SEFRA die erste Anlaufstelle. Für die Opfer ist es wichtig zu wissen, dass es ein lückenloses Unterstützungssystem gibt, das ineinander greift. Und sie müssen die Hoffnung haben, dass das Leben ohne den gewalttätigen Mann wirklich besser wird.

Dipl.-Sozialpädagogin (FH) Tanja Draudt, Einrichtungsleitung Frauenhaus Aschaffenburg: „Es ist nie zu spät, solange sich die Frauen melden. Aber es ist meist nicht einfach für sie, weil man die Gewalt nicht nach außen trägt. Erst wenn der Mut da ist und der Täter nicht zuhause ist, melden sie sich. Dann liegt meist ein konkreter Fall vor, der kurz zuvor passiert ist. Im Frauenhaus haben sie nicht das Gefühl, Außenseiter zu sein. „Ich bin nicht die Einzige, der das passiert“.

Die Frauen bleiben unterschiedlich lange, von zwei Stunden bis eineinhalb Jahre, in der Regel ist es so, dass viele, die kürzer als zwei Wochen bleiben, zurück nach Hause gehen. Im Durchschnitt bleiben die Frauen vier Monate. Es wären viel mehr Schutzräume wichtig. Leider ist es auf dem Wohnungsmarkt derzeit schwierig. Wir hatten im letzten Jahr um die 150 Ablehnungen, weil wir voll belegt waren.Das Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt für den bayerischen Untermain hat nur 11 Plätze für Frauen und 11 Plätze für Kinder. Das heißt wir sind für die Landkreise Miltenberg, Aschaffenburg und die Stadt Aschaffenburg zuständig und haben zur Zeit auch nur 11 Frauen im Haus. Das geht aber allen Häusern in Unterfranken so. Es ist schwer, den angefragten Hilfen nachzukommen und die Tendenz steigt. Aber wir tun, was wir können und lassen die Frauen auf keinen Fall allein. Im letzten Jahr konnten wir fünfzig Frauen eine Zuflucht bieten. Bei einem Neuanfang übernehmen wir auch die Nachsorge und stehen bei Fragen zur Verfügung.“

Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab eine Zusatzbefragung Hinweise darauf, dass die Quote von Gewalterfahrungen bei Migrantinnen noch höher und die erlittene Gewalt auch öfter mit Verletzungen verbunden ist als bei deutschen Frauen. Besonders häufig erleben Flüchtlingsfrauen Gewalt. Neben der Angst vor den gewalttätigen Übergriffen und Drohungen spielt auch die Angst vor der Abschiebung eine große Rolle. Dazu kommt die Sprachbarriere. Auf der Internetseite „Gewaltschutz“ sind die Informationen in sieben Sprachen nachzulesen.

Können auch Männer sich Hilfe holen, wenn sie sich ändern wollen?
Meist übernehmen Täter nicht die Verantwortung für ihr Handeln. Sie haben immer wieder Entschuldigungen parat. Die Wenigsten sind bereit, ihre Gewalttätigkeit als ihr Problem anzuerkennen, an dem sie arbeiten müssen. Aber auch sie können sich Hilfe suchen. Wer ernsthaft an sich und seinen Problemen arbeiten will, bekommt Unterstützung. Es gibt beispielsweise die Möglichkeit bzw. die Auflage vom Gericht, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen.

Gewalt in der häuslichen Pflege
Aber auch in der häuslichen Pflege kann Gewalt zum Thema werden: Man schläft keine Nacht mehr richtig durch, wird alle paar Minuten gerufen, ist völlig überfordert, leistet dabei schwere körperliche Arbeit – und irgendwann, kann man einfach nicht mehr. Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, stoßen oft an ihre Grenzen. Dabei kann Überforderung auch Übergriffe mit sich ziehen.

Gewalt zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen ist meist eine Folge von mehr oder minder schweren Handgreiflichkeiten, Beleidigungen, Unterlassungen und Nötigungen, die oft auf Überforderung zurückzuführen sind. Oft hilft es, sich in die Person des Pflegebedürftigen hineinzuversetzen: Warum reagiert er aggressiv, warum will er sich nicht waschen lassen, warum jammert er ununterbrochen, obwohl ich doch alles für ihn tue? Erst wenn man versucht die Situation des anderen zu verstehen, ist es möglich, gegen die eigene Aggression vorzugehen.

Konrad Schmitt von der Beratungsstelle für Senioren und pflegende Angehörige: "Angehörige und Berufspflegekräfte sind froh, wenn sie eine neutrale Anlaufstelle haben auf die sie zurückgreifen können. Leider erleben wir immer wieder, dass Familien sich überfordern, gerade mit Menschen die unter Demenz leiden. Ich hatte erst vor zwei Tagen einen Angehörigen der viel zu spät zur Beratung kam. Wir würden uns wünschen, dass pflegende Angehörige in schwierigen Pflegesituationen sich frühzeitig an uns wenden.“

Die telefonische Beratung ist ein erster Schritt, um in Erfahrung zu bringen, woher ich Hilfe bekomme oder wie der Weg aus der Gewalt aussehen könnte. Deshalb:

Hab den Mut zum ersten Schritt – bevor es zu spät ist!

Hilfe erhalten Sie hier:
SEFRANotruf und Beratung für Frauen 06021 24728
Kostenloses Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 08000 116 016
AWO Frauenhaus Aschaffenburg 06021-2 44 55
www.gewaltschutz.info (praktische Tipps für Betroffene in 7 Sprachen)
Beratungsstelle Demenz Untermain, Konrad Schmitt Tel. 09371 66 94 92 0
Anti-Agressionstraining Die Brücke in Aschaffenburg 06021 / 29 136

Autor:

Sylvia Kester aus Miltenberg

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