Best Case Szenario
Die beste aller Möglichkeiten
KAB Bildungswerk veranstaltet und moderiert Web-Talks in Corona-Krise und entwickelt für die Zeit nach Corona ein „Best Case Szenario“
Was tun, wenn Corona einen ausbremst? Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Das Bildungswerk der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung – kurz KAB – stand mit dem Lockdown Mitte März vor genau dieser Frage. Es hat sich dieser Frage angenommen, Web-Talks veranstaltet und mit den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern für die Zeit nach Corona ein „Best Case Szenario“ entwickelt.
„Wir müssen etwas tun!“
„Die Corona-Krise und der damit verbundene Lockdown haben uns eiskalt erwischt“, sagt Joachim Schmitt, Bildungsreferent der KAB aus Niedernberg.
„Wir mussten alle unsere Veranstaltungen von jetzt auf nachher absagen. Das war nicht leicht. Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass wir eigentlich gerade in dieser so befremdlich wirkenden Situation etwas machen müssen, denn die Menschen hatten einen unglaublichen Bedarf an Information und Austausch. Keiner wusste, was ist richtig, was ist falsch und wo geht es lang? Unsere Idee war, die geplatzten Veranstaltungen in eine digitale Form zu bringen. So haben wir einen wöchentlichen Web-Talk ´Corona und Politik´ entwickelt.“
Experten im Boot
Was zunächst als lockerer wöchentlicher Austausch geplant war, an dem insgesamt knapp 40 Personen beteiligt waren, hat sich sehr schnell weiterentwickelt. Um die Erfahrungen zu konkretisieren, wurden zu den Web-Talks Experten hinzugezogen, die ihre persönliche Sichtweise und Erkenntnisse einbringen konnten. Experten waren unter anderem Stephen Makinya, Theologe und Sozialethiker aus Bürgstadt, Michaela Lang, Seelsorgerin im Seniorenheim, und Heiko Kern, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Firma WIKA.
„Zirkeltraining für ein anderes, nachhaltigeres Leben“
Die Experten, die ganz unterschiedliche Blickwinkel hatten, und Teilnehmer waren sich einig, dass die spannende Frage nicht darin besteht, was man diskutiert, sondern wie man die Ergebnisse der Diskussionen umsetzen und mit Leben füllen kann. Das hat eine Eigendynamik entwickelt“, erklärt Joachim Schmitt. „Die Diskussion der Teilnehmer über das, was jeder einzelne von ihnen gerade erleben musste, hat eine Eigendynamik bekommen“, erklärt Joachim Schmitt. „Schnell war klar, dass wir nicht nur unter uns diskutieren, sondern mit der Diskussion auch etwas bewegen wollen. So haben wir die beiden Bundespolitiker Bernd Rützel und Alexander Hoffmann eingeladen, um ihre Politik zu erklären und Probleme wahrzunehmen.“
Besondere Situation
Ein dritter Schritt war schließlich entscheidend. „Wir waren alle beim Ausbruch der Pandemie dabei“, legt Joachim Schmitt weiter dar. „Wir mussten ja mitmachen, ob wir wollten oder nicht. In dieser besonderen Situation haben die Teilnehmer viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Wir kamen überein, dass es sich lohnt, das Positive aus diesen Erfahrungen für die Zeit, wenn Lockerungen kommen und wir in eine – wie auch immer geartete – Normalität zurückkehren, zu sammeln und weiterzugeben. So entwickelten wir – in Anlehnung an die meist Angst verbreitenden ´Worst Case Szenarien´ – das ´Best Case Szenario´, die beste aller Möglichkeiten.“ Rudi Großmann, einer der Teilnehmer der Web-Talks und „Anschubser“ des „Best Case Szenario“, formulierte es sehr treffend: „Wir müssen für die Zukunft festhalten, was wir positiv gelernt haben.“
Positive Erfahrungen
Als Ziele für diese Wendung der Situation formulierten die Teilnehmer Folgendes: Bürgerinnen und Bürger entwickeln politische Leitlinien und Ideen für eine erneuerte Gesellschaftspolitik nach der Corona-Krise, besondere Erfahrungen in der Krise werden als Lernerfahrungen ausgewertet, kritische Entwicklungen aus der Vor-Krisen-Zeit werden in positive Ansätze überführt, wertvolle Voraussetzungen zur Krisenbewältigung werden in die Zukunft getragen und Bürgerinnen und Bürger engagieren sich gemeinschaftlich für die Vertretung dieser Perspektiven und nutzen dazu die KAB. Entstanden ist daraus „ein Manifest in einer besonderen Situation“, so Joachim Schmitt: „Das ´Best Case Szenario´.“
Neun Themenbereiche
Insgesamt neun Themenbereiche kristallisierten sich dabei heraus. Es sind dies Wirtschaft und Wohlstand, Arbeit und Sozialstaat, Familie und Kita/Schule und Engagement, Pflege und Gesundheit, Gemeinschaft und Nachbarschaft, Glaube und Kirche, Umwelt und Klima, Europa und eine Welt sowie Demokratie und Freiheit. Bei allen Themen wurde versucht, auf alte, bereits bestehende Fragen neue Antworten zu finden. Hier einige Auszüge aus den ergebnissen.
Themenbereich Wirtschaft und Wohlstand
Alte Fragen: „Auf was können wir verzichten, ohne dass es uns schlecht geht?“ oder „Wie sieht gutes Wirtschaften aus, ohne dass ständiges Wachstum notwendig ist?“
Neue Antwort: „Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft zu einer ökologischen und klimaverträglichen, den Menschen dienenden Marktwirtschaft.“
Themenbereich Arbeit und Sozialstaat
Alte Fragen: „Gibt es Berufe, die systemrelevanter sind als andere?“ „Ist das mobile Arbeiten (HomeOffice) sozial?“
Neue Antworten: „Die Wertschätzung und Honorierung aller sozialen Berufe nach Corona steigt erkennbar.“ „Das mobile Arbeiten wird sozial, wenn die Arbeitnehmer über den Umfang bestimmen dürfen.“
Themenbereich Familie und Kita / Schule und Engagement
Alte Frage: „Wie kann schulische Chancengleichheit unabhängig vom Elternhaus entwickelt und über Krisen hinweg erhalten werden?“
Neue Antworten: „Die positiven Erfahrungen mit Kleingruppen werden in die Zukunft gerettet.“ „Das projektorientierte Lernen wird ausgebaut, um auf neuen Wegen zu lernen und Digitalisierung nutzbringend in der Bildung einzusetzen.“
Alte Frage: „Wie kann die neue Einstellung und Erfahrung für mehr Zeit für Familie unterstützt werden?
Neue Antworten: „Auch in Zukunft gilt: Mehr Zeit für Familie - mehr Zeit im Familienalltag.“ „Die Familienzeit wird bewusst gestaltet, um gemeinsam als Familie etwas Alltägliches zu unternehmen.“
Themenbereich Pflege und Gesundheit
Alte Fragen: „Wie kann die Situation von alten und kranken Menschen zum Thema gemacht werden?“ „Wie kann die Arbeit für Gesundheit, Pflege und Soziales besser beachtet werden?“
Neue Antworten: „Die Pflegediskussion bezieht alle Beteiligten ein: Ambulante Pflege, Ehrenamtliche, Angehörige, ...“ „Anerkennung für die Pflegeberufe drückt sich auch in einem angemessenen Lohn aus.“
Themenbereich Gemeinschaft und Nachbarschaft
Alte Frage: „Wie pflegen wir eine gute Nachbarschaft?“
Neue Antworten: „Wir erhalten den Smalltalk über den Zaun: Fragen, Erkundigungen nach Befinden, Hilfsangebote, ...“ „Bei Konflikten oder Meinungsverschiedenheiten unter Nachbarn schalten wir nicht die Behörden ein, sondern versuchen die Situation über persönliche Ansprache zu klären.“
Themenbereich Glaube und Kirche
Alte Frage: „Sind Glaube und Kirche noch eine relevante Lebensdimension?“
Neue Antworten gab es in diesem Themenbereich nicht, denn diese Lebensdimension wurde den Teilnehmenden als Thema angeboten, aber von niemandem ausgewählt. Stattdessen kommt sie aber in den anderen Lebensfragen immer wieder als zugehörige Dimension vor.
Themenbereich Umwelt und Klima
Alte Frage: „Sind Umwelt und Klima noch zu retten?“
Neue Antworten: „Corona hat gezeigt, dass durch den Shutdown / Lockdown die Natur, das Klima und die Umwelt zumindest kurzzeitig sich etwas erholen können.“ „Das Klima und die Umwelt kann nur mit ernsthaften und konsequenten Maßnahmen gerettet werden. Die globale Handlungsfähigkeit nehmen wir mit in die Zukunft und übertragen sie auf andere Dimensionen, wie z. B. die Klimapolitik.“
Themenbereich Europa und Eine Welt
Alte Fragen: „Wie können negative Entwicklungen im Zuge der Pandemie (verschärfte Zensur, Abbau Rechtsstaatlichkeit) in einigen europäischen Ländern wieder rückgängig gemacht werden?“ „Ist die Schaffung einer europäischen Zentralregierung (ähnlich USA) möglich und wünschenswert?“ „Ist die Kürzung der Finanzmittel die einzige Möglichkeit?“
Neue Antworten: „Die besonders gebeutelten Nationen Italien, Griechenland oder Spanien müssen besonders gestützt werden, um ein Abdriften zu verhindern.“ „Die Starken müssen den schwachen helfen!“ „Man darf nicht nur auf die kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteile der europäischen Union sehen, sondern muss die langfristige, stabilisierende Wirkung (wirtschaftlich und politisch) beachten.“
Themenbereich Demokratie und Freiheit
Alte Fragen: „Welchen Unterschied gab es zwischen den Systemen der DDR und der BRD?“ „Kann man in unser Wahlsystem die Möglichkeit der Abwahl von Parteien oder Kandidaten aufnehmen?“
Neue Antworten: „Das Prinzip der Gewaltenteilung muss unbedingt gewahrt bleiben.“ „Staatliche Maßnahmen müssen jederzeit vor Gericht hinterfragt werden können. Die gilt auch in Zeiten von Krisen.“ „Wir Bürger dürfen uns der Verantwortung an der Wahlurne nicht entziehen, andernfalls fallen extreme Minderheiten zu sehr ins Gewicht.“
Dies sind nur einige wenige der vielen Fragen und noch mehr Antworten, die die Beteiligten herausgearbeitet haben.
Drei Themen im Fokus
Aus den unterschiedlichen Themenbereichen liegen Joachim Schmitt drei besonders am Herzen.
Einer davon ist der Themenbereich Pflege und Gesundheit zusammen mit Arbeit und Sozialstaat. „Durch die Krise haben wir Systemrelevanz neu kennengelernt. Daher kann man diese beiden Themenbereiche in diesem Punkt nicht voneinander trennen. PflegerInnen, Logistiker oder SupermarktverkäuferInnen haben in der Krise gezeigt, wie belastbar und wertvoll sie sind. Wir sind der Meinung, dass der Mindestlohn, der bei den Pflegekräften derzeit bei 12,55 Euro und den Logistikern und Verkäufern sogar bei knapp unter 10 Euro liegt, einfach zu wenig ist. Unseren Berechnungen nach müsste er bei mindestens 13,69 Euro liegen, um die Arbeit entsprechend wertzuschätzen.“
Umwelt und Klima ist ein weiterer Themenbereich auf Joachim Schmitts Agenda. „Durch die Erfahrung, wie handlungsfähig die Politik angesichts der Krise ist, müssen wir dazu übergehen, für die zukünftigen Generationen konsequent und nachhaltig zu wirtschaften. Wenn wir nach einer zu erwartenden Rezession die Wirtschaft wieder aufbauen, dann muss das auf jeden Fall solidarisch und ökologisch sein.“
Schließlich ist der Themenbereich Gemeinschaft und Nachbarschaft in den Augen von Joachim Schmitt nicht außer Acht zu lassen. „In vielen Orten wurden speziell für Corona Helfer gesucht. Viele Menschen haben sich daraufhin gemeldet, wurden aber oftmals gar nicht gebraucht. Diese Bereitschaft der Menschen zum Helfen müssen wir jetzt nutzen und die Hilfsangebote erweitern, denn es wäre sehr schade, wenn wir diese Gelegenheit verstreichen lassen würden.“
Das passiert jetzt ganz konkret
„Für den Mindestlohn haben wir gerade jetzt eine Online-Petition gestartet“, resümiert Joachim Schmitt. „Hier kann jeder mitmachen und sich mit seiner Teilnahme für Pflege und andere systemrelevante Berufe und für einen fairen Mindestlohn einsetzen. Im Bereich Gemeinschaft und Nachbarschaft denken wir an eine Initiative im Herbst, sofern das machbar ist. Wer aber jetzt schon weiß, dass er helfen möchte und sich für konkrete Projekte interessiert, der kann sich bei uns melden und wird von uns unterstützt“, sagt Joachim Schmitt abschließend. „Das ´Best Case Szenario´ ist erst der Anfang, es ist für die Zukunft nur das beste!“
Die KAB – Katholische Arbeitnehmer-Bewegung
Gestalten und verändern
Die KAB ist ein deutscher Sozialverband, sein Bildungswerk ein Träger der Erwachsenenbildung mit christlichem Hintergrund. Es wird getragen von engagierten Menschen, die sich in verschiedenen Ortsgruppen – so auch im Landkreis Miltenberg – zusammengeschlossen haben und sich sowohl sozial als auch politisch engagieren. So inspiriert möchten sie mit ihrem Engagement ihr Umfeld gestalten und Veränderungen herbeiführen. Die Moderation gestaltete KAB-Bildungsreferent Joachim Schmitt aus Niedernberg.
Autor:Andrea Kaller-Fichtmüller aus Miltenberg |
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