Stehende Ovationen für Fukuma und Fürtjes
Solche Begeisterungsstürme hat der altehrwürdige Grüne Saal im Amorbach wohl selten erlebt: Mit stehenden Ovationen würdigten die über 100 Gäste am Sonntagabend die beeindruckenden Leistungen des Pianisten Kotaro Fukuma und des Thomas-Mann-Experten und Musikphilosophen Michael Fürtjes bei der Konzertlesung „Adorno – Beethoven – Thomas Mann“.
Die Veranstaltung, organisiert vom Kulturreferat des Landkreises Miltenberg in Zusammenarbeit mit dem Fürstenhaus zu Leiningen, bildete einen Höhepunkt am Ende des Kulturjahres zu Ehren des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno, dessen Todestag sich am 6. August 2019 zum 50. Mal jährte. Dabei schafften es die beiden Protagonisten auf der Bühne, die Zusammenhänge zwischen Adorno, Mann, Ludwig van Beethoven und Alban Berg herzustellen. Dass diese auch für diejenigen Zuhörer klar wurde, die nicht auf allen kulturellen Ebenen Experten sind, war Michael Fürtjes zu verdanken, der zu Beginn eine kurze Einführung in die Materie gab. Aber auch Pianist Kotaro Fukuma erklärte Besonderheiten der Klavierwerke.
Dass der Philosoph, Soziologe und Musikphilosoph Adorno auch Komponist war und bei Alban Berg das Komponieren studiert habe, sei Fürtjes zufolge nur wenigen Musikexperten bekannt. Damit, ergänzte Kotaro Fukuma, sei auch klar, warum manche Tonfolgen von Adornos Kompositionen denen von Alban Berg verblüffend ähneln. Doch was hat Adorno mit Beethoven und Mann zu tun? Fürtjes konnte auch diese Frage auflösen, denn Beethovens Musik spielte für Adorno zeitlebens eine große Rolle.
Aus der Bekanntschaft Adornos und Manns und einem Artikel Adornos „Über den Spätstil Beethovens“ resultierte die Zusammenarbeit der beiden. Adorno sei der richtige, um ihm bei den musikwissenschaftlichen Passagen im achten Kapitel seines Romans „Doktor Faustus“ zu helfen, habe Thomas Mann geglaubt. Er habe Adorno eingeladen und ihm das Kapitel vorgelesen, wusste Fürtjes, im Gegenzug habe Adorno diverse Anmerkungen zu Beethovens Klaviersonate op. 111 beigesteuert. Adornos Deutung dieser Sonate sei zum Teil wörtlich in den ersten Teil des achten Kapitels von Manns Buch eingeflossen, erklärte der Thomas-Mann-Experte.
Dass Kotaro Fukuma zu den renommiertesten japanischen Künstlern gehört, diverse Preise gewann und auf der ganzen Welt unterwegs ist, mögen die wenigsten Zuhörer gewusst haben. Als er aber in den drei Klavierstücken Adornos – „Adagietto – Hommage à Bizet“, „Die böhmischen Terzen“, „Valsette“ – scheinbar mühelos auch schwierige Passagen meisterte und auch die teilweise komplexe Klaviersonate op. 1 von Alban Berg virtuos vortrug, hatte Fukuma das Publikum sofort auf seiner Seite.
Dass Fukuma und Fürtjes miteinander harmonieren, zeigte sich im Zusammenspiel der beiden Künstler. Während Fürtjes aus Thomas Manns „Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde“ las, steuerte Fukuma Klavierpassagen bei, in denen es um Beethovens letzte Klaviersonate geht. Ausdrucksstark und mit der Betonung auf den richtigen Silben traf Fürtjes stets den richtigen Ton. Man konnte förmlich eine Nadel fallen hören, als Fürtjes die Gäste szenisch in einen nur mäßig gefüllten Saal im Jahr 1900 entführte, in der Wendell Kretzschmar über Beethovens letzte Sonate philosophiert und vermutet, warum er keinen dritten Satz mehr komponierte. Unter den wenigen Gästen sind auch die Jungen Serenus Zeitblom und Adrian Leverkühn, die sich von dem rhetorisch ungeschickten und stotternden Kretzschmar nicht abschrecken lassen. Sie hören zu, wenn der Dom-Organist über den zweiten Satz von Beethovens Klaviersonate philosophiert und zur Auffassung kommt: Mit dem zweiten Satz habe Beethoven nicht nur diese spezielle Sonate, sondern die Sonate als Gattung an ein Ende geführt. Dank der gedämpften Töne aufgrund des geschlossenen Klavierdeckels konnte man bis in die letzte Reihe Fukumas Klavier und Fürtjes‘ Sprache deutlich hören und sich am gelungenen Zusammenspiel erfreuen. Lässt man die musikwissenschaftliche Thematik außen vor, gab dieses Buchkapitel den Gästen Zeugnis davon, dass Thomas Mann durchaus humorvoll schreiben konnte.
Nach der Pause bekamen die Gäste jenes Werk in Gänze zu hören, in dem es in der szenischen Lesung ging, als Kotaro Fukuma Beethovens komplette Klaviersonate Nr. 32 c-Moll op. 111 spielte.
Das begeisterte Publikum rang dem Pianisten gleich drei Zugaben ab und gab damit zu erkennen, dass diese Konzert-Lesung genau den Geschmack der Gäste getroffen hatte.
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