„So etwas darf nie wieder passieren!“
Inklusionsprojekt der Lebenshilfe Miltenberg wurde mit dem Bürgerpreis Bayern ausgezeichnet

Viel Freude bei den Beteiligten des Projekts im Maximilianeum bei der Preisverleihung. Zweite von links Landtagspräsidentin Ilse Aigner, hinter ihren Bildern stehen Melissa Wetzelsberger und Franz Wernicke. | Foto: Lebenshilfe
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  • Viel Freude bei den Beteiligten des Projekts im Maximilianeum bei der Preisverleihung. Zweite von links Landtagspräsidentin Ilse Aigner, hinter ihren Bildern stehen Melissa Wetzelsberger und Franz Wernicke.
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„Nie wieder ist jetzt!“ lautete das Motto für den Bürgerpreis Bayern 2024 – einer von vielen Gründen für die Verantwortlichen, sich mit dem Projekt der Lebenshilfe Miltenberg und dem Kurs der Schülerakademie Untermain, das schon lange zuvor mit dem Titel „Nie wieder!“ begonnen hatte, mit Selbstbewusstsein und einigem Optimismus um die renommierten drei Preise zu bewerben, die mit insgesamt 50 000 Euro ausgeschrieben sind.
Trotzdem waren Überraschung und Freude nicht nur bei Sabine Prigandt-Kolb, der Leiterin der Offenen Hilfen der Lebenshilfe groß, als aus München die Nachricht kam, dass man von einer Fachjury als 2. Preisträger ausgewählt worden war. Immerhin hatten sich 84 Gruppen aus Bayern beworben, darunter auch acht aus Unterfranken, und drei von ihnen waren als Preisträger des Bürgerpreises des Bayerischen Landtags ausgewählt worden. Alle hatten nach Meinung der Fachleute in herausragender Weise „ehrenamtliches Engagement für Vielfalt, Zusammenhalt und Demokratie“ gezeigt und den Leitsatz des diesjährigen Preises beispielhaft praktiziert: „Aus der Vergangenheit lernen – in Generationen denken.“

„Durch dieses Projekt bin ich viel erwachsener geworden, viel selbstsicherer und trau‘ mir viel mehr zu“, sagte Lara Wirsing vor der Kamera des BR, als die junge Frau mit Lernbehinderung gefragt wurde, was für sie das Projekt „Nie wieder“ bedeutet. Nur eine von vielen Äußerungen der rund zwei Dutzend Menschen mit Behinderungen von Schulkind- bis ins höhere Erwachsenenalter, die beweisen, dass sich die gut zweijährige Arbeit gelohnt hat und tatsächlich spürbar positive Einflüsse auf das Leben der Beteiligten hatte. Timo Buhleier lobt als ebenfalls betroffener junger Erwachsener die Arbeit der Lebenshilfe, bei der jeder so sein dürfe, „wie er ist“.

Selbstbewusst und offen traten die gut 20 Menschen mit Behinderungen zusammen mit ihren Betreuern, Eltern, anderen Angehörigen und Mitarbeitern der Lebenshilfe am frühen Morgen des Mittwoch, 16.Oktober 2024, die Busfahrt nach München an. Äußeres Zeichen dafür: Ihre schwarzen T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich bin, wie ich bin, und das ist gut so!“ – keine Floskel, sondern ein überzeugtes Statement. Mit dabei auch ein halbes Dutzend Schülerinnen und Schüler des zwölfköpfigen Kurses der Schülerakademie Unterfranken mit ihren Eltern, die im Schuljahr 2022/23 in rund 100 Stunden an sieben Freitagen und Samstagen am Julius-Echter-Gymnasium Elsenfeld unter der Leitung von Heinz Linduschka mit ihren kreativen Texten einen wichtigen Beitrag zu dem Inklusionsprojekt geleistet hatten. Die 13- bis 15-Jährigen kamen aus sechs Gymnasien am Bayerischen Untermain. Die vorbildliche Organisation der Fahrt hatte Sabine Prigandt-Kolb übernommen, die Leiterin der Offenen Hilfen der Lebenshilfe Miltenberg.

Die Preisverleihung am 17.Oktober 2024 bewies die große Anerkennung für die Arbeit der Lebenshilfe und aller Beteiligten und ist zugleich ein Anstoß, das Projekt weiter voranzutreiben. Sinnvoll und dringend nötig – nicht nur für die Akteure, sondern für Staat und Gesellschaft in unserer Zeit - ist es ohne Zweifel. Wachsende Aggression und feindselige Stimmung gegen Menschen mit Behinderungen und andere „Randgruppen“ sind längst nicht mehr zu leugnen, wie auch Thea Nodes-Brand, Mutter einer Tochter mit Downsyndrom (Trisomie 21), im Alltag immer öfter feststellen und erleben muss. Sie hat zusammen mit der Künstlerin Sandra Wörner einen der drei Blöcke des Projektes perfekt umgesetzt: „Sichtbar“ nennen die Beiden das, was unter ihrer Führung von Malerinnen und Malern mit Behinderung und ihren Eltern oder Geschwistern auf den Leinwänden mit Acrylfarbe entstanden ist – in gemeinsamer „Tandem“-Arbeit: 70 x 100 cm große Leinwände mit den Porträts von Menschen, die in der T4-Aktion der Nationalsozialisten ab 1940 in Tötungsanstalten ermordet wurden. Der euphemistische Begriff für diese Verbrechen, denen um die 200.000 Menschen zum Opfer fielen, lautete „Euthanasie“ – „schöner Tod“. Deutlicher lassen sich Unmenschlichkeit und Grausamkeit kaum ausdrücken.

Thea Nodes-Brand hatte viel wertvolle Arbeit dafür geleistet, dass die Gruppe „Wir für dich“ in Grafeneck und in der Tötungsanstalt Hadamar die Schicksale von Opfern der Euthanasie recherchieren, den Ermordeten damit im Wortsinn ein „Gesicht“ geben konnte. Diese Gesichter sind – oft auf der Basis von überlieferten Fotos – auf den Acrylbildern zu sehen – eine Art später Sieg über die verbrecherische Ideologie der Nazis. Die Stimme gaben den im Alter von drei bis 80 Jahren Ermordeten sehr persönliche und Herzen gehende Worte der KursteilnehmerInnen zurück, Texte in mal bewusst schlichter Prosa, mal in pointiertem Poetry Slam, mal in tief berührender, sehr persönlicher Auseinandersetzung mit den Menschen, „deren Leben von herzlosen Mord-Bürokraten an einem Tag weggeworfen wurde“, wie die 14-jährige Lucy Schickling über Wolfgang Götz Zerban schrieb, der im Alter von drei Jahren ermordet wurde und im Bild von Melissa und Karen Wetzelsberger eindrucksvoll in die Erinnerung zurückgerufen wird.

Diese Präsentation rief im Steinernen Saal des Maximilianeums am 17.10.2024 spürbar tiefe Betroffenheit und Empathie hervor und sorgt wie die anderen Porträts dafür, dass die ermordeten Menschen nicht vergessen sind. Ähnlich beeindruckend war es, als Ute Hanika zusammen mit Franz Wernicke das Porträt von Ewald Scheer vorstellte. Dabei wurde sehr deutlich, wie emotional die Arbeit am Bild manche der Maler berührte. Ilse Aigner, die Landtagspräsidentin, lobte den Inklusionscharakter des Projekts und sagte: „Den Beirat hat vor allem überzeugt, dass bei diesem Projekt das Thema „Euthanasie“ in der NS-Zeit auch von Menschen bearbeitet wurde, die selbst durch Behinderungen in ihrem Alltag eingeschränkt sind. Voller Lebensfreude und mit viel positiver Ausstrahlung präsentieren die Projektbeteiligten die Ergebnisse ihrer Arbeit in Ausstellungen und treten so aktiv für den Erhalt der Werte unserer Demokratie ein.“

Die dritte Säule des Projekts neben „Sichtbar“ und den Texten der „besonders begabten und engagierten Jugendlichen“ im Kurs der Schülerakademie, bildete die engagierte Arbeit der Gruppe „Wir für dich“, Menschen mit Lernschwierigkeiten, die sich unter der Leitung von Heike Syha regelmäßig treffen, die Euthanasie-Gedenkstätte Grafeneck besucht und einen beeindruckenden Film gedreht haben. Sie haben bisher schon Hunderte von Besuchern kenntnisreich durch die Ausstellung geführt, die bisher in der Zehntscheune Kleinwallstadt, im Landratsamt Miltenberg und im Haus der Begegnung Sulzbach gezeigt wurde und ganz aktuell noch bis zum 3.11.2024 in der restaurierten Synagoge in Großkrotzenburg zu sehen ist. Die Nachfrage nach den eindrucksvollen Bildern ist enorm, ein Ende der Präsentationen ist nicht in Sicht. Dazu wird aktuell eine Neuauflage des attraktiven Begleitbuchs „Nie wieder“ aus dem plexus-Verlag gedruckt, nachdem die Erstauflage von 500 Exemplaren stark nachgefragt worden war. Damals hatte eine großzügige Spende von Johannes Oswald einen Kaufpreis von unter 10 Euro ermöglicht, bei der Neuauflage, wieder im Amorbacher Plexus-Verlag, will die Lebenshilfe mit einem Teil des Preisgeldes dafür sorgen, dass keine finanzielle Hürde für die aufgebaut wird, die sich für das Thema und das Buch interessieren. Es wird im Büro der Offenen Hilfen in Elsenfeld erhältlich sein, aber auch im Buchhandel über die ISBN 978-3-937996-78-3.

Judith Gerlach, die Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, traf in ihrer Würdigung des Projekts in einem Schreiben an die Leiterin der Offenen Hilfe den Kern: „Sie verdeutlichen, wohin Ausgrenzung führen kann und wie wichtig es ist, in einer toleranten und gerechten Gesellschaft zu leben.“ Bei der Würdigung des Projekts im Steinernen Saal im Maximilianeum konnten sich alle Akteure über die Anerkennung freuen. Man habe, so die Laudatio, „das Thema Euthanasie mit Hilfe von Kunst, Musik und Literatur (nicht nur) für die jungen Menschen der Lebenshilfe erfahrbar gemacht. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnerorganisationen, wie beispielsweise der Gedenkstätte Grafeneck und der Schülerakademie Untermain, wurde Inklusion praktisch umgesetzt.“ Das ist ein Aspekt, der gerade dem Kursleiter Heinz Linduschka bei seinem Statement zur Preisverleihung besonders wichtig war: „Es wird viel theoretisch von Inklusion geredet, hier wurde sie mal ganz praktisch gelebt. Und so ganz nebenbei kann das Projekt ein Beitrag dazu sein, dem weit verbreiteten negativen Elitebegriff etwas entgegenzusetzen, indem man junge Menschen fördert, die besonders begabt und besonders engagiert sind und sich ihrer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind.“

Autor:

meine-news.de Redaktion aus Miltenberg

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