Die Erinnerungen wachhalten und das Gedenken wahren
Initiative „Miltenberger Stolpersteine – GEGEN DAS VERGESSEN“ initiierte dritte Verlegung am Dienstag, 3. Juli 2018 um 13.30 Uhr
In Miltenberg fand am 3. Juli die dritte Verlegung von Stolpersteinen im Gedenken an jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger statt. „Die kleinen Messingsteine lassen uns immer wieder mitten im Alltag innehalten. Wir beugen uns hinunter, um den Namen lesen zu können. Wir verbeugen uns vor den Menschen, die den Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Und uns wird bewusst: Sie lebten hier, mitten unter uns. Es waren Nachbarn. Und auch wenn es heute keine Angehörigen mehr gibt: Sie sind nicht vergessen.“ So äußerte sich Dr. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises Stolpersteine.
Opfern Namen zurückgeben
„Die Steine sind ein wichtiges Symbol“, so Dr. Josef Schuster weiter. „Sie tragen dazu bei, den Opfern der NS-Diktatur ihren Namen zurückzugeben.“ Jon Meier, ein Enkel von Oskar und Rosa Moritz, schrieb im Juni 2016 nach der Verlegung der ersten Stolpersteine für seine Großeltern in einem Brief an die Miltenberger Initiative: „Man bezeugt den Opfern Respekt. Auf diese Weise wird die Vergangenheit etwas Konkretes. Man kann sie nicht verschweigen; man kann nicht wegschauen. Die Erinnerung überträgt sich dabei in die neue Generation.“
Um diese Erinnerungen und das Gedenken daran ging es, als die Verlegung von 14 Stolpersteinen an 8 Stellen für die unschuldigen Opfer am Dienstag, 3. Juli stattfand. Insgesamt liegen jetzt 44 Stolpersteine in Miltenberg.
Schülerinnen und Schüler der drei weiterführenden Schulen in Miltenberg hatten sich im Vorfeld mit den einzelnen Schicksalen befasst.
Stolpersteine sind ein wichtiges Symbol
Veronika Repp, Lehrerin für Deutsch und Geschichte an der Johannes-Hartung-Realschule in Miltenberg, hatte für das Thema Stolpersteine einen Aufruf unter ihren Schülerinnen und Schülern gestartet. Luisa Kirchner, Julia Ditter, Franziska Haas, Linus Eck, Florian Schumacher und Amadeus Merklinger haben sich daraufhin bei ihr gemeldet, um bei dem Projekt mitzuwirken. „Seit rund vier Wochen beschäftigen wir uns nun mit dem Thema“, erzählen die sechs Neuntklässler.
Einlesen in das Thema
„Zunächst bekamen wir einen ´Crashkurs´ über Nationalsozialismus von unserer Lehrerin, da wir die NS-Zeit jetzt erst im Juli behandeln“, so die Kinder weiter. „Außerdem haben wir uns in die Datenbank ´Jüdisches Unterfranken´ eingelesen.“ „Auch die Erzählungen von Ernst Moritz, die die Stiftung Initiative ´Miltenberger Stolpersteine´ uns gegeben hatte, haben geholfen, dass die Schülerinnen und Schüler die Zusammenhänge besser verstehen“, ergänzt Lehrerin Veronika Repp. „Wir versuchen, über Simon, Ernestine, Betty und Julius Weichsel, Caroline Hofmann und Rudolf Falk nähere Informationen zusammenzutragen, um diese dann an der Verlegung vorzustellen.“
Fiktiver Tagebucheintrag
Doch teilweise war es gar nicht so einfach, mehr über die Personen zu erfahren. „Von Caroline Hofmann beispielsweise existieren nur Geburtsdatum und Sterbejahr in Theresienstadt“, haben die Schülerinnen und Schüler recherchiert. „Das ist schon sehr traurig. Daher versuchen wir, mehr über Theresienstadt zu erfahren und das dann vorzustellen. Bei Rudolf Falk haben wir beschlossen, einen fiktiven Tagebucheintrag zu verfassen, um seine Verzweiflung und Aussichtslosigkeit zu zeigen.“
Stadtführung hilft weiter
Lara Staab, Gina-Marie Meidel, Jeremie Hahn, Nils Wolfert, Philipp Kohlhepp und Elias Bayer von der Mittelschule Miltenberg haben sich für die Stolpersteinverlegung in die Biographien von Paula Nussbaum, Martha Martczak, geb. Oppenheimer, und ihrer Tochter Henny Oppenheimer eingelesen. „Zusätzlich haben wir uns mit einer Stadtführung über das jüdische Miltenberg informiert. Gemeinsam mit unserer Lehrerin Elfriede Zerr haben wir dadurch viel erfahren. Im Unterricht haben wir noch die beiden Weltkriege besprochen. All das hat uns geholfen, vieles besser zu verstehen.“ „Herr Bassarab von der Initiative ´Miltenberger Stolpersteine´ kam im Unterricht vorbei und zeigte Bilder der vorherigen beiden Verlegungen, das half ebenfalls“, fügt Lehrerin Elfriede Zerr hinzu. „Ich finde es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler sich durch diese Beschäftigung mit dem Thema Holocaust intensiver auseinandersetzen. Durch dieses Wissen können sie reagieren und dagegen argumentieren, wenn jemand antisemitische Äußerungen von sich gibt.“
Euthanasie und Ghettohaus
Mit Marcus Lindheimer, den Brüdern Adolf und Friedrich Marx, Siegmund und Nanni Klingenstein befassen sich Helena Balles, Veyda Kurz, Anna-Maria Gans, Jonas Hench und Silas Hayward vom Johannes-Butzbach-Gymnasium. Die Schülerinnen und Schüler sind Teilnehmer des Wahlkurses „Geschichte vor Ort“, den ihr Lehrer Christoph Grein anbietet. „Mit Hilfe des Films ´Das Tagebuch der Anne Frank´ und Fotomaterial aus dem Stadtarchiv haben wir zunächst versucht, die Opferperspektive einzunehmen. Leider gibt es von den fünf Personen nur wenige biographische Details. Wir haben uns daher entschlossen, über die Themen ´Euthanasie´, ´Ghettohäuser´ und ´Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg´ zu berichten.“
Auseinandersetzung nicht einfach
Für alle Schüler war die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht einfach. „Wir finden es tragisch, was damals mit den Menschen passiert ist“, meinen die Realschüler. „Das ist beängstigend. Andererseits ist es interessant, sich mit den Schicksalen auseinanderzusetzen. Unbewusst haben wir sicher auch Angst davor, dass so etwas noch mal passieren könnte aufgrund der politischen Aktualität.“ „Uns hat das Thema zum Nachdenken gebracht“, merken die Mittelschüler an. „Die Menschen müssen sich sehr einsam gefühlt haben. Die Täter wiederum haben eiskalt agiert, das schockiert.“ „Die Schicksale der Menschen gehen sehr nahe“, geben die Gymnasiasten zu. „Es ist uns unverständlich, wie so etwas passieren konnte.“ „Die Ausgrenzung, Verfolgung und Tötung der jüdischen Bevölkerung und anderer Opfergruppen war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das der Staat organisierte, bei dem viele aus Angst mitmachten oder wegschauten“, sagt Lehrer Christoph Grein abschließend. „Die junge Generation soll für jede Art der Ausgrenzung und deren Folgen sensibilisiert werden und die Erinnerung an die Opfer wachhalten, die es auch hier in Miltenberg gab.“
Freude am Tag der Verlegung
Erfreut zeigte sich am Tag der Verlegung die Initiative „Miltenberger Stolpersteine – GEGEN DAS VERGESSEN“, die das Projekt vorangetrieben und zum Erfolg geführt hatte. Dr. Jürgen Regensburg von der Initiative mahnte in seiner Eröffnung, dass „die Verlegung von Stolpersteinen eine ständige Erinnerung und Mahnung sein soll, dass sich Faschismus und die damit verbundenen Staatsverbrechen ungeheuren Ausmaßes niemals wiederholen dürfen.“ Die Initiatoren Dr. Jürgen Regensburg, Armin Weinmann, Dr. Karl Adalbert Maaß, Ruth Schöyen und das Ehepaar Gabriele und Georg Bassarab hatten sich unermüdlich in dieser Sache eingesetzt.
Grußworte
Der Künstler und Initiator Gunter Demnig ließ es sich nicht nehmen, die Verlegung der kleinen Mahnmale wiederum selbst vorzunehmen. Grußworte sprachen Bürgermeister Helmut Demel und stellvertretender Landrat Thomas Zöller. In Anschluss stellten die Schüler der drei beteiligten Schulen – Mittelschule, Johannes-Hartung-Realschule und Johannes-Butzbach-Gymnasium in Miltenberg – ihre Gedanken und Ausführungen zu den von ihnen bearbeiteten Opfern vor.
Dank an alle Unterstützer
Die Vertreter der Initiative bedankten sich abschließend bei allen, die durch ihre Beteiligung das Projekt erst ermöglicht hatten: den Miltenberger Schulen, insbesondere den Schulleitern, Schülern und Lehrern für ihre aktive Unterstützung, der Stadt Miltenberg mit Bürgermeister Helmut Demel, dem städtischen Bauamt sowie dem städtischen Bauhof, der die Vorarbeit geleistet hatte, dem Künstler Gunter Demnig und natürlich allen Spendern für ihre finanzielle Unterstützung oder die private Patenschaft für einzelne Stolpersteine.
Autor:Andrea Kaller-Fichtmüller aus Miltenberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.