Bildergalerie und Essay
Demut, Dankbarkeit, Datensammlung: Begeisterte jugendliche Forschungsgruppe aus Israel in unserer Region.
Auf historischer Spurensuche im „digitalen Lesebuch“einer jüdischen Friedhofs-Geschichte.
Zwölf Jugendliche mit zwei Lehrerinnen aus Israel zu Gast in Kleinheubach.
Landkreis Miltenberg. „Es ist ein Traum, wenn sich junge Menschen mit unterschiedlicher Sprache und Herkunft dennoch sofort verstehen und viele Gemeinsamkeiten entdecken!“ resümierte Kleinheubachs Bürgermeister Thomas Münig am vergangenen Wochenende bei einer Abschlussfeier in der Schulmensa.
Eine Woche lang waren zwölf Jugendliche und zwei Lehrkräfte aus der Nähe von Tel Aviv in der Marktgemeinde zu Gast und erforschten vor Ort die Geschichte der einstigen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, insbesondere den Friedhof und dessen Grabstätten.
Nach einem viereinhalbstündigen Flug waren die 17-jährigen Schülerinnen und Schüler (sieben Mädchen, fünf Jungen) an einem späten März-Sonntagabend in Frankfurt angekommen und mit einem privaten Kleinbus nach Kleinheubach gefahren worden.
Dort fanden sie herzliche Aufnahme in hiesigen Gastfamilien, die meist gleichaltrige Kinder hatten und so ihren Aufenthalt erleichterten.
Das Programm umfasste die Nutzung neuartiger Digital-Methoden zu historischen Forschungsarbeiten auf dem jüdischen Friedhof in Kleinheubach sowie ein kulturelles Bildungsangebot in der näheren und weiteren Umgebung in Miltenberg und Würzburg.
Auch das Zusammentreffen und der Austausch mit Miltenberger Schülerinnen und Schüler des Johannes-Butzbach-Gymnasiums sorgte für zahlreiche nachhaltige Eindrücke bei den jüdischen Gästen.
Sehr eindrucksvoll gestaltete sich am vergangenen Freitag die Abschlussveranstaltung in der Schulmensa der Grund- und Mittelschule Kleinheubach mit einer gemeinsamen Schabatt-Feier und einem Abendessen.
Zugegen waren neben den Gastfamilien die Verantwortlichen des gemeinsamen Forschungs- und Projekts sowie Vertreter der Marktgemeinde, von Vereinen und der Kirche.
Der Sabbat – bekanntlich in der Tradition ein freier Tag in der Woche – sei wohl das größte Geschenk der Juden an die Welt, betonte eine ältere Mitbürgerin aus Kleinheubach, die seit Jahrzehnten für das Judentum großes Interesse zeigt.
Zur Erinnerung an Gottes Ruhetag während der Schöpfung und an die Befreiung Israels sollen Juden den Sabbat heiligen, so stehe es bereits in der Bibel. Der Sabbat sei der höchste wöchentliche Feiertag, wusste die Lokalhistorikerin: „Es ist der siebte Tag der jüdischen Woche, an dem G"tt (das heilige Wort Gott darf nach jüdischer Tradition nicht ausgeschrieben werden, weil sich der Mensch kein Bildnis von G"tt machen darf) nach sechs Tagen Schöpfung eine Ruhepause eingelegt hat.
Ihren wichtigsten Festtag feiern viele Jüdinnen und Juden in jeder Woche einmal. Das ist der Schabbat. Er beginnt am Freitagabend und endet am Samstagabend. Der Samstag ist nach dem jüdischen Kalender der siebte Tag der Woche und nach Gottes Weisung aufgrund der Schöpfung ein heiliger Ruhetag. An ihm soll jedes Wesen – Mensch und Tier – nach einer anstrengenden Woche wieder zu sich finden und neue Kraft schöpfen.
Viele Jüdinnen und Juden beten am Schabbat besondere Gebete, lesen spezielle Abschnitte aus der Thora und den Propheten, treffen sich zum Thora-Lernen und arbeiten nicht, weil auch Gott am siebten Tag ruhte. Drei Schabbat-Mahlzeiten sind zur Feier des Tages vorgeschrieben.
Doch von Ruhe könne bei den jungen jüdischen Gästen in den nächsten Wochen wohl keine Rede sein. In Israel beginnt für sie nach dem Rückflug wieder die Schule, Prüfungen und die schriftliche Projektauswertung warten auf ihren Abschluss.
Fazit: Das bisher einzigartige Vorhaben in Kleinheubach war für alle Beteiligten aus nah und fern ein großer Erfolg und könnte im nächsten Jahr in einer anderen geschichtsträchtigen Landkreis-Gemeinde eine Fortsetzung erfahren.
Herzlich, ohne Ressentiments und Vorurteile, erfolgten die Begegnungen, Besuche und Beiträge.
Gespannt ist man - hier in Franken und Bayern wie wohl auch in Israel selbst - auf die mit neuen Auswertungsmethoden realisierten Forschungsergebnisse der Jugendlichen, die sicherlich künftig manches neue Licht in die jüdische (Friedhofs-) Kultur in und um Kleinheubach werfen wird.
Hintergrund: Jüdische Friedhöfe und Grabstätten
Ein jüdischer Friedhof gilt nach Auffassung der Bibel als ein „Haus der Ewigkeit“( Kohelet 12,8) mit Besonderheiten, die sich aus den Gesetzen des Judentums ergeben.
So sind die Erdbestattung und eine dauerhafte Totenruhe vorgeschrieben.
Bekannt ist auch der Brauch, dass die Anverwandten und sonstigen Besucher statt Blumen meist kleine graue Steine auf das Grab legen.
Durch seinen lebensbejahenden Charakter und die Messias-Erwartung wird der jüdische Friedhof von den gläubigen Juden auch als „guter Ort“ bezeichnet.
Seit Mitte der 1950erJahre werden die jüdischen Friedhöfe offiziell geschützt und gelten als Ruhestätte der Toten. Die Pflege der altehrwürdigen Anlagen ist durch Kommunen und Länder gesetzlich geregelt.
Der jüdische Glaube verbietet es, die zum Teil jahrhundertealten Friedhöfe aufzulösen. Zur Betreuung sind Gemeinden, Länder und Bund zwar nicht rechtlich, aber moralisch verpflichtet.
Zur Geschichte des Kleinheubacher Friedhofes:
Zunächst bestattete man die Toten der hiesigen jüdischen Gemeinde im hessischen Michelstadt. Ein eigener jüdischer Friedhof in Kleinheubach wurde erst vor rund 300 Jahren, um 1730, angelegt der Folgezeit fand eine Belegung auch von den jüdischen Gemeinden Laudenbach, Erbach und Miltenberg statt.
Besondere Lage des Friedhofes:
Der Friedhof liegt nordwestlich von Kleinheubach im Heubacher Wald (rund 300 m westlich/oberhalb der Einmündung der Hauptstraße in die B 469).
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde.
In Kleinheubach bestand eine jüdische Gemeinde bis 1942.
Bereits im 14. Jahrhundert sollen jüdische Personen am Ort gelebt haben.
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück.
1677 wird der Jude Baerle in Kleinheubach genannt. Ein Jahr später werden die "Schutzjuden" Moses und Nathan erwähnt. 1716 gab es elf jüdische Familien am Ort.
Durch die starke Auswanderung nach Nordamerika (40 Personen allein zwischen 1844 und 1854) und die Abwanderung in die Städte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen Einwohner auch in Kleinheubach zurück.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge, ein jüdisches Schulhaus (noch 1911 eingeweiht) mit Schulzimmer und Lehrerwohnung, ein rituelles Bad sowie einen Friedhof.
Die jüdische Schule wurde 1922 geschlossen. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.
Um 1924 wurden noch 45 jüdische Gemeindeglieder gezählt (3,0 % von insgesamt 1.494 Einwohner). Damals hieß der Gemeindevorsteher Samuel Wetzler.
1933 lebten noch 36 jüdische Personen in Kleinheubach (2,4 % von insgesamt 1.497 Einwohnern),
1938 wohnten noch 14 jüdische Personen in Kleinheubach. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Deportationen und Todesfälle fern der Heimat folgten. Kein jüdischer Mitbewohner kam zurück. Was blieb, waren der jüdische Friedhof und seine Grabsteine.
Heute erinnert am alten Rathaus eine neuzeitliche Gedenktafel an diese schreckliche Verfolgungszeit.
Interviews:
Erfolgsreiche Teamarbeit und viele neue Freundschaften
Hila Tevet und Sigal Ostreicher, Lehrerinnen von der Rabin High School in Kfar Saba:
„Durch eine digitale Erschließung haben wir den alten Judenfriedhof in Kleinheubach näher untersucht. Wir haben Grabsteine gereinigt, fotografiert, Inschriften entziffert und ausgewertet. Demnächst möchten wir unsere Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen. Kennengelernt haben unsere Jugendliche bei den Gastfamilien auch das Alltagsleben. Viele Freundschaften wurden untereinander geschlossen. Unser besonderer Dank gilt Herrn Bürgermeister Thomas Münig und die ehrenamtlichen Kräfte für die tatkräftige Unterstützung unseres Forschungsprojektes. In der Zukunft hoffen wir auf eine weitere gute Zusammenarbeit.“
Wertvolle Kulturgüter im Blickfeld
Odet Zingher, Hauptorganisator des Projektes:
„Ich freue mich, dass das Vorhaben mit Jugendlichen und Lehrkräften aus Israel nach jahrelangen Planungen und Bemühungen endlich in die Tat umgesetzt werden konnte. Bewundernswert ist das Engagement aller Beteiligten, sich mit der gemeinsamen Geschichte von Juden und Christen und ihren besonderen Kulturgütern vor Ort auseinander zu setzen. Meine Devise lautet: Remember the past, live the present. Believe in the future!”
Neue Erkenntnisse zum jüdischen Glaubensleben
Riccardo Altieri, Leiter des Johanna-Stahl Museums in Würzburg:
„Trotz zahlreicher bürokratischer Widerstände,Hindernisse und Verzögerungen – auch durch die Corona-Pandemie - haben auswärtige und einheimische Initiatoren endlich ‚grünes Licht‘ für ihre Forschungsarbeit vor Ort bekommen. In geraumer Zeit werden wir dank der Arbeit der israelischen Schülerinnen und Schüler einen exzellenten Einblick in die Lebens-und Glaubenswelt der hiesigen jüdischen Menschen erhalten.“
Brücken entdecken, die zum Miteinander führen
Marian Fritsch, Mitarbeiter von „Schalom Europa“ aus Würzburg:
„Die Erforschung unterfränkischer Friedhöfe und ihrer Grabsteine stellt einen exzellenten Beitrag dar zum Verständnis der Geschichte des Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Mentalität und Religion. Die Thematik ist ohne Frage aktueller denn je, denn entdeckte Gemeinsamkeiten bilden eine Brücke zu anderen Nationen und in die Zukunft!“
Vielfacher wertvoller Dienst an gemeinsamer Kultur
Claudia Binswanger, Projektmitarbeiterin „Netzwerk jüdisches Leben in Bayern“ aus München:
„Wir unterstützen die wertvolle Arbeit zur digitalen Erfassung der hiesigen Grabdenkmäler in den jüdischen Friedhöfen und sind dankbar für jede ehrenamtliche Arbeit, insbesondere von den israelischen Jugendlichen, die durch die jüdische Sprache, durch ihr technisches Verständnis und durch eine positive Einstellung zur Kulturgeschichte für uns alle wertvolle Dienste leistet.“
Viele Gemeinsamkeiten unter Jugendlichen
Elad Sendowski, 16-jähriger Gymnasiast aus Kfar Saba in Israel:
„Der Besuch hier war wirklich nett. Die Gastfamilie war warmherzig und sehr zuvorkommend. Ich entdeckte viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ländern. Die deutschen Jugendlichen mögen wie meine israelischen Mitschülerinnen und Mitschüler Sport und gutes Essen (zum Beispiel Pizza ). Auch haben wir wohl auch gemeinsame Vorlieben in den aktuellen Musikrichtungen. An ein Erlebnis werde ich besonders zurückdenken: ich durfte in der Martinskirche in Kleinheubach ein Orgelstück spielen, nämlich die Toccata und Fuge in D-Moll von Johann Sebastian Bach. Das war super und sicherlich auch einmalig!“
Harmonische Zeit
Kathrin Müller, Gymnasiastin aus Kleinheubach.
„Es war für uns deutsche Gastgeber eine wirklich schöne aufregende Woche. Egal, ob als Jugendliche so wie ich oder als älteres Familienmitglied – konnten wir viel voneinander, vor allem von Israel und seiner Geschichte und Gegenwart - erfahren und austauschen. Es war auch durch die Besichtigungen und Ausflüge eine harmonische Zeit miteinander. Ich glaube, allen Schülerinnen und Schülern aus Israel hat es hier tatsächlich gefallen.“
Durch Teamarbeit inspirierten und motivierten wir uns gegenseitig
Naama Evron, 17-jährige Gymnasiastin aus Kfar Saba in Israel:
“Ziel unseres Projektes war vor allem eine hilfreiche Verbindung herzustellen zwischen Deutschen und Israelis. Wir als jüdische Menschen fanden hier in Deutschland Wurzeln unserer Vergangenheit in Wort und Bild, in Stein und schriftlichen Quellen, in Inschriften und Symbolen. Gleichzeitig war unsere Recherche auf Friedhöfen und auf den Grabsteinen nicht nur ein Entdecken unserer Kultur, sondern wir vermitteln durch unseren Einsatz anderen Menschen das Gefühl, dass unsere gemeinsame Geschichte nicht vergessen werden sollte. Durch Teamarbeit inspirierten und motivierten wir uns gegenseitig und hoffen auf künftige ähnliche erfolgreiche Projekte zwischen unseren Völkern und Ländern“.
Text, Interviews und Foto: Roland Schönmüller
Autor:Roland Schönmüller aus Miltenberg |
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