Auf Monsterjagd in der Region mit dem Smartphone

Pokémon schweißt zusammen - Von rechts: Selina Zöller, Erlenbach am Main; Frederik Leinbach, Miltenberg; Michelle Haas, Elsenfeld.
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  • Pokémon schweißt zusammen - Von rechts: Selina Zöller, Erlenbach am Main; Frederik Leinbach, Miltenberg; Michelle Haas, Elsenfeld.
  • hochgeladen von Roland Schönmüller

Pokétastisch oder Pokéschrott ?

Die anfängliche Begeisterung für das Handyspiel Pokémon Go hat bei uns nachgelassen – Warum? - Antworten geben Interviews aus der Region.


Es ist ein ungewöhnlich warmer Spätsommertag im September.

Im Amorbacher Seegarten pulsiert das Leben.

Schwäne, Enten und Blesshühner ziehen auf dem ehemaligen Klosterteich ihre Wasser-Bahnen.

Bewundert werden die gefiederten Freunde von alt und jung, von zahlreichen Einheimischen und Besuchern in der licht-und schattenreichen Parkanlage.


Außergewöhnliche Begegnung in der Kampfarena

„Haben Sie gerade die Arena erobert?“ fragt mich lächelnd ein Mann mittleren Alters zwischen Wiese und See, als ich gerade in aller Ruhe meine E-Mails auf meinem Smartphone lesen will.

Das Gelände hier sei eine beliebte virtuelle Kampfarena, betont mein Gegenüber, für das Handyspiel Pokémon Go, wo es - nicht nur in der bayerisch-badischen Grenzregion – eigentlich überall zahlreiche Monsterjagd-Reviere gäbe, beispielsweise am Miltenberger Marktplatz, am Obernburger Mainufer, im Aschaffenburger Schönbusch-Park oder im Würzburger Hofgarten.

Mit bloßem Auge sind solche Arenen nicht zu erkennen. Sie offenbaren sich dem Smartphone-Spieler auf seinem Handy-Display: reelle heimatliche Landschaften und bekannte Sehenswürdigkeiten vor Ort, kombiniert mit japanischen Zeichentrick-Monstern.

Virtuelle und reelle Welten

Agierende Pokémon-Go-Nutzer sind inzwischen auch bei uns mit ihren Handys unterwegs. Sie bleiben an belebten Plätzen stehen und schauen durch die Kamera ihres Smartphones. Sie fotografieren keine Denkmäler, sie fertigen keine Selfies vor Kirchen und Brunnen.

Sie jagen Monster wie Glumanda, Pummeluff oder Pikachu, Hypno, Tauboss und Relaxo.

Und: sie versuchen diese mit Pokébällen einzufangen. Ist das geschafft, kann der User sie trainieren, sie stärker machen und die Monster schließlich in Arenen gegeneinander antreten lassen. Virtuelle Welt wird hierbei mit der Realität vermischt.

Das ist ein faszinierender Unterschied zu anderen Handyspielen. Wenn ein Pokémon auftaucht , kann der Spieler die Kamera seines Handys aktivieren . Dann projiziert sich das Fabeltier exakt in die Umgebung vor Ort.

So flattern Fledermäuse über das Miltenberger Schnatterloch oder Phantasiewürmer graben sich im Amorbacher Seegarten aus der Erde.

Alles fließt, alles ist in Bewegung – das wussten schon die alten Griechen

Jetzt ist Bewegung auch des Smartphone-Nutzers gefragt: er muss nämlich das Pokémon fangen, um Arenen zu finden und spezielle Pokéstops – so auch am neuen Miltenberger Hochwasserschutzgelände, berichten Teenager und junge Erwachsene.

Das sind meist Sehenswürdigkeiten oder markante Plätze: sie bilden virtuelle Haltestellen und präsentieren notwendiges Zubehör für die Monsterjagd - Grund und Suchtpotential genug, um die Position des PC-Stubenhockers aufzugeben und aufzubrechen in städtische Gefilde.

Manche Monster-Jäger legen in einer Woche mit dem Spiel mehr als 30 Kilometer zurück, fangen rund 200 Pokémon und entwickeln mehr als ein Dutzend zu stärkeren Exemplaren weiter – oft auch in Teams, berichtet ein Miltenberger Fan.

Glücks-Gefühle werden ausgelöst

Pokémon spreche das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn an, das bestätigen medizinische Experten. Fange man zum Beispiel ein neues, seltenes Pokémon , würden vermehrt Botenstoffe freigesetzt, die Glücksgefühle auslösen, unter anderem der Botenstoff Dopamin, der eben das Belohnungssystem im Gehirn auslöst und ein Wohlgefühl entstehen lässt.

Mehr Bewegung durch eine Spiele-App

Regelmäßiges Spielen stärke außerdem die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen. So würde die Lernfähigkeit des Gehirns trainiert. Das Pokemon-Spiel ermuntere zur Bewegung: es motiviert die Leute, rauszugehen, einen Spaziergang zu machen und mit anderen ins Gespräch zu kommen. Bewegung lindere außerdem Depressionen, senke Bludruck, Körpergewicht, Cholesterinspiegel und das Stresslevel.

Pokémon schweißt zusammen

Auch die soziale Interaktion fördert nach Feststellung von Fachleuten Pokémon Go. Spieler treffen sich per Zufall auf einer Wiese, auf einem Marktplatz , auf einer Straße oder gehen gemeinsam auf die Suche nach Pikachu & Co.

Diese spontanen Begegnungen hielten gesund, so die Mediziner, stärkten das Immunsystem und sollen sogar vor Krebs schützen. Demzufolge hätten Menschen mit einem festen Freundes- oder Bekanntenkreis eine durchschnittlich 7,5 Jahre höhere Lebenserwartung als die, die in einem schwachen, sozialen Umfeld leben.

Sommer-Rummel mit heimischen Monsterjagden

Die Begeisterung für Pokémon Go kannte in Deutschland nach der Einführung im diesjährigen Sommer keine Grenzen. „Tippst du noch oder spielst du schon?“ - das war eine beliebte Frage unter Pokémon-Fans. Ein regelrechter Rummel entstand. Vorzüge – vor allem gesundheitlicher Art- wurden aufgelistet.

Bald kursierten aber auch kuriose Geschichten rund um das neue Handy-Spiel: Polizeibehörden berichteten - nicht nur in deutschen Landen, sondern rund um die Welt - von Auffahrunfällen und Stürzen aus Unachtsamkeit. Hauseigentümer beschwerten sich, weil Pokémon-Spieler sich in Vorgärten schlichen, um virtuelle Monster jagen zu wollen.

Anfangs Spiel-Begeisterung, dann Ernüchterung

Forscher untersuchten die Faszination und den nicht ausbleibenden Erfolg der Pokémon-App. Neben nostalgischen Gründen (Erinnerung an die Kindheit) wurde zunehmend der soziale Aspekt des neuen Handy-Spiels immer deutlicher.

Menschen wie Jugendliche, Geschäftsleute oder Senioren kommen sich durch das gemeinsame Spiel und Interagieren näher – mehr als bei jedem anderen mobilen Handyspiel zuvor.

Dennoch folgt derzeit der anfänglichen Pokémon-on-Spiel-Begeisterung zunehmend Ernüchterung (siehe Interviews). Quälend lange Ladezeiten und wiederholte Probleme mit den Servern nerven viele Fans und zerstören ihre Freude an Spiel, Bewegung und Interaktion.

Wohl jeder Nutzer kennt die Schwierigkeit, wenn man gerade ein Pokémon gefangen hat, dann die App abstürzt und man nicht sicher sein kann, ob es nun gefangen ist oder nicht.

Neues in Sicht?

Außerdem nutzt sich bei der unterhaltsamsten oder aufregendsten App irgendwann das Spielkonzept ab , wenn es nicht Neues mehr gibt. Nicht nur die Spieler , auch Nintendo, der japanische Konsolenhersteller sowie das amerikanische Entwicklerstudio Niantic sollten also in Bewegung bleiben.

In Bewegung bleiben muss auch ich: ich verabschiede mich von meinem interessierten Park-Mitbesucher und verlasse die potentielle Monster-Kampfarena in Amorbach. Die Pokémon-Monster lassen grüßen!

Mein linker Fuß schmerzt. Eben wurde ich von einer Wespe gestochen - das ist ein Grund mehr, die hiesige Kampfarena mit echten Biestern schlagartig zu verlassen!

INTERVIEWS ZUM TITEL „POKEMON GO“

1. Erst die Arbeit, dann das Spiel

Fabian Schäfer, Collenberg: „Ich bin zur Zeit in der neunten Klasse und bereite mich auf den Quali (Qualifizierenden Mittelschulabschluss) vor. Da gibt es für meine Mitschüler und mich viel zu tun. Pokémon Go kenne ich seit der Einführung in Deutschland. Die Monsterjagd mit dem Smartphone macht Spaß, weil man in Bewegung bleibt, seine Konzentration schult und Freunde, zum Beispiel am Main zwischen Fechenbach und Reistenhausen, trifft. Ins Wasser bin ich bei der Monstersuche zwar noch nicht gefallen, aber am Ufer habe ich fast 100 Figuren gefunden. Dennoch hält sich mein Pokémon Go - Spiel in Grenzen, denn Schule und Lernen sind mir zur Zeit viel wichtiger.“

Nette Unterhaltung, aber auch nicht mehr

Selina Utz, Eichenbühl: „Ich halte Pokémon Go für einen vorübergehenden Hype, der hauptsächlich die Entwickler zum Erfolg führt. Ich selbst habe es auch ein paar Wochen gespielt, habe aber schnell die Lust daran verloren. Es ist ein netter Versuch, Kinder und Jugendliche dazu zu bewegen, das Haus einmal zu verlassen und sich zu bewegen. Schlecht finde ich, dass man es nicht von zu Hause aus spielen kann. In meinem Bekanntenkreis gibt es einige Freunde, die Pokémon Go noch spielen, manche haben aber die Lust daran verloren. In meinen Augen ist Pokémon Go ein nettes Spiel, aber auch nicht mehr.“

Begeisterung nur am Anfang

Selina Zöller, Erlenbach am Main. "Pokémon Go faszinierte mich ganze drei Wochen lang. Zwischen Aschaffenburg und Miltenburg fing ich rund sechzig Monster. Nervig waren manche Abstürze durch einen mangelhaften Handy-Empfang. Als Monsternur noch aus dem Main auftauchten und die Jagd immer schwieriger wurde, verlor ich bald die Lust am Spiel.“

Großer Energieverbrauch

Michelle Haas, Elsenfeld: „Ich spielte vierzehn Tage lang Pokémon Go. Dann war trotz zahlreicher Ausflüge Schluss mit lustig. Warum? Der Energieverbrauch war trotz Powerbank immens, bereits nach vierzig Minuten zeigte mein Handy nur noch 30 Prozent an. Das war für mich zuviel Stress!“

Ungewöhnliche Kampfarena

Frederik Leinbach, Miltenberg: "Pokémon Go’s Monsterjagd betrieb ich ungefähr eine Woche. Dann sollte ich vom Betreiber persönliche Daten an mögliche Dritte angeben. Das war mir zuviel. Außerdem zeigte mein Smartphone als Kampfarena den Standort der örtlichen Polizei an. Es gibt schönere und unkomplizierte Plätze.“

Riskante Smartphone-Nutzung

Alicia Grein, Weilbach: Pokémon Go kenne ich von Bekannten, selbst habe ich es mir als App nicht angelegt. Das ständige Auf-das-Handy-schauen mag ich nicht und ist außerdem gefährlich, wenn man seiner Umgebung nicht die entsprechende Wahrnehmung entgegenbringt. Natur und Umwelt mit allen Sinnen zu erleben, sind mir wichtiger und interessanter!“

Erinnerung an die Kindheit

Frederik Schulze, Miltenberg: „Pokémon kenne ich seit meiner Kindheit. Die einzelnen Figuren von damals sind mir noch sehr in Erinnerung und beflügelten meine damalige Phantasie. Manche heutigen Videospiele, Pokémon Go ausgeschlossen, finde ich inhaltlich unterhaltsamer, kreativer und spannender.“

Alles hat seine Zeit

Matti Wetzel, Miltenberg: „ Einen Monat lang habe ich Pokémon Go intensiv gespielt. Überall war ich in der Stadt zwischen Schwarzviertel und Engelsplatz unterwegs, ausgerüstet mit zwei zusätzlichen Powerbanks. Die Monstersuche war von reichlich Erfolg gekrönt. Ab und zu traf ich auf andere Fans. Doch dann kamen die Sommerferien, da bevorzugte ich das Kajak-Fahren. Jetzt ist für mich alles passé und der Ernst des Lebens, die Schule in der gymnasialen Oberstufe, hat wieder begonnen.“

Gegen Ausspionierung persönlicher Daten

Semih Ölmez, Eichenbühl:„Pokémon On ist sicherlich für viele Jugendliche ein kurzweiliger Zeitvertreib, der eine erfolgreiche Monsterjagd belohnt. Gleichzeitig schreckt mich der verpflichtende Daten-Transfer des Nutzers an den Betreiber und andere ab. Es gibt sogar Firmen, die verbieten aus diesen Gründen und zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen ihren Arbeitnehmern den Gebrauch von Pokémon, Facebook & Co.“

Das reelle Leben ist viel interessanter!

Carolin Betzwieser, Miltenberg:

„Viele gehen viel zu leichtsinnig mit der Preisgabe persönlicher Daten in sozialen Medien um. Ich bin da viel vorsichtiger! Pokémon erzeugt trotz mancher Vorzüge eine Scheinwelt, die wahre Wirklichkeit, das reelle Leben ist – finde ich - viel interessanter! “

Autor:

Roland Schönmüller aus Miltenberg

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