Corona-Pandemie
Kinder und Jugendliche sind große Verlierer der Corona-Zeit
Dass Kinder und Jugendliche die großen Verlierer der Corona-Pandemie sind, wird erst langsam klar. Lange wurde diese Personengruppe in der öffentlichen Wahrnehmung vernachlässigt und als Pandemietreiber zu Unrecht verunglimpft. In der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Soziales am Donnerstag im Landratsamt ergab sich ein klares Bild der Lage, dargeboten von neun Fachleuten aus den Bereichen Kindergartenaufsicht, Jugendsozialarbeit, kommunaler Jugendarbeit, Allgemeinem Sozialen Dienst, Jugendberufsagentur, Jugendkultur, Kreisjugendring, Schulamt und nicht zuletzt der Jugendhilfeplanung.
Landrat Jens Marco Scherf lobte zum Einstieg in die thematische Sitzung die Solidarität, mit der junge Menschen die notwendigen Schutzmaßnahmen akzeptiert und bewusst mitgetragen hätten, um ältere Menschen zu schützen. „Wir sollten das besonders achten und wertschätzen“, so der Landrat, der zu vielen Vorträgen überleitete, in denen die besonderen Lagen und Herausforderungen der Einrichtungen, Ämter und Verbände dargelegt wurden.
Viel Negatives, aber auch positive Erkenntnisse wurden in dreieinhalb Stunden Sitzung geäußert. Zu den wenigen Lichtblicken zählte etwa die Aussage von Ursula Weimer (Jugendamt), dass die Arbeit des Jugendamts in vielen Rückmeldungen als sehr positiv empfunden worden sei. In der Mehrzahl kristallisierte sich aber in fast jedem Beitrag der fehlende Kontakt zu Kindern und Jugendlichen heraus – viele Kontakte schliefen ein und konnten nur bedingt auf digitalem Weg fortgesetzt werden. Aber auch Rückschritte in der Sprachentwicklung und der sozialen Kompetenz, Konflikte im häuslichen Umfeld, exzessiver Medienkonsum, Zunahme von Schulangst, mehr psychische Auffälligkeiten und die Tendenz zu Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen waren zu beobachten. All diese negativen Begleiterscheinungen müssen Stück für Stück angegangen und beseitigt werden – ein gewaltiger Aufgabenberg für alle Institutionen und Ämter.
Die Pandemie und der damit einhergehende Verlust von persönlichen Kontakten hat laut Jugendamtsleiter Rüdiger Rätz das Kerngeschäft der Behörde getroffen, deren Arbeit auf dem direkten Kontakt basiert. Einerseits Hygiene-Distanz, andererseits menschliche Nähe, Sicherstellung des Kinderschutzes trotz Home-Office, Betretungsverbote in den Einrichtungen – nur wenige der Herausforderungen, die der Allgemeine Soziale Dienst zu meistern hatte. Für das Jugendamt kam dazu, dass etwa viele Unterstützungsdienstleistungen (Therapien, Förderangebote) geschlossen waren – die Liste der Einschränkungen ist lang.
Katharina Kaufmann (Fachaufsicht Kindertageseinrichtungen) wies darauf hin, dass durch das Tragen von Masken Mimik und Gestik als verlässliches Kommunikationsmittel verlorengegangen sein, das Personal berichte von zunehmend herausforderndem Verhalten der Kinder. Unter anderem mit Corona-Praxismaterial und der Handreichung „Bildung, Erziehung und Betreuung in Zeiten von Corona“ trete man den Herausforderungen entgegen, sagte sie.
Die Jugendsozialarbeiter*innen haben laut Stefan Adams versucht, trotz Schulschließungen untereinander und mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben – per Telefon, Mail, Messenger und Videokonferenzen, aber auch mit Hausbesuchen unter Hygienebedingungen. Er wies auf das Förderprogramm „gemeinsam Brücken bauen“ hin, das die individuelle Förderung und soziales Lernen zum Ziel hat. Adams, der auch die Jugendsozialarbeit an den Schulen verantwortet, sprach von großen Herausforderungen: Es habe weniger Ausbildungsstellen gegeben, weniger Praktika – und im Distanzunterricht sei das „Abtauchen“ möglich gewesen. Die digitalen Angebote seien kaum genutzt worden, bedauerte er und glaubt, dass im nächsten Jahr eine „Welle“ junger Menschen auf die Jugendberufsagentur zukommt, die Hilfe suchen.
Schulrat Ulrich Wohlmuth hat die Arbeitsbereitschaft des Lehrpersonals tief beeindruckt, gekennzeichnet von viel Energie und Innovationskraft. Vielen Eltern sei in der Pandemie erst klar geworden, was Lehrkräfte leisten. Die massive Mehrbelastung von Schulleitungen, Lehrkräften und Verwaltung sei aber dauerhaft nicht zu leisten. Er sprach von „teilweise massiven Lernrückständen“ der Jugendlichen, manche seien aber mit dem Homeschooling sehr gut zurechtgekommen. Gut sei, dass der Freistaat Finanzmittel bereitgestellt habe für Auffangkurse. Dennoch fürchtet Wohlmuth, „dass es einen gewissen Prozentsatz Schüler geben wird, der lange Probleme haben wird.“ Er hatte zudem beobachtet, dass es bei Kindern zu Unsicherheiten kommt, wenn Eltern mit dem Tragen von Masken nicht einverstanden sind. „Die Maske trägt keiner gerne“, ergänzte Landrat Jens Marco Scherf, am wichtigsten sei aber, dass die Kinder in die Schule gehen können.
Besonders unter der Pandemie haben kommunale und offene Jugendarbeit gelitten. Die Angebote seien „von Hundert auf Null“ zusammengebrochen, bedauerte Kreisjugendpfleger Helmut Platz, „die Jugend wurde schlicht und einfach vergessen.“ Dabei sei das Treffen mit Gleichaltrigen total wichtig für die Entwicklung, sagte er, nun zögen sich Jugendliche stark ins private und damit sehr schwer zu beeinflussende Umfeld zurück. Die kommunale Jugendarbeit werde weiter die Gemeinden bei der Reorganisation der Angebote unterstützen, Angebote organisieren und verstärkt Teambildungsangebote anbieten. Dazu gehöre ein Pilotprojekt in Niedernberg zur Gewinnung und Qualifizierung von jungen Ehrenamtlichen im Gemeinwesen. „Fahrten und Freizeiten sind für Jugendliche elementar wichtig“, so Platz.
Jenniffer Hartmann, Geschäftsführerin des Kreisjugendrings, berichtete vom Einsatz und dem Einfallsreichtum von Jugendleitungen – etwa mit einem „digitalen Zeltlager“. Das habe die Erkenntnis gebracht, dass mehr Mittel für die digitale Ausstattung benötigt werden. Sie forderte eine Anerkennungskultur für ehrenamtlich tätige Jugendliche – etwa für ihren Einsatz in den Martinsläden.
Kulturreferentin Juliana Fleischmann sind in der Pandemie viele Veranstaltungen weggefallen – Schaeflerpreis, viele Kunstnetzprojekte, der Jugendkulturpreis 2021, um nur einige zu nennen. Wenigstens habe man es geschafft, den Jugendlichen eine komplette Ausgabe der Landkreiszeitung „Blickpunkt MIL“ zu widmen mit allen Werken des Jugendkulturpreises Kunst 2020. 2022 sollen die Jugendkulturpreise Kunst und Musik parallel stattfinden, ab 2023 wieder im jährlichen Wechsel. Auch das Kulturwochenherbstprogramm laufe an, freute sie sich.
Zu guter Letzt wies Ursula Weimer darauf hin, dass der beratende und begleitende Ausschuss der Jugendhilfeplanung das Thema Corona in seine Themenliste aufgenommen habe und in einer Arbeitsgruppe vorangetrieben habe. Nun gelte es, wieder den Weg in die Normalität zu finden, sagte sie und verwies auf das „Aufholpaket“, ein Förderprogramm für Kinder, Jugend und Familie.
„Es war wichtig, dass wir einen differenzierten Blick auf die Corona-Pandemie mit Schwerpunkt auf Kindern und Jugendlichen und deren Bedürfnisse geworfen haben“, so Landrat Jens Marco Scherf am Ende der Sitzung.
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