Kultur
Johannes Kreisler, wie ihn E.T.A. Hoffmann, Brahms und Schumann sahen
Nach ihrer hervorragenden Konzertlesung im Jahr 2019, die unter dem Thema „Adorno – Beethoven – Thomas Mann“ stand, gaben der Pianist Kotaro Fukuma und der Musikphilosoph Michael Fürtjes erneut ein umjubeltes Gastspiel in Amorbach. Im Grünen Saal stand diesmal die „Kreisleriana“ im Mittelpunkt – ein Klavierzyklus von Robert Schumann auf Basis einer Kunstfigur von E.T.A. Hoffmann.
Das Kulturreferat hatte die Veranstaltung in Kooperation mit dem Fürstenhaus zu Leiningen eigentlich bereits für den Oktober des vergangenen Jahres gebucht, die Corona-Pandemie hatte dies aber verhindert. Nun aber klappte es am Samstag, 19. November, und die rund 40 begeisterten Besucher*innen erlebten erneut eine herausragende Konzertlesung, die erst nach rund zwei Stunden mit mehreren Zugaben Fukumas endete.
Die Klammer bildete diesmal die Gestalt des Johannes Kreisler, erschaffen von E.T.A. Hoffmann, einem der wichtigsten Schriftsteller der Romantik. Seine Einflüsse reichten weit – bis hin zu bekannten Komponisten wie Robert Schumann und Johannes Brahms. Sowohl Schumann wie auch Brahms waren fasziniert von der schwer zu fassenden Gestalt des Kapellmeisters Johannes Kreisler, den E.T.A. Hoffmann im Roman „Lebensansichten des Katers Murr“ schuf. Hoffmann lässt darin Kreisler selbst zu Wort kommen – einen Kapellmeister, der mitunter dem Wahnsinn nahe scheint.
Fürtjes entführte die Gäste in das beginnende 19. Jahrhundert, als E.T.A. Hoffmanns Werk über den Kapellmeister Kreisler zwischen 1810 und 1814 entstand. Der Musikphilosoph erwählte bei seinen Vorträgen Stellen aus „Lebensansichten des Katers Murr“, in denen deutlich wurde, wie sehr Kreisler sein Zustand quälte („die Marter meines Zustandes“), wie ihn aber frohe Momente aufbauten. Kreativ wird er immer dann, wenn der „Engel des Lichts“ sich bemerkbar macht: „Es ist der Geist der Tonkunst, der oft aus mir selbst sich siegreich erhebt“, heißt es beispielsweise.
Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts, als Hoffmann bereits verstorben war, entdeckten sowohl Johannes Brahms wie auch Robert Schumann ihre Faszination für Hoffmanns Figur Johannes Kreisler und lebten dies künstlerisch aus. In seinem 1838 geschriebenen Klavierzyklus „Kreisleriana op. 16“ versuchte Schumann, die vielschichtige Gestalt des Johannes Kreisler zu vertonen. Die Komposition entstand in einer Zeit, als Schumann längere Zeit von seiner Frau Clara getrennt war und so ist es nicht verwunderlich, dass in der von Kotaro Fukuma meisterhaft vorgetragene „Kreisleriana“ viele leise, wehmütige Töne und schöne Melodien erklangen, dann wurde es laut und ungezähmt bei Satzüberschriften wie „sehr aufgeregt“ und „sehr rasch“. Von Romantik war da wenig zu spüren angesichts der zerrissenen Seele Kreislers mit Stimmungsschwankungen, andererseits machen diese scharfen Kontraste den Reiz des Stücks aus. Fukuma verstand es, die „Kreisleriana“ mit großer Inbrunst und gekonnten Tastenanschlägen umzusetzen – entsprechend den Auszügen aus Hoffmanns Werk, die Michael Fürtjes im Schein der Lampe mit tiefer, klar akzentuierter Stimme vortrug.
Der junge Johannes Brahms drückte sich 1854 in den „Variationen über ein Thema von Robert Schumann, op.9“ aus, das ebenfalls im Grünen Saal erklang. Brahms wechselt darin seine künstlerische Identität – manche Stücke überschrieb er mit „B“ für Brahms, andere mit „Kr.“ für Kreisler. Auch hier schließt sich ein Kreis – er nimmt Bezug auf Schumanns „Kreisleriana“. Warum Brahms dieses Stück Clara Schumann gewidmet hatte, erschloss sich bei einem von Michael Fürtjes in Auszügen vorgetragenen Brief Brahms‘ an Clara Schumann, in dem die Liebe Brahms‘ für Schumanns Frau durchschimmert.
Fukuma gelang es in Brahms‘ „Scherzo op. 4“ virtuos, den fast hypnotischen Rhythmus umzusetzen und die sehr eingängige Melodie mit großer Leichtigkeit darzubieten – wohltuende Klänge nach den mitunter schweren Sätzen aus Schumanns „Kreisleriana“ im ersten Teil des Konzerts. Auch heute noch ist es erstaunlich, dass Brahms dieses großartige Stück im Alter von nicht einmal 20 Jahren schrieb.
Eröffnet wurden die beiden Teile des Konzerts jeweils mit einem Sonett von Hans Pfitzner zu Ehren von E.T.A. Hoffmann. Dass Hoffmann auch ein veritabler Komponist war, zeigte Kotaro Fukuma gleich zu Beginn der Konzertlesung mit der „Klaviersonate Nr. 2 f-moll, 1. Satz Adagio e con gravità“, als Zugabe spielte er den zweiten und dritten Satz.
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