Chronisch Kranke sollten sich impfen lassen
MS-Selbsthilfegruppe aktiv informiert

Im Gespräch: Maria Holzheid und Dr. Werner E. Hofmann bei einer Veranstaltung vor Beginn der Corona-Pandemie.
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  • Im Gespräch: Maria Holzheid und Dr. Werner E. Hofmann bei einer Veranstaltung vor Beginn der Corona-Pandemie.
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Nachdem die Inzidenzwerte im ganz Europa, in Deutschland, auch im Landkreis Miltenberg rapide ansteigen, ist für an Multipler Sklerose Erkrankte wichtig, ob sie sich überhaupt impfen lassen sollten. In Kooperation mit der Selbsthilfegruppe MS aktiv im Landkreis Miltenberg unter der Leitung von Maria Holzheid (Kleinwallstadt) beantwortet der Neurologe Dr. med. Werner E. Hofmann Fragen, die den Betroffenen unter den Nägeln brennen.

Ist eine Impfung gegen Covid-19 bei MS-Erkrankten grundsätzlich zu empfehlen?
Unter MS-Experten und Infektiologen besteht mittlerweile die einhellige Meinung, dass sich MS-Patienten gegen die Covid-Erkrankung impfen lassen sollten. Im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen besteht kein erhöhtes Infektionsrisiko. Ein MS-Erkrankter wird allerdings durch die stärkere körperliche Behinderung zum Risikopatient. Deshalb ist bei diesen Personen ist ein schwererer Verlauf von SARS-CoV2 wahrscheinlicher.

Was ist in der Regel bei Covid 19-Impfungen und MS zu beachten?
Bei MS werden neben den Substanzen zur Basistherapie auch spezielle Medikamente in der Optimierungstherapie angeboten, bei denen ein nicht bewiesenes Risiko im Zusammenhang mit der Impfung, hier Coronavirus-Impfung, diskutiert wird. Diese speziellen Substanzen, die mit der B-Zellerniedrigung zu tun haben (überwiegend Intervalltherapien), muss der Patient in jedem Fall mit seinem kompetenten Neurologen besprechen. Bei der Absprache der medikamentösen Therapie muss der neurologische Status, der Behinderungsgrad, die Beeinträchtigungen aus internistischer Sicht und der zeitliche Abstand der gewählten Therapie berücksichtigt werden. Vor der Beendigung der speziellen Therapie muss gewarnt werden, da dadurch schwere Schübe ausgelöst werden können, die dann den Behinderungsgrad verstärken.

Gibt es MS-Therapien, bei denen eine Impfung vermieden werden sollte?
Die B- Zell-erniedrigenden Intervalltherapien erhöhen durch ihr besonderes Wirkungspotential das Risiko für eine Infektion, wobei dies umso höher ist, je näher die Impfung am letzten Infusionsdatum liegt. Hier muss ein ausreichender zeitlicher Abstand zum letzten Infusionsdatum eingehalten werden. Die Therapie sollte jedoch nicht beendet werden, da viele dieser Patienten auch eine erhöhte Behinderung haben und dadurch das Risiko an Covid zu erkranken deutlich höher ist. Nach persönlicher Mitteilung aus Großbritannien wurden schwere Schübe nach deutlicher Verzögerung der Folgeinfusion gesehen. Über einen Abstrich auf SARS-CoV-2 am Tage der Therapie muss diskutiert werden und je nach Ergebnis die Entscheidung für oder gegen die Infusion zum jetzigen Zeitpunkt mit dem Erkrankten besprochen werden. Wie gehe ich mit einem positiven Test und der weiteren Therapie zu diesem Zeitpunkt um?

Sollte eine MS-Therapie wegen einer bevorstehenden Therapie abgebrochen werden?
Die Antwort geht aus der letzten Frage hervor. Der Abbruch einer Therapie ist nicht angemessen, aber vor der Impfung müssen der Patient, seine Behinderung und seine Risikoeinschätzung genau beleuchtet werden. Nach ausführlicher Befunderhebung durch den Neurologen und einem detaillierten Gespräch mit dem Betroffenen wird in hohem Prozentsatz die Therapie weitergeführt werden. Auch auf einen eventuellen Immunglobulin-Mangel muss geschaut werden, eventuell muss dieser ausgeglichen werden.

Sollten vorab weitere Impfungen, z. B. Masern, Mumps, Röteln, Varizellen stattgefunden haben, bzw. noch wirksam sein, bevor eine Covid-19- Impfung vorgenommen wird?
Die hier angesprochenen bekannten Impfungen sollten nach Vorgabe durchgeführt und im Impfpass niedergelegt sein. Das Problem der Impfviruserkrankung kann dadurch umgangen werden, dass auf inaktivierte Viren (Totimpfstoff) zurückgegriffen wird (z.B. jährliche Grippeimpfung). Inaktivierte Impfstoffe (=Totimpfstoffe) können grundsätzlich bei Personen mit Autoimmunkrankheit (z.B. MS) und bei bestehender medikamentöser Therapie der MS angewendet werden. Die Impfungen bei MS-Patienten mit immunsuppressiver Therapie sollten frühzeitig vor Behandlungsbeginn erfolgen. Bei bevorstehenden Immuntherapien ist eine Immunität gegen Varizella zoster (VZV) erforderlich.

Wie lange sollte der zeitliche Abstand von anderen Impfungen oder einer bestimmtem Therapie vor einer Covid-19-Impfung sein?
Hier gibt es noch keine sicheren Antworten. Wenn eine Immuntherapie begonnen werden soll, so muss im Regelfall ein Abstand von zwei Wochen oder mehr eingehalten werden. Impfungen schützen vor Infektionen und bieten daher einen Schutz vor MS-Krankheitsaktivität. Alle MS-Patienten sollten einen Impfschutz nach den Empfehlungen der ständigen Impfkommission erhalten.

Welche bereits von der EMA zugelassenen Impfstoffe eigen sich am besten für MS-Erkrankte und warum?
Wir verfügen zur Zeit über drei Impfstoffe von drei Firmen;
1. Comirnaty (Biontech-Pfizer)
2. COVID-19 Vaccine mRNA-1273 (Moderna)
3. AZD1222 (Impfstoff Astra- Zeneca)
Bei Impfstoff 1 und 2 handelt es sich um mRNA-Impfstoffe, bei 3 um einen Vektor-Impfstoff. Die Diskussion über die Wirkung jedes einzelnen Impfstoffs ist noch nicht abgeschlossen Es gibt zur Zeit über über die Wirkung und auch in Bezug auf das Alter sehr unterschiedliche Aussagen von anerkannten Wissenschaftlern. Wir werden hier sicherlich noch einiges dazu lernen. Die mRNA- Impfstoffe gelten im Moment als wirksamer. Für MS-Erkrankte wird es wahrscheinlich keine Unterschiede bei den Möglichkeiten der Impfstoffvergabe geben. Die nächsten Monate werden weiteren Aufschluss erbringen.
Anmerkung im Nachgang des Interviews: Aktuell ist auch der Impfstoff von Johnson & Johnson zugelassen.  Er wird vermutlich erst im April zur Verfügung stehen. Das Präparat hat eine Besonderheit: Es muss nur einmal verabreicht werden und ist bei normalen Kühlschranktemperaturen zu lagern. Die Impfwirksamkeit ist etwas geringer als bei den mRNA-Vakzinen, unterscheidet sich aber nicht vom Astrazeneca-Impfstoff.

Welche Impfreaktionen können auftreten?
Unerwünschte Impferscheinungen (UIE) können im Zeitraum von jeweils 7 Tagen nach Dosis 1 und 2 auftreten. Sie sind ähnlich wie bei anderen Impfstoffen. Es können Schmerzen an der Einstichstelle und lokale Reaktionen wie Rötung und Schwellung auftreten. An systemischen Impferscheinungen sind Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Fieber und Unwohlsein beschrieben. Sehr seltene Nebenwirkungen sind schwere anaphylaktische Reaktionen. Die beschriebenen Nebenwirkungen der Impfung sind selten. Allerdings müssen wir noch weitere Informationen in diesem Jahr sammeln, da die Mehrzahl der Impfungen noch bevorsteht.

Ist die Wahrscheinlichkeit eines MS-Schubes nach einer Covid-19-Impfung hoch oder eher gering?
Impfungen sind eine vorbeugende Maßnahme in der Medizin. Wie eben gesagt, sind die unerwünschten Impfwirkungen gering. Impfungen lösen eine MS nicht aus, sie schützen vielmehr vor der COVID-Infektion und bieten daher einen Schutz vor MS-Krankheitsaktivität und sind dadurch eher schubverhindernd.

Was bedeutet Mutation? Sind Mutationen gefährlich?
Das Corona-Virus mutiert, d.h. es verändert sich. Dadurch kann es einen Vorteil in der Ausbreitung erreichen. Wenn eine Virusvariante für eine erhöhte Ansteckungsrate sorgt, geben mehr Menschen das Virus weiter, was eine erhöhte Sterblichkeit erbringen kann. Wie gefährlich die Variante ist, hängt von den vorhandenen Impfungen und Medikamenten ab. Zur Zeit sorgen drei Varianten für eine erhöhte Ansteckungsrate: die britische (B.1.1.7), südafrikanische (B.1.351) und brasilianische (P.1) Variante. In Deutschland werden seit kurzer Zeit mehr finanzielle Mittel für die Erkennung des Virenerbgutes bereitgestellt. Soweit bekannt, wirken nicht alle Impfstoffe gleich gut gegen die aufgeführten Varianten. Hier ist weitere Forschung dringend notwendig. Die Impfstofffirmen versuchen, die Schutzwirkung ihrer Substanzen zu erhöhen.

Bei all den Ausführungen ist es gerade für Multiple Sklerose- Patienten/innen wichtig, die Grundprinzipien der Virusabwehr zu kennen und auch konsequent durchzuführen. Hierfür steht weiterhin die AHA-Formel, die schon 2020 zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie eingeführt wurde. Abstand halten (1,5 bis 2m), Hygiene-Maßnahmen beachten, Alltagsmaske tragen.

Autor:

Ruth Weitz aus Obernburg am Main

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