Erstellung von Bebauungsplänen
Absurdistan am Aschaffenburger Godelsberg

Am Godelsberg sollen für 308 Grundstücke auf rund 3,8 Quadratkilometern Bebauungspläne entwickelt werden. Es handelt sich um ein zu über 95% bebautes Gebiet, das sich im Wesentlichen in den letzten sechs Jahrzehnten von Obstwiesen zu einem Mischgebiet aus Mietwohnungsbauten und Luxusvillen entwickelt hat. Charakteristisch für das Gebiet sind grüne Gärten, meist gepflegt, aber auch Wohnanlagen mit größeren Parkplatzflächen. Bei diesem Charakter stellt sich die Frage nach der Funktion eines Bebauungsplans. Die meisten Grundstücke sind bebaut, Baufenster und Bauweisen durch die Nachbarschaften wohl definiert, die Verwaltung hat ausreichend Regeln zur Beurteilung von Bauvorhaben. Und zugegebenermaßen ging so der Trend der letzten Jahre weg von großen Luxusanwesen hin zu mehrgeschossigen Wohnbauten mit mehreren Wohnungen. Ein Trend, den man aus Sicht der Eigentümer von großen Villen auf großen Grundstücken bedauern mag, der aber einfach genau in unsere Zeit des Wohnraummangels und der gewünschten besseren Ausnutzung bestehender erschlossener Baugebiete passt. Ganz schwer lässt sich die städtebauliche Begründung für eine starke Einschränkung der Baumöglichkeiten daraus ableiten. Dies war im Übrigen die dokumentierte Meinung der CSU-Stadtratsfraktion bis zum Jahre 2019.

Eine Bauleitplanung bzw. ein Bebauungsplan hat weitgehende Auswirkungen auf die Grundstücks- und Hausbesitzer. Deshalb hat der Gesetzgeber zweimalige Bürgerbeteiligung vorgesehen und auch den Verfahrensablauf beschrieben. Dieser ist so gestaltet, dass die Bürger sowohl bei den grundsätzlichen Zielen als auch bei der weiteren Konkretisierung vor der endgültigen Ausformulierung durch öffentliche Auslegung und Stellungnahmen gehört werden müssen. Dabei geht der Gesetzgeber eben von einer stufenweisen Konkretisierung vom Grundsätzlichen hin zu speziellen Regelungen und konkreten Vorschriften aus.

Im Konkreten war am Godelsberg der Ablauf aber anders. Während im Auftrag an die Verwaltung noch im Sinne des §2 und §3 des BauBG grundsätzlich das Ziel allgemein formuliert war, wurde unmittelbar nach dem Vorliegen des ersten Entwurfs der Verwaltung durch einige Stadträte, denen man eine persönliche Verflechtung nicht absprechen kann, ganz spezifische Vorschläge für einzelne Kriterien der Bauvorgaben gemacht. Sei es Gebäudehöhe, Tiefe der Baulinie und Ähnliches.

Die Anwendung und Aufstellung von Begrenzungen in einem Bebauungsplan ist Expertensache und erfordert langjährige Erfahrung und Übung. Einzelne Kriterien sind nicht voneinander unabhängig und auch von Normen und Bauvorschriften abhängig. So folgt zum Beispiel die Mindest-Gebäudehöhe bei einer vorgegebene Geschoßzahl der Bauphysik aus Rohbauhöhen der Geschosse, Dicke von Decken und Dächern, Neigung von Zugangswegen und Ähnlichem mehr.

Mehrfach wurden von einzelnen Stadträten Anträge im Bebauungsplan für weitere Einschränkungen der Bebaubarkeit im Gebiet des Godelsberg gemacht. Abstrakt gesehen bleibt eine ungewöhnliche und unübliche Einmischung einzelner Stadträte in die vernetzte Facharbeit der Verwaltung.

Was bedeutet das im Ergebnis: Von einer wirklichen Bürgerbeteiligung im Sinne des §3 kann nicht mehr die Rede sein. In jeder Stufe der Bürgerbeteiligung waren die Vorlagen bereits extrem weit ausformuliert, so dass selbst der Oberbürgermeister der Stadt Aschaffenburg in der Stadtratssitzung am 10.11.21 davon sprach, dass man die Bürger belüge, wenn man den Eindruck erwecke, es sei eine ernsthafte Bürgerbeteiligung noch möglich.

Braucht es Belege für diesen Vorwurf? Dem Autor liegen schriftliche Aussagen von den Stadträt*innen vor, die die Einschränkungen vehement gefordert haben, worin sie das Gespräch mit Bürgern ablehnen, die gegen die Verschärfungen des Stadtrats und für den ersten Vorschlag der Verwaltung waren. Darin schreiben die Stadträt*innen sinngemäß, dass sie ein Gespräch ablehnen, weil sie sowieso wüssten, was diese Bürger zu sagen hätten.

Der vorliegende Prozess hat noch andere Auswirkungen: Wenn man für Mehrfamilienhäuser Tiefgaragen vorschreibt aber andererseits die Baufenster so bemisst, dass gar keine normgerechten Abfahrten in die Tiefgaragen möglich sind, dann verhindert man im Effekt Mehrfamilienhäuser und nur der wirklich planende Architekt und Experte kann diese Auswirkungen ermessen, klingen doch die einzelnen Vorgaben gar nicht so unvernünftig. In dieser Weise wurde an mehreren Kriterien ganz scheinheilig geschraubt, und in der Gesamtauswirkung verhindert dieser Bebauungsplan den Neubau von größeren Objekten auf vielen Grundstücken.

Das Verfahren zur Erstellung eines Bebauungsplans wurde hier also durch einzelne Protagonisten missbraucht, um ihre Vorstellungen und individuellen Interessen scheibchenweise durchzusetzen. Vom Geiste des §3 des BauBG, der das Verfahren zur Bürgerbeteiligung bei der Erstellung eines Bebauungsplans regelt, ist fast nichts mehr übrig. Darauf hat die Verwaltung in den Sitzungen immer wieder hingewiesen. Im mindesten ist das eine Respektlosigkeit gegenüber dem Bürger und seinem Eigentum, man könnte es aber auch als Hybris einzelner Stadtregenten interpretieren.

Eine besondere Pointe ist, dass die Protagonistin der Verschärfungen im Stadtrat darüber hinaus in ihrer Funktion als Vorsitzende des CSU-Ortsverbandes Aschaffenburg Ost die Mitgliedsanträge von mehreren Bürgern aus Aschaffenburg Ost abgelehnt hat, die ihre Ansichten nicht teilen. Absurderweise hat sie die Mitgliedschaft in einem anderen Ortsverband empfohlen, was dann auch problemlos gelaufen ist. Ziemlich respektlos und absurd.

Aber das Ganze wird noch absurder: Auf dem Weg zur zweiten öffentlichen Auslegung wurden per Änderungsantrag drei weitgehende Änderungsvorschläge gemacht: Zum einen wird für die seitlichen Abstandsflächen die Regelung der neuen bayerischen Bauordnung außer Kraft gesetzt, zum anderen wurde eine noch stärkere Überdeckung der Tiefgaragen und damit faktisch eine Verlängerung der Garageneinfahrten vorgeschlagen. Der Höhepunkt war, dass ein einzelner fachfremder Stadtrat von den Normungen abweichende Substratdicke für begrünte Dächer forderte. Die Auswirkungen auf Gebäudehöhe und Statik wurden nicht einmal erörtert. Von diesen Vorschlägen ging einer durch, einer wird erwogen und einer abgelehnt.

Während des ganzen Prozesses wurden nach §33 des Baugesetzbuches als Ausnahme einzelne Bauvorhaben genehmigt, die sich wohl an den jeweiligen Stand der Entwürfe gehalten haben. Nach den Reglungen dieses Paragraphen hätten aber die Bürger- und Behördenbeteiligungen vorher durchgeführt sein müssen und „der Antragsteller diese Festsetzungen für sich und seine Rechtsnachfolger schriftlich anerkennen“. Wenn jetzt die Bauvorschriften aber gar nicht mehr diesem Stand zur Erteilung der Ausnahme entsprechen, es also eine abweichende Rechtsnachfolge gibt, müssen diese Bauten dann nachgebessert werden? Müssen sie niedriger werden oder weiter weg vom Nachbarn verlegt werden? Das werden spannende rechtliche Fragen und es werden wahrscheinlich auch Klagen bezüglich dieser Bauten eingereicht werden. Sind solche voreiligen Genehmigungen nach §33 dann nur absurd oder eventuell sogar Unrecht? Jedenfalls rühmt sich ein grüner Redner aus dem Stadtrat der Flexibilität, wenn jetzt weiterhin als Ausnahmen gegen eine Veränderungssperre gebaut werden kann. Die genauen rechtlichen Randbedingungen für derartige Ausnahmen vernachlässigt er aber offenbar oder kennt sie gar nicht.
Vorgänge wie gerade diese Letzten scheinen in der Politik derzeit aber nicht selten zu sein: Da wird immer wieder versucht, die Gesetze der Naturwissenschaften durch politische Statements außer Kraft zu setzen, da wird wenig fachkundig aber umso ideologischer in komplexen Zusammenhängen herumgefuhrwerkt. Dass ein Stuhlkreis oder die populistische ideologische Ansprache den guten alten Pythagoras außer Kraft setzen können, das wäre dann aber neu.

Wer die Warnungen der Verwaltung in diesem Prozess hören wollte, der konnte wohl vernehmen, dass diese Bebauungspläne immer mehr auf tönernen Füßen stehen würden, dass sie immer weniger der Prüfung durch ein erfahrenes Gericht standhalten würden. Die Warnungen waren mehrfach und deutlich und es bleibt die Frage, warum die Mehrheit der Stadträte Aschaffenburgs da nicht hingehört hat?

Dass es an juristischem Sachverstand im Stadtrat fehlt, kann man zwar für einzelne Gruppierungen annehmen, aber nicht in Gänze. So sitzen mehrere Juristen in diesem Stadtrat, sogar ein ehemaliger bayerischer Justizminister und Compliance-Beauftragter der CSU. Aber es war ja gerade eine Juristin, zugegebenermaßen Strafrechtlerin, die die Einschränkungen vorangetrieben hat und die dann wegen Verletzung des §49 der Gemeindeordnung, persönliche Befangenheit, aus den Beratungen zum Godelsberg ausscheiden musste. Es geht übrigens das Gerücht, sie sei nicht die Einzige, die persönliche Interessenverquickung am Godelsberg habe, wenn auch nicht in der klaren Schärfe des §49. Selbst auf der Webseite des Aschaffenburger Stadtrats heißt es: Bei "persönlicher Beteiligung ist den Mitgliedern des Stadtrats die Teilnahme an Beratung und Abstimmung untersagt.“

Man könnte aber auch mutmaßen, dass einigen Stadträten schon klar ist, dass sie sich verrannt haben, dass es aber einfacher ist, sich von Gerichten überstimmen zu lassen, als zuzugeben, dass man zu weit gegangen ist. Aber das wäre ja gleichermaßen absurd.

Das führt uns dazu, den ganzen Prozess der Willensbildung im Stadtrat und in den Fraktionen einmal zu beleuchten. Leider machen viel zu wenige Mitbürger von der Möglichkeit Gebrauch, Stadtratssitzungen live zu verfolgen. Es ist immer wieder Interessant, die „aus allgemeinen, freien und geheimen Wahlen hervorgegangene Vertretung der Aschaffenburger Bürger“ bei der Arbeit zu beobachten. Auf der Stadtratsseite im Netz heißt es weiter: „Die Stadtratsmitglieder haben kein allgemein politisches Mandat inne, das heißt sie sind keine Parlamentarier. Sie üben entsprechend dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie ein freies Mandat aus, sind nur ihrem Gewissen verpflichtet und nicht an Weisungen gebunden.“
Die Praxis scheint jedoch eine andere zu sein. In der Woche vor der Sitzung werden in den Fraktionen die Themen der nächsten Sitzungswoche vorbesprochen um in nahezu allen Fällen wird eine Linie der Fraktion festgelegt, die in der kommenden Woche das Abstimmverhalten der Stadträte bestimmt. Dies drückt sich auch in den Vorträgen zu einzelnen Themen aus, in denen in der Regel eine Fraktionsmeinung vorgetragen wird.

Nun ist aber bekannt, dass die Einschränkungen in den Planentwürfen am Godelsberg innerhalb der CSU-Stadtratsfraktion sehr kontrovers diskutiert wurden. Am Ende aber gelang es offenbar der Ortsvorsitzenden der CSU-Aschaffenburg Ost nahezu die gesamte Fraktion in Geiselhaft zu nehmen für ein Vorgehen, das dem Vernehmen nach mehreren Mitgliedern der Fraktion großes Bauchweh gemacht hat. Dies kann man vielleicht mit dem Wunsch nach einer gewissen Geschlossenheit im Auftreten verstehen, spätestens aber nach dem Bekanntwerden der persönlichen Betroffenheit und dem Rückzug dieser Stadträtin hätte man von den „ihrem Gewissen verpflichteten“ Stadträten etwas mehr Courage erwarten dürfen.

Versucht man sich einmal von aller persönlichen Betroffenheit frei zu machen, und das fällt dem Autor hier zugegebenermaßen nicht leicht, dann sind es Vorgänge wie diese, die zur Politikverdrossenheit und zur mangelnden Glaubwürdigkeit der Politik beitragen. Das fängt mit dem Einbringen unverständlicher und komplexer Details an und endet nicht mit der Missachtung der nachgewiesenen Experten der Verwaltung. Wenn die Linie der Parteien in München und Berlin in eine Richtung zeigen und lokal in eine andere gehandelt wird, dann zerstört das die Glaubwürdigkeit. Man kann ja schlecht in Berlin für den Ausbau der Windenergie sein und dann lokal den Bau von Windrädern zu verhindern versuchen. Ebenso wenig vermittelt es Glaubwürdigkeit, wenn in München Gesetze zum Erleichtern und Beschleunigen der Bautätigkeit beschlossen werden, lokal aber alles getan wird, um Baumöglichkeiten zu beschränken und zu verzögern. Und wenn dies dann auch noch uneinheitlich für verschiedene Baugebiete gehandhabt wird, dann ist es mit der Glaubwürdigkeit ganz dahin.

Verstehe man mich bitte nicht falsch. Ich habe hohen Respekt vor der Arbeitsbelastung und der Verantwortung, die Stadträte in diesem Ehrenamt auf sich nehmen. Und die meisten Stadträte sind über jeden Zweifel erhaben. Aber es gibt Fehlentwicklungen, die letztlich dem Ansehen des ganzen Gremiums schaden. Und diesem wünsche ich die Kraft und die Einsicht, diesen Fehlentwicklungen entgegenzusteuern.
Kann man all das noch verstehen oder vermitteln? Wohl kaum, das ganze Verfahren um die Bebauungspläne am Godelsberg mit den einzelnen Protagonisten ist inzwischen reich an Absurditäten und daher kann es wohl mit Recht heißen: Absurdistan am Godelsberg.

Dr. Dietmar Straub

Autor:

Dietmar Straub aus Aschaffenburg

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