Premiere: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“
Ankommen, wo gewartet wird
Frankfurt, 14.01.2022 Das Megalomania-Theater in Frankfurt / Oberrad: Ein verstecktes, kleines Theater inmitten des Großstadttrubels.
Das ausverkaufte Haus lädt zur ersten Premiere des Jahres ein.
„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertold Brecht wird an diesem Tage präsentiert.
Ein Stück, das vor 90 Jahren verfasst worden ist. Und das Alter dieses Werkes lässt das Publikum nicht zurück, zu keinem Zeitpunkt wirkt es befremdlich.
Im Gegenteil: Die Spannung baut sich schon auf mit der Unterzeichnung eines Vertrags mit dem Weggefährten Cridle. Der Vertrag des Peter Mauler hat es in sich.
Peter Mauler, der Fleischfabrikant Nummer 1 seiner Zeit, hat schließlich Großes vor. Mit List und Charisma und nicht zuletzt dank der Skrupellosigkeit seines Assistenten Sullivan Slift bringt er seine Mitkonkurrenten um ihr Hab und Gut – zuerst Lennox, der als Erster fällt infolge der Abmachung mit Cridle, dann Graham und zum Schluss auch noch den Cridle selbst, der einst an der Freundschaft zwischen ihm und Mauler zu glauben schien.
Vergebens, wie es sich im Laufe der Vorstellung feststellen lässt.
Die Fleischpreise fallen. Das weitere Schlachten macht keinen Sinn, denn das Vieh wird teurer als das Fleisch, das verkauft wird.
Unter Druck geraten, Cridle und Graham schließen ihre Werke.
Die Spekulanten auf der einen Seite, die wahren Verlierer stehen aber auf der anderen Seite.
Die Arbeiter Gloomb, Frau Luckerniddle und der Bursche verloren oder werden ihren Job noch verlieren, der Kampf um das nackte Überleben beginnt nun für sie.
Im Strudel ihres mickrigen Daseins auf der Erde verirren sie sich zwischen Abwarten, Hoffen und Protestieren. Sie verkaufen ihre Seele – mal den Guten, mal den Schlechten des Systems. Und sie sind lange schon Teil dessen, sie sind befangen in den Folgen ihrer Armut, derer Ursachen unmenschlicher werden, desto der Gang dorthin voranschreite.
Wer ist wer und wann? Das Publikum wird erneut dazu eingeladen, dem epischen Verlauf dieser Geschichten beizuwohnen. Es darf selbst ermittelt werden …
Eine warme Suppe, das ist es, was die armen Leute Tag für Tag ins Haus der Schwarzen Strohhüte bringt – eine Allegorie Brechts ganz im Zeichen der Beeinflussung der Religion auf den Alltag der Menschen.
Die Schwarzen Strohhüte sorgen für den seelischen Ausgleich in diesen unruhigen Zeiten. Unter ihnen Martha. Und an der vordersten Front: Johanna. Die fromme Kreatur hat das Wort Gottes verinnerlicht und lebt dies vorbildlich vor.
Die Suppe ist zu Ende gegessen worden, die Organisation kann sich fortan noch nicht einmal die fällige Miete mehr leisten. Die Seelsorge geht einher mit dem Hunger, das kostet Geld, irgendjemand muss es spenden. Bei den Mittellosen ist jedoch nichts zu holen.
So werden nur noch warme Worte des Trostes gespendet.
Von Worten werden die Armen aber nicht satt. Reden haben sie ja genug gehört.
Für die eigene Misere sind doch die Fleischfabrikanten verantwortlich: Auf den Schlachthöfen formieren sich jetzt die Lager, die Gewalt eskaliert.
Von Snyder, der Oberin der Schwarzen Strohhüten, verbannt, muss Johanna den Orden verlassen – sie kann es nicht lassen, mit ihren Ratschlägen und Zusammenfassungen sich in Dingen einzumischen, die für Außenstehende augenscheinlich eher zum Negativen mutieren.
Und das benötigte Geld für den Erhalt des Gotteshauses muss auch irgendwoher - so die Begründung der Frau Major.
Johanna gibt aber nicht auf: Sie bietet sich an, sie vermittelt, sie manipuliert.
Und sie wird von Mauler manipuliert.
Langsam wird auch klar, wer für das Fallen der Fleischpreise im Verkauf und für das Steigen der Viehpreise für die Fleischproduktion im Ankauf verantwortlich ist.
Wo gewartet wird muss angekommen werden, dies in jeder Richtung: Ein Deal bahnt sich endlich an.
Wäre da aber nicht Johanna … Und die soziale Kälte, die richtige Kälte kommt noch!
Meisterhafte, aufwendige Inszenierung auf der kleinen Bühne
Sage und schreibe zwanzig Umbauten musste das Publikum in den kurzweiligen drei Stunden der Vorstellung hinnehmen. Innerhalb von wenigen Augenblicken war man aus einem feinen Herrensalon heraus, um im Tempel der Schwarzen Strohhüte anzukommen.
Das Treiben an der Straße, wo die Armen ihr winziges Universum zu Großem zu formen versuchten, Maulers Wohnung und die Fernseh-Liveschaltungen sowie die Filmaufnahmen, die gezeigt wurden – alles in allem hatte Film- und Theaterregisseur Christian Raab einen Einblick gewähren können, nicht nur, wie Theater entsteht, sondern auch wie Filmszenen entwickelt werden.
Die Technik war äußerst gefragt, also wichtig: Denn nur so konnten die ZuschauerInnen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, letztendlich ja zwischen Gutem und Bösem nicht mehr unterscheiden. Die DarstellerInnen auf der Bühne glänzen mit einer hochprofessionellen Leistung: Glaubwürdig jederzeit in ihren Rollen schlendern sie von Szene zu Szene - sie sind es, die das karge Bühnenbild zum Leuchten bringen!
Und die Zukunft?
Ankommen, wo gewartet wird. Die letzte Botschaft der armen Johanna enthielt eine Warnung, ja fast ein Appell an die Anwesenden, um die „Moral der Geschichte“ und die Zukunftsvision zu verdeutlichen:
„Als es möglich war, die Welt zu verändern, bin ich nicht gekommen“
Weitere Vorstellungen unter anderem am 04.02.2022, 05.02.2022 und 06.02.2022.
Infos und Tickets unter www.megalomania-theater.de
Mitglied des Obernburger Theatervereins im Ensemble dabei
Andrea Faggiano ist Mitglied und erster Vorsitzender des Obernburger Theatervereins Die Granatsplitter e.V. und verkörpert in der Inszenierung den Fleischfabrikanten Cridle.
Autor:Andrea Faggiano aus Obernburg am Main |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.