Wem gehört die Zeit? Alarmstufe Rot, die Tarifverhandlungen für das Bauhauptgewerbe gehen in die Schlichtung
Z-D-F, Zahlen-Daten-Fakten-Check für den Musterknaben der deutschen Wirtschaft im CORONA-Jahr 2020 (Quelle: IG BAU, zum 08.08.2020):
Umsatz im Bauhauptgewerbe (alle Betriebe): +34% im Zeitraum 2015-2019; Auftragsbestand im Bauhauptgewerbe (Betriebe 20+): +90% seit 2015. Über eine Milliarde geleisteter Arbeitsstunden im Jahr 2019: +14% gegenüber 2015.
Beschäftigung im Bauhauptgewerbe: +13% zwischen 2015 und 2019; Beschäftigung (Januar-Mai): +4,1 % gegenüber Vorjahr ; Geleistete Arbeitsstunden (Jan.-Mai): +4,4%; Baugewerblicher Umsatz (Jan.-Mai): nominal +7,1 % / real +3,9 %.
Man könnte die Liste beliebig weiter führen, die Fakten sind jedoch eindeutig: Das Bauhauptgewerbe trotzt der Corona-Pandemie und gilt nach wie vor als Leistungsmotor insgesamt.
Die Schlussfolgerung wäre, die Baubeschäftigten profitieren auch von diesen Wachstumserfolgen- die Wahrheit ist aktuell eine andere.
Die Forderungen für die Tarifrunde wurden klar formuliert: 6,8 % mehr Lohn – jedoch mindestens 230,- €; 100,- € für Azubis; eine Entschädigung für die Wegezeiten.
Die Tarifverhandlungen wurden am 25.06.2020 in Wiesbaden ergebnislos abgebrochen, die Arbeitgeberverbände brachten und bringen kein Verständnis für die „Wünsche“ (aus Sicht der Beschäftigten: Erfolgsbeteiligung) der BauarbeiterInnen, legten und legen kein Angebot vor, verweisen vielmehr auf die – ihrer Meinung nach- bald anstehenden Auswirkungen der Corona-Krise auf die Bauwirtschaft.
Bei der regionalen Tarifkonferenz für die Großregion Franken, welche am Samstag, den 08.08.2020 in Erlangen stattfand und an der auch Andrea Faggiano aus Obernburg als gewählten Vertreter der Bundestarifkommission für das Gebiet Würzburg-Mainfranken teilnahm, war Unzufriedenheit bei den TeilnehmerInnen sichtlich spürbar.
Christian Beck, Vorstand der IG BAU und Mitglied der Verhandlungskommission, stellte die Ergebnisse der bisherigen Aussprachen zwischen den Arbeitgeberverbänden und der Gewerkschaft schnell fest: Die IG BAU solle ihre Beschlüsse und Forderungen neu formulieren- insbesondere im Hinblick auf die anstehende Krise, so aus den Chefetagen...
Erst dann wären sie dazu bereit, überhaupt ins Gespräch zu kommen.
Bis dahin: Null Gesprächsbedarf.
Die TeilnehmerInnen der Regio-Konferenz äußerten ihren Unmut: Während des Lockdowns haben sie doch „den Laden am Laufen gehalten“; während der andauernden Pandemie sind sie ja bedingungslos auf Baustellen tätig und selten gibt es Arbeitsverweigerungen wegen mangelnder Hygieneverhältnisse (Stichworte DIXI-Klo, gemeinsame Gruppenfahrten zu den Baustellen, unpassende oder fehlende Pausenräumlichkeiten)- und nun sollen sie daran glauben, sie werden dafür in der Verantwortung stehen müssen, wenn die Bauwirtschaft aufgrund der Erfüllung der Forderungen „den Bach runtergeht“?
Der neutrale Denker würde eher davon ausgehen, dass diese Art der Ablehnung weder zu einem konstruktiven Ergebnis führt, noch stellt diese die Tatsachen dar, wofür die BauhandwerkerInnen ihre Stimme erheben.
Die Hauptforderung ist und bleibt eine Entschädigung für die Wegezeiten: Während man in sonst üblichen Berufen die ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsort selbst bestimmen dürfen, bleibt dies den BauarbeiterInnen verwehrt- es sind die ArbeitgeberInnen, die den Einsatzort deutschlandweit für sie auswählen.
Die u.A. eingebrachte Argumentation der Arbeitgeber-Funktionäre, die Beschäftigten könnten sich immer wieder eine neue Firma in Wohnortsnähe aussuchen, ist ein Schlag ins Gesicht für die Jenigen, die nicht nur ihren Beruf gewählt haben, weil sie ihn lieben- sie haben sich den einen Betrieb ausgesucht, dem sie loyal bleiben wollen. Sie sind ein Teil des Betriebes, sie identifizieren sich mit diesem bis auf das äußere Erscheinungsbild (ob T-Shirt, Kappen, Jacken, Helm: Das Firmenlogo und somit die Betriebszugehörigkeit wird in der Öffentlichkeit mit Stolz präsentiert!) und nun sollen sie diesen einen Betrieb wechseln- um die Einführung von modernen Arbeitsbedingungen a´ la mittelalterliche Gutsherrenart wegzudiskutieren?
Am Ende geht es um den Anstand, es bleibt nur noch eine Frage zu klären: Wem gehört die Zeit- die Wegezeit?
Für die gewerblichen Baubeschäftigten ist die Antwort schon lange klar und wurde gar durch eine Studie des renommierten Pestel-Instituts bestätigt: Wegezeit ist Lebenszeit und gehört ihnen selbst, sie muss eine Wertschätzung erfahren- im Sinne der freien Bestimmung über das eigene Leben, gegen eine Diskriminierung gegenüber den kaufmännischen KollegInnen aus den Büros, die besser gestellt sind, und insgesamt im Sinne einer attraktiven Baubranche im Zeichen der Moderne, der sozialen Erneuerung und der wirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit.
Am Freitag, den 21.08.2020 ist in Erlangen die bayernweite zentrale Demonstration für die Tarifrunde 2020 geplant- Alarmstufe rot, die Beschäftigten zeigen vorsorglich Flagge, denn die Schlichtung beginnt am 26.08.2020.
Das Ergebnis kann dabei so diffus ausfallen wie das bisherige Angebot der Arbeitgeberverbände selbst...
Autor:Andrea Faggiano aus Obernburg am Main |
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