Historikertag 2024
„Höit is Freiheit. Höit is Refelution!“

Foto: Dr. Isabell Arnstein

Buchen-Hettingen. „Höit is Freiheit. Höit is Refelution!“, mit diesen Worten zogen die Hettinger 1998 bei einem „Historical Reenactment“ nach Buchen, um ihre „Gült“ (Abgaben) aus der leiningschen Zehntscheune zurückzuholen; 150 Jahre nach der Badischen Revolution. Initiiert wurde dieser Zug seinerzeit von Manfred Pfaus und Willi Müller, erinnerte sich Gundolf Scheuermann. Auf der Bühne des Hettinger Lindensaals waren beim 43. Historikertag des Neckar-Odenwald-Kreises aber keine „Hettinger Revoluzzer“, sondern zwei namhafte Historiker, Dr. Jürgen Dick, Generalstabsarzt a. D. und Historiker aus Bruchsal und Dr. habil Mathias Beer vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen. Die Begrüßungsworte wurden dargebracht von Benjamin Laber und Landrat Dr. Achim Brötel. Die Organisation des Historikertages lag in den bewährten Händen von Kreisarchivar Alexander Rantasa.

„Odenwald schleift die Sens, zieh in die Residenz!“
„Nicht für Freiheit und Leben“, sondern zur Verdeutlichung der Verbindung des Odenwaldes mit der badischen Revolution 1848 betrat Historiker Dick als erstes die Rednerbühne und begann mit dem Funken, der aus Frankreich kommend sogar die Gemüter im fernen Odenwald erhitzte: die französische Februarrevolution des Jahres 1848. Sie erzeugte in ganz Baden eine revolutionäre Stimmung gegen die herrschende Obrigkeit und alsbald sollte auch die Bevölkerung im Odenwald protestieren. In Mosbach forderten schon im März 1848 aufständische Bauern die Aufhebung von Feudallasten und bewaffnete Bauern aus Mudau überreichten mit mehreren hundert Gleichgesinnten in Amorbach dem Fürstenhaus einen Forderungskatalog. Sie forderten von ihm den Verzicht auf alle standesherrlichen Vorrechte. In seiner Ausführung stellte Dick den Offizier Franz Sigel (1824-1902) in den Vordergrund, dessen Vater in der Zeit von 1834-38 Oberamtmann in Buchen war. Dicks Ausführungen befassten sich aber mehr mit Baden in Gänze als mit unserer Region.

„Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“
Aus politischer Überzeugung schied Franz Sigel aus seiner Offizierskarriere aus und stellte, inspiriert durch keinen anderen als Friedrich Hecker, in Mannheim ein Freicorps auf und führte im April 1848 eine Kolonne des Heckerzuges an. Baden aus dem Fürstenjoch befreien, das war erklärtes Ziel, doch -der Ausgang ist bekannt - das Land war noch nicht reif für eine demokratische Staatsform. Die Sieger zeigten demonstrative Härte gegenüber den badischen Revolutionären. Tausenden von ihnen wurde der Prozess gemacht. Zehn Jahre Zuchthaus waren die Regel. Viele von ihnen überlebten das nicht. Andere sahen nach dem Scheitern der Revolution keine Zukunft in ihrer Heimat und versuchten ihr Glück in Übersee, denn „in Amerika leid‘ man kein Noth“. Rund 80.000 Menschen verließen Baden. Etliche von ihnen aus blanker Not, etliche als politische Flüchtlinge, wie Franz Sigel und Friedrich Hecker. In der ersten Diskussionsrunde des Nachmittags mit vielen bekannten Heimatforschern aus Nah und Fern merkte man den Wunsch nach noch mehr Revolutionswissen über die revolutionären Gegebenheiten der näheren Umgebung.

„Sauerteig für einen erfolgreichen Südwesten“
Eine Demokratie und zwei Weltkriege später war dann diese Region Ziel vieler Migranten. 1946 legte der Hettinger Ortspfarrer Heinrich Magnani den Grundstein für die „Neue Heimat Buchen“, die erste gemeinnützige Baugenossenschaft in Baden. Infolge des Zweiten Weltkrieges heimatlos gewordene Vertriebene fanden hier ein neues Zuhause. Über ihre Rolle bei der Entstehung des Südweststaates referierte Dr. Mathias Beer vom Tübinger Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde sehr anschaulich. Er ging auf die 1,7 Millionen Menschen aus deutschen Minderheiten aus Ostmitteleuropa ein, die nach dem Krieg in den Südwesten kamen. „Ohne Zweifel gehören sie zu den Gründungsmüttern und -vätern Baden-Württembergs.“, so Beer. „Aber die Stimmung gegenüber den Neubürgern war oft ambivalent.“ Beer ging in seiner Ausführung auf den konfliktbeladenen Integrationsprozess ein, den manch ein Zuhörer im Lindensaal als kleines Kind erlebt haben mag oder aus Erzählungen der Eltern noch lebhaft weiß: von ersten Unterbringungen der Vertriebenen in Lagern bis hin zum Kampf um Arbeitsplätze und die Entstehung ganzer Neubaugebiete. Mit diesem Hintergrundwissen blickt man bei einem Rundgang durch z.B. Buchen mit anderen Augen auf Straßennamen, wie die Tilsitterstraße, Karlsbaderstraße, Breslauerstraße und einige mehr.

„Zünglein an der Waage“
Beer umklammerte seinen Vortrag mit einer Parodie der Volksliedballade von den zwei Königskindern, aber in der regionalen Version der „Nachbarskinder“ mit Bezug auf die beiden Länder Baden und Württemberg. Der Frage, inwieweit die Vertriebenen als „Zünglein an der Waage“ bei der Südweststaatwerdung zu sehen sind, schlossen sich in der Diskussionsrunde etliche weitere Fragen an. Das Publikum schien zudem vielfach zu interessieren, inwieweit man aus diesem damaligen -erfolgreichen - Integrationsprozess für die aktuelle Flüchtlingslage lernen kann. „Die Geschichte bietet keine Rezepte für die Gegenwart an – aber Gedankenanregungen.“, so Beers Statement.
Dem Ende des Historikertages schlossen sich zwei Rundgänge an: eine Gruppe ging mit Hans-Eberhard Müller zur Eiermann-Magnani-Dokumentationsstätte, eine andere ging mit Gundolf Scheuermann auf eine Ortsführung – aber alle gingen mit dem Wissen um die Erfolgsgeschichte des „Bindestrichstaates“ Baden-Württemberg nach Hause: zwei verschiedene Teile, die ein Ganzes wurden.

Text und Bild: Isabell Arnstein

Autor:

Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis aus Neckar-Odenwald-Kreis

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