Eindrücklicher Perspektivwechsel: Bekannte Persönlichkeiten aus dem Landkreis erlebten, mit welchen Barrieren Menschen mit Behinderungen im Alltag zu kämpfen haben
Neckar-Odenwald-Kreis. Der Perspektivwechsel hätte kaum eindrücklicher sein können: Um auf den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai aufmerksam zu machen, versetzten sich bekannte Persönlichkeiten aus dem Landkreis in die Situation der betroffenen Menschen. Ausgestattet mit Alterssimulationsanzügen, Spezialbrillen und Rollstühlen absolvierten sie gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen einen etwa 300 Meter langen Rundgang durch die Mosbacher Altstadt. Die Idee zu dieser Aktion, die auch in jeder anderen Kommune des Landkreises hätte stattfinden können, hatte die neue Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen des Landkreises Simone Fischer in Abstimmung mit Landrat Dr. Achim Brötel entwickelt. Der Protesttag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Einfach für alle – Gemeinsam für eine barrierefreie Stadt“.
Nachhaltig beeindruckt zeigte sich Dr. Brötel, der durch einen so genannten Gerontologischen Anzug im Sehen und Hören sowie in der Bewegungsmöglichkeit stark eingeschränkt war. Eine rund 30 Kilo schwere Weste und Bandagen machten ihm das Gehen schwer, so dass er die typischen Einschränkungen älterer, behinderter oder beeinträchtigter Menschen erlebte. „Man macht deutlich kleinere Schritte, muss sich richtig plagen. Das Bewegungsverhalten ändert sich komplett“, so das erste Urteil nach wenigen Metern. Diese Erfahrung teilte Denise Zimmermann, Mitglied der Geschäftsleitung der Firma AZO GmbH + Co. KG: "So einschränkend hätte ich mir den Anzug nicht vorgestellt, insbesondere Treppen sind kaum überwindbar.“
Trotz Kopfsteinpflaster gut mit einem Rollator zurecht kam Marion Pfannenschwarz, Mitglied der Geschäftsleitung der Firma Seitenbacher Vertriebs-GmbH, die ihre Motivation unterstrich: „Für mich war es selbstverständlich heute mitzumachen, um hier ein Zeichen zu setzen.“ Die Wirkung von abschüssigen Wegen bei eingeschränkter Sicht spürten dann auch DHBW-Rektorin Prof. Dr. Gabi Jeck-Schlottmann, Angelika Bronner-Blatz, Beauftragte für Chancengleichheit und Frauenförderung des Kreises, die Leiterin der geriatrischen Abteilungen der Neckar-Odenwald-Kliniken Dipl.-Med. Petra Flohr und die Geschäftsführerin des Mehrgenerationenhauses Michaela Neff. Sie trugen jeweils Spezialbrillen zur Simulation unterschiedlicher Grade von Sehbehinderungen und berichteten von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Gerlinde Gregori und Meinrad Scheuermann vom Blinden- und Sehbehindertenverband erläuterten, wie man mit diesen Einschränkung umgeht und welche Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Dipl.-Med. Flohr betonte, wie wichtig diese Art von Experiment sei.
Auf dem Weg vom Marktplatz zum Bahnhof reichte schon ein zufällig in der Straßenmitte parkender Transporter, um die Teilnehmer im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Tritt zu bringen. Aglasterhausens Bürgermeisterin Sabine Schweiger und der Vorsitzende des Kreisseniorenrats Bernd Ebert, die sich als Rollstuhlfahrer erprobten, benötigten hier beispielsweise, wie auch später an der Rampe zu den Bahnhofsgleisen, die Unterstützung der begleitenden Landratsamtsmitarbeiter. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich so viele Hindernisse ergeben. Auch der Zugang zum öffentlichen Nahverkehr ist ohne Hilfe kaum zu meistern. Ich werde in Zukunft hier mit noch offeneren Augen in meinem Verantwortungsbereich agieren“, sagte Schweiger. In seine Arbeit im Kreis- wie im Landesseniorenrat wollte Ebert die Erfahrungen einbringen.
Simone Fischer, die mit den Prominenten wie auch mit den tatsächlich mobilitätseingeschränkten Teilnehmern Susanne Berwanger, Gabriele Dolch, Katrin Kaiser und Volker Lauble das Gespräch suchte, war es wichtig, die Aktion nicht nur auf rein bauliche Barrieren zu begrenzen. „Es gibt unterschiedlichste Arten von Behinderungen und damit auch ganz verschiedene Möglichkeiten, den Menschen eine gute Teilhabe zu ermöglichen.“ Diese müssten nicht immer viel Geld kosten, wenn man sie von Beginn an mitbedenkt. „Mein Ziel ist es, die Barrieren in unseren Köpfen zu überwinden.“
Im weiteren Verlauf zeigte sich, wie schwer die Bedienung eines Geld- und Fahrkartenautomats im Rollstuhl oder das Lesen eines Fahrplans mit einer Sehbehinderung sein kann. Volker Lauble, der 2014 beide Unterschenkel verlor, betonte, sich an die Barrieren zu gewöhnen sei ein ständig laufender Prozess: „Wichtig ist, dass es immer einen Weg gibt.“ Man müsse sich eine positive Lebenseinstellung bewahren.
Dass es nicht um eine einmalige Aktion geht, unterstrich Landrat Dr. Brötel abschließend: „Im ganzen Landkreis wurden schon zahlreiche Maßnahmen zum Abbau von Barrieren umgesetzt. Heute möchten wir dieser positiven Entwicklung einen weiteren Impuls geben, um alle Verantwortlichen darin zu bestärken, diesen Weg weiterzugehen.“ Sein herzlicher Dank galt allen Teilnehmern. Auch dankte er den Sanitätshäusern Schach und Beyer, dem AOK KundenCenter Mosbach, der Stadt Reutlingen und dem Heidelberger Beirat von Menschen mit Behinderungen für die Bereitstellung der Hilfsmittel. Simone Fischer wies darauf hin, dass es wichtig sei, sich in die Situation der Betroffenen zu versetzen: „Es besteht eine Verpflichtung in Politik und Gesellschaft, gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen Lösungen zu erarbeiten, um so konkrete Verbesserungen zu schaffen.“
Autor:Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis aus Neckar-Odenwald-Kreis |
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