Mehr Demokratie
Informationsveranstaltung des Freie Wähler Erlenbach e.V. (FWE) zum Thema "Bürgerräte auch in Landkreisgemeinden?"
Am Donnerstag, den 4. April 2024 um 19 Uhr hatten Dr. Hans Jürgen Fahn, Fraktionsvorsitzender der Freie Wähler Erlenbach FWE e.V., der 3. Bürgermeister aus Erlenbach Jörg Barth, die Ortsvorsitzende Bianca Holzinger und das Vorstandsmitglied Susanne Seifert in den Bürgerkeller in Erlenbach zu einer Informationsveranstaltung zum Thema „Bürgerräte“ eingeladen. Können Bürgerräte in Erlenbach oder in anderen Landkreisgemeinden dazu beitragen, Bürger stärker an kommunalen Entscheidungsprozessen zu beteiligen? Um den zahlreich erschienen interessierten Teilnehmern das Thema näher zu bringen, hatte Dr. Hans Jürgen Fahn zwei Referenten eingeladen: Herrn Jan Renner, Landesvorsitzender von „Mehr Demokratie e.V.“ aus München, und Herrn Anand Kumar aus Darmstadt, ein aktiver Teilnehmer des bundesweiten Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“.
Dr. Fahn resümierte unter der Überschrift „Bürgerräte als neue, demokratische Alternative“ unter anderem das Scheitern des Bürgerbegehrens „Süderweiterung ICO“ in Erlenbach. 1291 Bürger hatten das Begehren gegen die Erweiterung unterschrieben. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hatten die Vertreter des Bürgerbegehrens den Antrag auf Bürgerentscheid zurückgenommen. Ein sogenannter runder Tisch sollte über eine mögliche Lösung diskutieren, der aber aus Sicht von Franziska Falterer (Beauftragte für Bürgerfragen) von Mehr Demokratie einseitig besetzt und nicht geeignet sei, eine ergebnisoffene Diskussion zu führen. Dr. Fahn stellte daher die Frage in den Raum, ob das neue, demokratische Instrument Bürgerrat viele Diskussionen in Erlenbach hätte ersparen können.
Können Bürgerräte eine neue, sinnvolle Ergänzung zu anderen demokratischen Gremien sein?
Neben dem bundesweiten Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ wurden Bürgerräte in Dachau, Erlangen und Amberg an kommunalpolitischen Debatten zu Themen wie Gesundheitsversorgung, Klimapolitik oder Neugestaltung innenstädtischer Räume beteiligt. Dadurch konnten langwierige und festgefahrene Verfahren zu einer allgemein akzeptierten Lösung geführt werden. Doch wie funktionieren Bürgerräte? Was sind die Vor- und Nachteile und wie verhalten sich Bürgerräte im Verhältnis zu den Stadt- und Gemeinderäten?
Um diese Fragen zu beantworten, übergab Dr. Fahn das Wort an Herrn Renner von „Mehr Demokratie e.V.“ aus München.
Was sind Bürgerräte und wie funktionieren sie?
Jan Renner stellte zunächst kurz die Ziele des Vereins, der 10.000 Mitglieder zählt und in allen Bundesländern und auf Bundesebene vertreten ist, vor. Neben der Beratung von Initiativen und Kampagnen hat sich der Verein weitere Themen auf die Fahnen geschrieben: Stärkung des fairen Wahlrechts, der Transparenz, der digitalen Demokratie sowie Klima und Demokratie. In Bayern gibt es zirka 100 Bürgerbegehren pro Jahr, die durchschnittliche Bürgerbeteiligung liegt bei 52 %. Doch was ist der Unterschied zwischen einem Bürgerbegehren und einem Bürgerrat?
Ein Bürgerrat, so Herr Renner, soll kurz zusammengefasst Empfehlungen für ein politisches Thema formulieren, dabei Feedback eines möglichst breiten Querschnitts der Bevölkerung sammeln und diese Empfehlungen dann in die Gemeinde- und Stadträte oder in die Landes- und das Bundesgremien übergeben.
Wie wird man Bürgerrat?
Zum Bürgerrat wird man durch ein Losverfahren berufen. Dabei wird ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung zufällig ausgewählt und per Anschreiben zum Bürgerrat eingeladen. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Teilnehmenden treffen sich mehrmals, um über das zugewiesene Thema zu diskutieren. Dabei werden sie von Fachleuten beraten und über die verschiedenen Sachverhalte und Hintergründe informiert. Die Meinungsbildung soll unabhängig von Interessenverbänden, Lobbyisten und der Politik erfolgen, um dann eine Empfehlung abzugeben, die fundiert und sachbezogen ist. Meist finden die Treffen in kleineren Gruppen statt, die nur einen Teilbereich eines Themas bearbeiten. Diese Arbeit wird durch unabhängige Moderatoren begleitet, damit jeder zu Wort kommt und alle gehört werden. Am Ende eines langen Prozesses steht eine Empfehlung an die Politik. Eine Verpflichtung zur Umsetzung gibt es nicht. Herr Renner beendete seinen Vortrag mit der Erkenntnis „… dass Bürger, die an einem Bürgerrat teilgenommen haben, sich danach mehr in der Politik engagieren und ein positiveres Bewusstsein für die Arbeit der Politik entwickeln“.
Erfahrungen als Teilnehmer eines Bürgerrates
Als nächster Referent berichtete Herr Anand Kumar aus der Praxis. Er hatte an dem bundesweiten Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ teilgenommen und wusste lebhaft und emotional über seine Erfahrungen zu erzählen. Allein die Einladung zum Bürgerrat war für ihn eine Überraschung und zugleich auch eine Verpflichtung. Denn wenn man persönlich dazu aufgefordert wird, ist es schwer, Gründe für eine Absage zu finden. Nachdem er das zweistufige Losverfahren durchlaufen hatte, entschied er sich, die Herausforderung anzunehmen.
Die insgesamt 160 Teilnehmenden dieses Bürgerrates wurden in fünf Gruppen eingeteilt, jede Gruppe erarbeitete ein definiertes Thema. Die Vorbereitung durch die Experten empfand er als wichtig, um sich eine Meinung zu bilden und alle Aspekte abzuwägen. Das Arbeiten in der Gruppe musste konsensorientiert sein und zu einem Ergebnis führen. Dabei entstanden innerhalb der Gruppe viele Gemeinsamkeiten und festgefahrene Ansichten wurden aufgeweicht. Für ihn war es eine interessante Erfahrung. Das Ergebnis eines Bürgerrates ist seiner Ansicht nach keine Meinungsumfrage, bei der ein zufällig befragter Bürger zu irgendeinem Thema spontan Stellung bezieht. Vielmehr ist die Empfehlung eines Bürgerrates eine fundierte Entscheidung, weil sich jeder intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Am Ende seiner mitreißenden Schilderung stand die Erkenntnis, dass die Politik nur dann auf die Empfehlungen eingeht, wenn „das Ergebnis der Politik gefällt.“
Fragen aus der Zuhörerschaft und Diskussion
Im Anschluss an die beiden Referentenvorträge gab es Gelegenheit, Fragen zu stellen und über das Gehörte zu diskutieren, was rege genutzt wurde. Unter der Zuhörerschaft waren viele interessierte Kommunalpolitikerinnen und -politiker; zum Beispiel die Stadträte Marina Oliveira Tbinden (SPD) und Gerhard Kroth (CSU) – beide aus Erlenbach, die Kreis- und Gemeinderätin Ulrike Oettinger aus Großheubach sowie Werner Zöller (ehem. Gemeinderat aus Großheubach), KI-Stadtrat Jürgen Zahn sowie Benno Friedrich und Andreas Schuck (Freie Wähler) aus Aschaffenburg, Pia Sander vom Naturschutzverein Elsenfeld und Lutz Löbel (Bund Naturschutz Kreisgruppe Miltenberg).
Eine Frage lautete, wie man geeignete Moderatoren für den Bürgerrat finden kann. Herr Renner erklärte, dass sich verschiedene Unternehmen auf diese Art der Moderation spezialisiert haben. Und was kostet ein Bürgerrat? Herr Renner gab an, dass durchschnittlich für z. B. eine Dauer von vier Tagen, inklusive Teilnahme der Experten, Honorare und Reisekosten mit ca. 1.500 Euro/Person gerechnet werden müsste. Im Laufe der sehr regen Diskussion kristallisierte sich heraus, dass mancher anwesende Gemeinderat die Sorge hatte, der Bürgerrat könnte die Autorität der Gemeinderäte und Bürgermeister untergraben oder sogar eine Konkurrenz darstellen. Diese Sorge teilten die Referenten nicht, da Bürgerräte in erster Linie die Demokratie bzw. die Teilnahme der Bürger an demokratischen Prozessen steigern sollen. Letztendlich liegt die Entscheidung, ob Empfehlungen der Bürgerräte umgesetzt werden, ausschließlich bei der Politik, denn. die Empfehlungen haben keine bindende Wirkung. Insofern ist die Politik nach wie vor der Entscheidungsträger und verantwortlich für die getroffenen Entscheidungen.
Chance für Erlenbach
Am Ende der Veranstaltung stellte Dr. Fahn Herrn Renner die Frage, ob es Fördermöglichkeiten für die Gemeinde Erlenbach gebe, die Einsetzung eines Bürgerrates finanziell zu unterstützen, sozusagen als Pilotprojekt für die Region Bayerischer Untermain. Tatsächlich konnte Herr Renner ein überraschendes Angebot unterbreiten. Denn „Mehr Demokratie e.V.“ sucht derzeit eine Gemeinde in Bayern mit mehr als 10.000 Einwohnern für ein laufendes Förderprogramm. Das wäre eine Chance für die Bürger in Erlenbach und den politischen Diskurs mit mehr Bürgerbeteiligung.
Als Fazit des Abends waren sich Herr Dr. Fahn , FWE-Ortsvorsitzende Bianca Holzinger und Susanne Seifert sowie Jörg Barth sicher, dass diese Veranstaltung nur ein Anfang, ein erster Schritt sein kann. „Diese Veranstaltung ist der Beginn der Diskussion am Untermain.“ Und weiter: „Die heutige Diskussion hat gezeigt, dass es noch viel Gesprächsbedarf gibt“. Stadträtin Marina Oliveira stellte auf ihrem Facebook-Beitrag fest: „Es war eine sehr informative Veranstaltung mit neuen Denkansätzen zur Bürgerbeteiligung“. In diesem Sinne kann man nur auf weitere Veranstaltungen dieser Art hoffen, die dem Bürgerrat den Weg zu einer ersten Umsetzung im Landkreis Miltenberg bereiten.
Weitere Informationen:
Mehr Demokratie e. V. https://www.mehr-demokratie.de/
Was sind Bürgerräte? https://www.bundestag.de/parlament/buergerraete/artikel-inhalt-943198
Handbuch https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/2024/Leitfaden_Kommunale_Burgerraete_organisieren.pdf
Autor:meine-news.de Redaktion aus Miltenberg |
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