Kommentar von Schülerreporterin Sabrina Ball
Vom Ignorieren und Ignoriertwerden: Ghosting als neuer Trend
Nach dem Streit mit der besten Freundin oder dem besten Freund herrscht erst einmal Funkstille. Gegenseitiges Ignorieren, ob in der Schule oder am Arbeitsplatz, intensivieren das ohnehin angespannte Verhältnis. Aber nach Regen folgt ja bekanntlich Sonnenschein, und so kann Abstand manchmal sogar dabei helfen, einen Disput beiseite zu legen. Aber was tun, wenn die Versöhnung ausbleibt, wenn die Stille zum Dauerzustand wird?
„Meine Freundin? Ach, die habe ich geghostet.“ Unter Jugendlichen ist ein solcher Ausspruch mittlerweile keine Seltenheit mehr. Auch Erwachsene scheinen zunehmend eine gewisse Präferenz für diese spezielle Form des Kontaktabbruchs zu entwickeln. Die Rede ist von dem Phänomen des sogenannten „Ghostings“, das in Zeiten von Social Media und Co. einen regelrechten Boom erfahren hat. Das aus dem Englischen stammende Ghosting (wörtlich übersetzt „zum Geist machen“) bezeichnet den systematischen und plötzlichen Kontaktabbruch mit Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten, und geht stets mit einer sozialen Isolation einher. Da es von den Betroffenen zumeist als unerwartet und vor allem ungerecht wahrgenommen wird, ist Ghosting eine eher unschöne Angelegenheit, die eigentlich einer Erklärung bedarf. Aber auch das impliziert der Begriff: Die völlige Unwissenheit, in der die Geghosteten zurückgelassen werden; das große Fragezeichen und die Ratlosigkeit, die zurückbleibt, können bisweilen sehr schmerzhaft sein. Ghostende scheinen stets lautlos und ohne viel Schall und Rauch zu verschwinden, ähnlich wie Geister. Aber was genau steckt dahinter und warum suchen Menschen im digitalen Zeitalter zunehmend seltener das gemeinsame Gespräch? Es scheint fast so, als sei das berühmte Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ plötzlich zum Universal-Lebensmotto avanciert.
Die verzweifelte Suche nach Antworten
Die allererste Frage, die Ghosting-Opfern nach dem radikalen Kommunikationsabbruch in den Sinn kommt, ist immer die gleiche: Warum? Nicht selten entwickelt sich dieses kleine simple „Warum“ im Handumdrehen zur Schuldfrage, die das Gedankenkarussell ordentlich in Fahrt bringt. Es wieder etwas zu verlangsamen oder gar zum Stillstand zu bringen, nimmt einige Zeit, nein, viel Zeit in Anspruch. Gerade dann, wenn ein Date, eine Beziehung oder eine langjährige Freundschaft auf diese Weise abrupt endet, stellt sich bei einigen Opfern mitunter eine Art „posttraumatische Verbitterungsstörung“ ein, die die Offenheit gegenüber neuen Partnern und Freunden massiv schmälert. Lag es an mir? Habe ich etwas falsch gemacht? Während Ghosting-Opfer mit Hochdruck nach einer plausiblen Erklärung für dieses unerklärliche Verhalten suchen, beschwören Fragen dieser Art Selbstzweifel geradezu herauf. Das Ergebnis tagelanger Grübeleien ist schließlich eine gedankliche Abwärtsspirale, die den Verzweifelten eines mit Sicherheit nicht beschert: die Erkenntnis.
Billige Hinhaltetaktik oder pure Feigheit?
Dass Ghosting nicht die feine englische Art ist, dürfte jedem klar sein, die Ghostenden mal ausgenommen. Um das Phänomen trotz alldem zumindest erklären zu können, muss Mann oder Frau in die Tiefen der Beziehungspsychologie abtauchen: „Angst vor Nähe, vor potenzieller Abwertung und Widerspruch, der als Bedrohung empfunden wird, Angst vor der falschen Entscheidung oder vor dem Verlust der Eigenständigkeit“ seien oftmals die zentralen Beweggründe für einen Kontaktabbruch, so die Autorin Tina Soliman. Auch Konfliktscheu, Kritikunfähigkeit, Unreife und Unsicherheit kommen als mögliche Ursachen infrage. Letztere ist insbesondere auf Dating-Plattformen wie Parship oder Tinder nicht selten der ausschlaggebende Punkt dafür, die neue Flamme plötzlich abblitzen zu lassen. So manch unbekümmerter Nutzer wird sich da wohl schon ins Fäustchen gelacht und die Gelegenheit „zweigleisig zu fahren“, schamlos beim Schopfe gepackt haben.
Ist es also feige, jemanden zu ghosten? Im Großen und Ganzen ja, denn seitens der Ghostenden, die von jetzt auf gleich in die Rolle des schweigsamen Beobachters schlüpfen, besteht in den meisten Fällen durchaus Gesprächsbedarf. Die Renitenz der Ghostenden zeigt: Was an dieser Stelle fehlt, ist schlichtweg der Wille zur Kommunikation.
Wie Mann oder Frau am besten mit Ghosting umgeht
Um diese Art des Verlassenwerdens, die gerade im Alter problematisch werden kann, mental verarbeiten zu können, bedarf es Zeit, Geduld und viel Fingerspitzengefühl. Zwar fällt es oft schwer, nicht in Versuchung zu geraten, dem Ghostenden „hinterherzulaufen“, doch Abstand erweist sich oft als die beste Lösung. Statt trüben Gedanken nachzuhängen, ist jetzt die Hilfe Nahestehender gefragt, um selbstbewusst mit der Enttäuschung umgehen zu können. „Es ist notwendig, sich der Angst zu stellen und auf die nächste Party zu gehen“, rät Dr. David Wilchfort, Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Statt wilder Alkoholexzesse soll allerdings der gemeinsame Spaß mit Freunden im Vordergrund stehen, der Betroffenen wieder Kraft und Zuversicht schenkt. Denn was letztendlich zählt, ist der Mut zum Neunanfang - ohne Ablehnung, aber mit Annäherung und Offenheit.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.