Rückblick 25. Sulzbacher Konzertwoche
Sternstunde brillanter Kammermusik
Die Ausnahmegeigerin Anne Luisa Kramb und die finnische Pianistin Noora Ylönen nehmen die Zuhörer in der ausverkauften St. Anna Kirche mit auf eine Reise durch 130 Jahre Musik und sorgen für Euphorie und Bewunderung
Ein älteres Ehepaar aus Aschaffenburg brachte schon in der Pause im Haus der Begegnung auf den Punkt, was vermutlich alle begeisterten Konzertbesucher nach 45 Minuten brillanter Kammermusik der Geigerin Anne Luisa Kramb und ihrer finnischen Partnerin Noora Ylönen am Bösendorferflügel empfanden: „Für ein solches Konzert sind wir früher in die Frankfurter Alte Oper gefahren und haben das Mehrfache des Eintrittspreises bezahlt. Wunderbar, dass so etwas ganz in der Nähe angeboten wird!“
„Angeboten“ wurde die Sternstunde der Kammermusik – glücklicherweise mit „Überlänge“ – wieder einmal im Rahmen der Sulzbacher Konzertwoche, die heuer schon ihr Silberjubiläum feiern konnte und auch deshalb 2024 ein „Menü“ mit sieben ganz exquisiten Gängen anbot. Der letzte Gang wird am 27.12. um 18.30 Uhr serviert, wenn das Divites Streichquartett zu einer Reise von den 80ern bis in die Gegenwart durch Film und Musik bittet – natürlich wieder im Konzertsaal der Extraklasse, dem hellen Raum der ehemaligen Kirche mit seiner ausgezeichneten Akustik und dem ganz besonderen Flair.
Nach diesem Tipp, den Musikfreunde nicht verpassen sollten, zum Konzert am Samstagabend. Anne Luisa Kramb, die im Jahr 2000 geboren wurde, aus Erlenbach stammt und am dortigen Gymnasium HSG ihr Abitur abgelegt hat, zählt heute zu den besten jungen Geigerinnen in Europa, deren 1.Preise bei großen internationalen Wettbewerben und deren Auftritte in legendären Konzerthallen wie der Carnegie Hall New York, der Philharmonie Kviv, der Elbphilharmonie und der Laeiszhalle Hamburg fast nicht mehr zu zählen sind. Mit ihren 24 Jahren hat sie schon mit Größen der klassischen Musik wie u.a. mit Sir András Schiff, Sir Simon Rattle, Tabea Zimmermann, Christoph Eschenbach und Gideon Kremer gespielt. Diesmal also trat sie – nicht zum ersten Mal – in Sulzbachs St. Anna auf und bildete zusammen mit der 29-jährigen finnischen Pianistin Noora Vlönen ein harmonisches und perfekt aufeinander eingestimmtes Duo. Die Harmonie und das fast blinde Verständnis sind umso erstaunlicher, als die beiden am Samstag zum ersten Mal gemeinsam auftraten.
Fünf anregende, höchst unterschiedliche, aber ausnahmslos kongenial interpretierte Stücke mit Entstehungszeiten zwischen 1801 und 1927 hatten sie im Programm, ergänzt u.a. durch zwei harmonische Kompositionen von einer heute eher unbekannten Komponistin ihrem Mann als Zugaben, die mit ihrem sanften, beruhigenden Charakter die überschäumende Begeisterung der Zuhörer, die sich in Standing Ovations Bann brach, in einen schönen, minutenlangen empathischen Beifall verwandelte. Dass zwei Komponistinnen den Rahmen bildeten, dürfte von beiden Musikerinnen auch durchaus als Statement verstanden werden.
Clara Schumanns drei Romanzen von 1853 interpretierten Ylönen und Kramb ohne jedes romantische Pa-thos, mit echten Gefühlen. Manche Zuhörer mögen da auch Höhen und Tiefen der Dreiecksbeziehung zwischen Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms herausgehört oder -gefühlt haben. Vor allem die Stradivari von 1724 mit ihrem ganz besonderen Klang brachte die zarte Dynamik der Komposition intensiv zum Klingen und beide Musikerinnen überzeugten mit ihrem klaren, präzisen Spiel – ein Beweis, dass Romantik nicht im Ungefähren, im Andeuten verharren muss.
Einen Höhepunkt des Abend erlebte man vor der Pause mit Beethovens Sonate op.24 von 1801, bei der Kramb und Ylönen ohne Worte das Publikum verstehen ließen, warum sie „Frühlingssonate“ heißt. Durch den zum Niederknien schönen Klang des Adagio molto espressivo, in schönster Harmonie des Duos zelebriert, ohne falsches Pathos, aber sehr gefühlvoll und sensibel von beiden Instrumenten interpretiert, und mit einem Klang der Geige, der sich in den verzückten Gesichtern in der Kirche spiegelte. Eine Rezension in der Allgemeinen musikalischen Zeitung aus dem Jahr 1802 beweist, dass Zeitungstexte nicht immer am nächsten Tag schon veraltet sein müssen. Dort lobte der Autor nämlich die Sonate als „eine der besten, die überhaupt geschrieben wurden“, und begründete das mit dem Blick auf den 31-jährigen Kompo-nisten damit, dass der seinen „originellen, feurigen und kühnen Geist“ endlich einmal nicht damit entwertet habe, dass er „unfreundlich, wild, düster und trübe daherstürmte“. Gar nicht düster, sondern höchst lebendig und frisch klang die „Frühlingssonate“ in St. Anna, auch weil Violine und Klavier die musikalischen Karika-turen des Scherzo animiert auskosteten und im Rondo die immanente Dramatik mit der Triolenrhythmisie-rung der Geige und den Synkopen des Klaviers aufbauten und bis in die Schlusscoda aufrecht erhielten.
Nach der Pause zauberten die beiden Musikerinnen Béla Bártoks Leidenschaft für Tradition und Kultur der Region in seinen Rumänischen Volkstänzen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs authentisch in den Kirchen-raum, und auch die Zuhörer, die sich vielleicht für Fassungen der Komposition für Flöte und Klavier oder zuletzt für die CD-Aufnahme der amerikanischen Bratschistin Kim Kashkashian begeistert haben, werden die mitreißenden Tempo- und Stimmungswechsel, werden das Temperament von Stradivari und Bösendorfer als „Folklore at its best“ genossen haben.
Zwei Glanzstücke bildeten den Schluss des offiziellen Programms, auch sie wieder exzellent interpretiert, was gerade bei solchen „Rennern“ nicht so einfach ist, weil man exzellente Aufnahmen im Gedächtnis hat. Bei Pablo Sarasates „Zigeunerweisen“ von 1878 steht naturgemäß der Geigenpart im Zentrum. Anne lotete den gesamten Ambitus des möglichen Tonspektrums spielerisch leicht aus, die zum Teil extremen Sprünge und Läufe meisterte sie ohne hör- oder sichtbare Anstrengung und bewegte sich souverän zwischen den Tempi von „Lento“ bis „Allegro molto vivace“. Ihre technische Perfektion spiegelten Staccato- und Pizzi-kato-Passagen genau so überzeugend wie die selten zu hörenden Flageoletttöne. Den in der Kompositon angelegten Interpretationsspielraum für die Geigerin missbrauchte sie nie zur Selbstdarstellung – vielleicht eine der größten Vorzüge der exzellenten Musikerin.
Besonderheit und Herausforderung des letzten Stückes im offiziellen Programm, Maurice Ravels Sonate in G-Dur von 1927: Der Komponist wollte erklärtermaßen mit seinem letzten Kammermusikwerk beweisen, dass Violine und Klavier im Wesen unvereinbare Instrumente seien und das in dieser Sonate zeigen. Konkret heißt das – auch in der kongenialen Interpretation von Kramb und Ylönen: Beide Stimmen erklingen fast unabhängig voneinander, es sind häufiger bitonale Passagen hörbar. Wirkt das abschreckend auf traditionelle Konzertbesucher? In Sulzbach jedenfalls nicht – im Gegenteil: Das kühle Allegretto, der mitreißende Bluessatz, in dem die Stradivari den Sound von Banjo und Saxophon anklingen lässt, und nicht zuletzt das virtuo-se Perpetuum mobile mit Grundzügen der Tzigane bewiesen, dass Klavier und Geige nicht zu einem pathetischen Ganzen verschmelzen müssen, um rückhaltlose Begeisterung im kleinen, aber feinen Konzertsaal auszulösen – ein idealer Schlusspunkt eines Konzerts, das keiner der Zuhörer so schnell vergessen wird.
Musikfreunde können sich schon jetzt auf die 26. Auflage der Sulzbacher Konzertwoche im Jahr 2025 freuen!
Autor:Markt Sulzbach aus Sulzbach a.Main |
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