"Wir sind mehr und lassen uns nicht spalten!"
Ca. 4.000 Demonstranten in Mosbach

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Neckar-Odenwald-Kreis, Mosbach. bd.
Bei allem Entsetzen über die rassistischen Vertreibungspläne von AFD und rechtsextremistischen Konsorten kann man feststellen - "wo die Gefahr ist wächst das Rettende auch". Hölderlins Beobachtung könnte auch die gestrige Demonstration für Menschenrechte und Demokratie in Mosbach charakterisieren. Was weniger als ein Dutzend junger Leute, maßgeblich dabei Maximilian Sigmund (Julis), Jonas Weber (Jusos), Lena -Marie Dold und Arno Meuter (Grüne Jugend), innerhalb einer Woche realisiert haben war die größte und beeindruckendste politische Kundgebung im Neckar - Odenwald - Kreis der letzten 40 Jahre.

4000 Teilnehmer*innen erlebten nach den letzten Zählungen der Polizei einen erinnerungswürdigen Abend, bei dem insbesondere die Beiträge der jüngsten Redner*innen, der drei Schülerinnen Melina Alpantakis , Leonie Schwibbe und Leni Wendt von der Geschichts-AG der (Vinzenz Rose-) Realschule Obrigheim sowie des 2015 aus dem Irak nach Deutschland geflüchteten Altenpflegers Ahmed Al-Sadooni nachhaltige Wirkung erzeugten und Grund zur Hoffnung bei der Verteidigung von Demokratie und Verfassung geben.
Als Dr. Björn-Christian Kleih (1. Landesbeamter des NOK) und Maximilian Sigmund vom Organisationsteam nach 18 Uhr bei der Auftaktkundgebung die Menge begrüßte, hatte die Polizei die Straße beim TÜV schon lange sperren müssen, da weit mehr als die erwarteten 2.000 Teilnehmer*innen gekommen waren. Kleih betonte die Breite und Vielfalt der Versammelten aus dem gesamten Landkreis und freute sich, dass Albert Gramling, Vorsitzender beim Kreisbauernverband sowie dessen Geschäftsführer Andreas Sigmund mit ihrer Teilnahme den Vereinnahmungsversuchen der AFD eine Abfuhr erteilten. "Wir treten ein gegen den Hass und die wahnsinnigen Ideen, die er hervorbringt. Das bedeutet nicht nur, dass wir unsere Stimme erheben, wo der Hass aufflackert, das bedeutet auch, dass wir selbst nicht hassen. Denn nur so können wir diejenigen, die dem Hass nicht komplett verfallen sind, wieder in unsere Mitte zurückholen. Das ist schwierig. Aber wir sind viele, wir sind einig – und wir werden auch diese Aufgabe meistern." beschrieb der Vertreter des Landrats das gemeinsame Ziel.
Danach marschierte der ca. 1 km lange kunterbunte Demonstrationszug Richtung Innenstadt, kreative selbstgestallte Plakate prägten das Bild. Ein Fußball -Schiedsrichter forderte "Platzverweis für Nazischeiss!",

die Traditionsfahne der Mosbacher Kolpingfamilie erwartet man sonst eher bei Prozessionen als bei Demos;

"Nie wieder ist jetzt", "kunterbunt statt kackbraun",

"Menschenrechte statt rechte Menschen" und "Faschismus ist ekelhAFD" lauteten die Parolen, der Buchener Blecker verlangte "Haltung zeigen "!

Bei der Abschlusskundgebung sprachen zunächst die Vertreter*innen der Parteien und der Freien Wähler Vereinigung zu den Menschen auf dem überfüllten Marktplatz . Josip Juratovic (SPD-MdB) betonte ebenso wie Manfred Beuchert (CDU-Stadtrat und Kreisrat), Jens Brandenburg (FDP-MdB), Bruno Herberich (Vorsitzender Kreisverband Freie Wähler Vereinigung) und Fadime Tuncer (Grüne Landtagsabgeordnete), dass gesellschaftlicher Zusammenhalt wichtig sei, um Demokratie und Menschenrechte gegen ihre Feinde zu verteidigen. Auf dieser Grundlage sei Streit unter Demokraten normal und zur Klärung von vielfältigen bestehenden Problemen auch notwendig, doch müsse er konstruktiv und lösungsorientiert sein, kein rein destruktiver Protest zur Verächtlichmachung von Gegnern und Demokratie. "Wir brauchen Menschen, die mitwirken, mitgestalten und unsere Zukunft mit aufbauen." waren sich die Politiker*innen einig und forderten die Zuhörer*innen auf, bei den im Juni anstehenden Kommunalwahlen von ihrem aktiven und insbesondere auch passiven Wahlrecht Gebrauch zumachen und sich auf demokratischen Listen zur Wahl zu stellen.
Horst Berger, Kirchenmusiker und Chorleiter aus Buchen, animierte die Teilnehmer*innen dann zum Mitsingen. "Wehrt Euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land, wir stehen fest zusammen" hallte es über den Marktplatz.
AWO -Vorsitzende Gabriele Teichmann betonte anschließend die der Tradition der AWO innewohnende antifaschistische Haltung und Arbeit.
Mosbachs Oberbürgermeister Julian Stipp erinnerte an die Plünderung der Synagoge und Verbrennung jüdischer Sakralgegenstände auf dem Marktplatz am 10. November 1938, welch ein Kontrast zu den Tausenden, die nun zum Marktplatz gezogen waren um Demokratie und Zusammengehörigkeit zu verteidigen. Dafür dankte er, das mache ihn stolz. Energisch schloss er: "die Gemeinschaft der Demokratie ist stärker, als der Egoismus des Hasses!". zeigte er sich überzeugt. "Alle zusammen, gegen den Faschismus" wurde als Sprechchor dem OB geantwortet.
Dekan Folkhard Krall war angefasst von den Schwierigkeiten, in der auch die evangelische Kirche gerade steckt, er verzichtete auf Ratschläge, bekannte stattdessen: "Heute ist ein Zeichen der Ermutigung, dass Demokratie gelingt, wenn wir zusammenstehen".
Fesselnd, wie die drei Schülerinnen der Obrigheimer Geschichte-AG anschließend ihre auf Bundesebene preisgekrönte Erinnerungsarbeit vorstellten. Mit Erich Kästners Lehre, dass man antidemokratische Schneebälle zertreten müsse, damit sie nicht zur faschistischen Lawine werden, umrahmten sie ihren Vortrag über ihre Forschung und Ausstellung zu Vinzenz Rose, der einst im KZ Neckarelz eingekerkert war. Der frenetische, langanhaltende Applaus tat den geschichtsbewussten jungen Frauen, die einige lokale ignorante Diffamierung ihrer Arbeit zu erleiden hatten, sichtbar gut. "Unsere Demokratie ist es wert, sie zu schützen" endeten sie. Bei diesen Rednerinnen ist sie unzweifelhaft in besten Händen, der anwesende Obrigheimer Bürgermeister Walter kann stolz sein.
Was "Migrationsgewinn" bedeutet zeigte dann Ahmed Al-Sadooni. Er kam 2015 nach Deutschland, "über das Meer". "Große Nase, dunkle Haut, etwas mehr Haare als jetzt. Ich kam voller Hoffnung auf eine neue Heimat. Und die habe ich gefunden – in Deutschland." "Erst die Sprache gelernt, und dann meinen Beruf gefunden" schilderte er seine Integrationsschritte. Al-Sadooni arbeitet seit 7Jahren als Pfleger im Pfalzgrafenstift, "mit Menschen, die die große Katastrophe noch erlebt haben. Von ihnen habe ich viele wichtige Lektionen gelernt." Eine davon sei, dass es niemanden gebe, der nicht in diese Gesellschaft passe, "alle passen da hinein. Diese Ideen dürfen nicht Fuß fassen", rief Al-Sadooni. Selbst inzwischen Deutscher Staatsbürger schloss er "Gott segne Mosbach, Gott segne Deutschland!"
Letzte Rednerin war Dorothee Roos, deren Jahrzehnte lange Erinnerungsarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Neckarelz zu dem sichtbaren Geschichtsbewusstsein im Kreis beiträgt. Roos arbeitete das Geheimtreffen von Geldgebern, AfD-Funktionären und Mitgliedern der WerteUnion auf. "Seitdem dieses Treffen aufgedeckt wurde, hat sich das Land verändert, die Menschen sind elektrisiert, beunruhigt" - obwohl der Architekt des Vertreibungs - Masterplans, ein Österreicher, schon ein Buch darüber geschrieben habe und zahlreiche AFDler erklärten es sei kein Geheimplan, sondern ein Versprechen. Die Wannsee - konferenz habe erst neun Jahre nach der Machtergreifung stattgefunden, dieses Vorhaben, dieser Masterplan, sei eine Verschwörung, gegen Freiheit und Grundgesetz. "Die wirklichen Verschwörer, das sind sie. Das kann jetzt belegt werden." Ihre Schluss-Botschaft ist deutlich: Bunt solle die Gesellschaft sein, vielfältig – "braun darf nicht dabei sein, auch wenn es sich als blau mit rotem Pfeil tarnt".
Den Schlusspunkt setzten die Buchener Künstler Stefan Müller - Ruppert und Horst Berger, die mit Konstantin Wecker's "Sag NEIN" ein leidenschaftliches musikalisches Statement setzten.

Das Angebot an kostenlosen Warmgetränken, das durch Spenden ermöglicht wurde, wurde nach Ende der Kundgebung gerne angenommen.
Und dabei gaben ganz unterschiedliche Teilnehmer ihre Eindrücke und Beweggründe kund. Erkan Satilmis, vor 45 Jahren in Mosbach geboren und mit seinem dreijährigen Sohn aus Adelsheim angereist, zieht Hoffnung aus dem Abend:
"Das letzte mal, wo ich so viele Menschen auf dem Marktplatz erlebt habe, war vor etwa 30 Jahren, als die Häuser der Türken gebrannt haben. Da war es zu spät. Darum habe ich mich besonders gefreut, dass die Leute doch noch nicht so ignorant sind" blickte er auch auf die rechtsradikalen Brandstiftungen in den 90ern zurück. Und Konstantin Hemberger, 15 jähriger Schüler aus Balsbach, war mit Fusballkumpeln aus Wagenschwend gekommen: "Das war meine erste Demo.
Ich hab teilgenommen, weil ich es wichtig finde was gegen die Rechten zu unternehmen. Ich hab von der Demo über Instagram und von der Schule erfahren. Ich war überrascht, dass so viele Leute auf der Demo waren." Seinem Bruder Lukas war wichtig zu betonen: "Ich will damit ein Zeichen setzten, dass die zunehmenden Stimmen der Faschisten nicht die Mehrheit in diesem Land bilden. Und da ich mich als Teil der gesellschaftlichen und politischen Mitte sehe, auch meine Stimme erheben. Demos dienen oft dazu, zu polarisieren. Das war im Gegensatz dazu eine Demo, bei der es darum ging zu zeigen, dass alle Teile der politischen Landschaft von Linke bis CDU sich gegen Faschismus stellen und somit genau dem Gegenteil von Polarisierung".

Autor:

Horst Berger aus Buchen

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