kostümierte Sonderlinge, mörderische Terroristen
"Reichsbürger": Buchdokumentation zur Boxberger Schiesserei

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Mosbach. bd . Das war eine ungewöhnliche Buchvorstellung, die vergangene Woche in der KZ - Gedenkstätte Neckarelz stattfand. Vorab musste man sich bei der Dokumentationsstelle Rechtsextremismus des Landesarchivs Baden-Württemberg anmelden, dann sich am Eingang ausweisen und das Fotografier - Verbot akzeptieren. Während andere Autoren von Neuerscheinungen in Kameras lächeln, versucht Timo Büchner sein inkognito zu wahren. Bislang mit Erfolg, denn wenn man den Autor googelt, sind keine Bilder der Person zu finden. Dort suchen ihn nicht nur Leser, sondern auch Akteure aus dem rechtsextremen und rechtsterroristischen Bereich, zu denen er recherchiert und veröffentlicht.

Sein neuestes Buch - “»Reichsbürger« im Südwesten. Die Akte Ingo K. aus Bobstadt” - ist am 15. November erschienen. Genau ein Jahr, nachdem das Oberlandesgericht Stuttgart den Reichsbürger Ingo K. wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt hat. In seinem Buch schildert Büchner den Werdegang und die Radikalisierung des ehemaligen Kampfsporttrainers und Personenschützers, der für sein persönliches Scheitern in drei Ehen, verschiedenen Vorstrafen, insolventen Firmen und 250.000 € Schulden den Staat, die Eliten, auch “die Juden” , verantwortlich machte. Alle 33 Verhandlungstage hat Büchner besucht und die Aussagen und Beweiswürdigungen detailliert dokumentiert.

Die Tat ereignete sich am frühen Morgen des 20. April 2022, an dem die Polizei eine Waffe des “Reichsbürgers” Ingo K. im Boxberger Ortsteil Bobstadt einziehen wollte. Die Waffenbesitzerlaubnis war durch das Landratsamt im Juni 2021 aufgrund vorausgehender Verurteilungen widerrufen worden, da dadurch die “waffenrechtliche Zuverlässigkeit” des Besitzers der Glock-Pistole entfallen war. Für K. eine Enteignung; den mehrfachen Aufforderungen, die Waffe im Landratsamt Tauberbischofsheim abzugeben, leistete er über 10 Monate hinweg keine Folge. Nachdem Reichsbürger lange Zeit als kostümierte Sonderlinge galten und von den Behörden kaum ernst genommen wurden änderte sich dies, als im Jahr 2016 im fränkischen Georgensgmünd ein Reichsbürger bei seiner versuchten Entwaffnung einen Polizisten erschoss und drei Beamte schwer verletzte. In Bobstadt, wohin K. im Herbst 2021 in die Einliegerwohnung von Gleichgesinnten eingezogen war, rief daher die örtliche Polizei das Sondereinsatzkommando zur Hilfe.

Als das SEK versuchte, den Rollladen der Terrassentür K’s zu öffnen, wurden die Beamten aus dem Inneren der Wohnung mehrfach mit einem Sturmgewehr beschossen. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer davon gesprochen, K. habe „Jagd auf Polizeibeamte“ gemacht und bewusst und zielgerichtet geschossen. Ein Polizist wurde in beide Beine getroffen, ein anderer konnte die Projektile mit einem gepanzerten Schutzschild ablenken. Das Oberlandesgericht Stuttgart kam zur Überzeugung: der “Reichsbürger” hat geschossen, um mehrere SEK-Beamte zu töten.

Bislang ist das Urteil nicht rechtskräftig, da sowohl die Bundesanwaltschaft wie auch die Verteidigung Revision eingelegt haben.

Doch nicht nur die gesuchte Waffe brachte der Einsatz - nachdem K. und sein Hausgenosse Max A. nach gut zwei Stunden kapituliert hatten - zu Tage, ein zig Tausende Euro teures Waffenarsenal und über 5.000 Schuss Munition hatte K. über Jahre auf dem Schwarzmarkt angeschafft. Und seine gleichgesinnten Quartiergeber verfügten ebenfalls über eine illegale Waffensammlung. Neben Waffen waren auch nationalsozialistische Devotionalien und eine Reichskriegsflagge gefunden worden. Die 300 Gramm Marihuana im Gebäude trugen wohl nicht hinreichend zur Entspannung bei, nach Aussagen seiner Nachbarn war K. überzeugt, dass Deutschland weiter von einem verborgenen Gremium der Alliierten Siegermächte bestimmt werde. Auch warnte K. bei jeder Gelegenheit vor Chemtrails aus Flugzeugen, mit denen die Eliten die Menschheit dezimieren wollen; vor dem Essen bei McDonald's, wo Kinderfleisch verwendet werde; vor Corona-Schutzmasken, aus denen Würmer in die Atemwege gelangten. Oder K. kündigte an, er wolle sich mit Gleichgesinnten auf die Suche nach geheimen Bunkern in Sachsen machen, in denen die Regierung tausende arabischer Flüchtlinge heimlich untergebracht habe, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die einheimische Bevölkerung “losgelassen werden sollten”.

Schon 2016 hatte K. sich einen “Reichsbürger-Ausweis “ bestellt, in den Folgejahren an rechtsradikalen Protesten gegen Flüchtlinge teilgenommen, während der Corona-Pandemie auch mehrfach in Bad Mergentheim an kurioserweise als “Mahnwache für das Grundgesetz” bezeichneten Querdenker -Veranstaltungen. Was Büchner hervorhob, war, dass etwa ein Dutzend Zeugen die Aneinanderreihung kruder Thesen schilderte, ihm jedoch nur eine einzige Nachbarin K. vehement widersprach.

Nachdenklich machte auch die von Büchner geschilderte breite Vernetzung von militanten Reichsbürgern im Südwesten, wo in Baden-Württemberg mit etwa 4000 Akteuren eine Hochburg der Verneiner der Bundesrepublik zu sein scheint. 10% von ihnen gelten als gewaltbereit. So wurde im März 2023 bei einer Razzia in Reutlingen im Zusammenhang mit der Verschwörergruppe “patriotische Union” um Prinz Reuß ein Polizist angeschossen, im September diesen Jahres wurde in Jettingen eine Waffenkammer ausgehoben.

In der Diskussion nahm die Frage, wie man mit Menschen umgeht, die auf dem Weg in eine Radikalisierung zu sein scheinen, einigen Raum ein. Denn wenn sie nur noch unter Gleichgesinnten kommunizierten, dann gingen sie endgültig verloren, wie das bei K. ab den Corona -Jahren und spätestens nach seinem Einzug in Boxberg der Fall war.

Autor:

Horst Berger aus Buchen

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