innerer Schweinehund u. Morgenritual
„Schatz, gehen wir heute ins Gym?“

Es (bzw. ER) beginnt wie fast jeden Tag, mal eher, mal später und manchmal erfreulicherweise auch gar nicht, mit der Frage. „Schatz, gehen wir heute ins Gym?“
Diesen Begriff habe ich als Wertheimerin mittlerweile auch im aktiven Sprachgebrauch, nicht weil er Holländer ist oder weil seit 30 Jahren englisch seine erste Sprache ist, sondern, weil es sich für mich persönlich irgendwie herzlicher, freundlicher, fast liebevoller anhört und ausspricht, als Sportstudio oder Fitnessstudio. Und im Hintergrund meines phantasievollen Geistes höre ich schon die schweren Eisengewichte des Rückenstreckers ins Schloss krachen. So laut und markdurchdringend, wie Kreide an der Schultafel.

Ja, so fängt es an! Jeden Morgen, es sei denn, wir haben am Vorabend schon fest ausgemacht, dass wir gehen. Die Frage steht nun wie ein schweres Brett im Raum und dieses macht keine Anstalten, so mal einfach vor der Bildfläche zu verschwinden. Eigentlich wollen wir ja.
Es schießen mir gleichzeitig mehrere Zeitfragmente ins Hirn. Die riesengroße Glasbonboniere, die liebevoll und natürlich knallvoll mit den kleinen Napolitains befüllt, schon rein vorsorglich, gestern Abend ganz weit weg ins letzte Eck des Wohnzimmers geräumt worden sind. Damit sie ja nicht - so ohne weiteres - (also diese winzigen Schokotäfelchen, die wir immer aus der Schweiz mitnehmen, die mit einem Happs im Mund verschwinden können, und eben, weil sie so klein sind, auch fast gar keine Kalorien haben können!) erreichbar sind!
Dann wartet natürlich auch heute Abend ein nimmersatter Holländer darauf, wieder schön bekocht zu werden, der Großeinkauf im Kühlschrank von gestern will auch gesehen, bewegt, hervorgeholt, geputzt, geschnippelt und letztendlich verspeist werden. Dann ist da auch die Gefriertruhe mit allerlei Köstlichkeiten, die schon fast aus den Angeln bricht und treu ist seit Jahrzehnten. Sie hätte längst mal wieder durchforstet werden müssen und in Gedanken an manche Datumsschilder treibt es mir die Schamesröte ins Gesicht. Vielleicht ist diese Einfriererei; und die alte Lady hält ihre Schätze fest, wie ein Krake seine Beute unter Wasser, nicht sehr energieeffizient, aber sie läuft tadellos.

Und wie sieht es mit unserer Energie aus?
Da ist sie schon, die Energie, die Power und Kraft! Und sie will ja auch gefördert und gefordert werden, aber heute? Wie ist eigentlich das Wetter, gibt es schon Schnee, hat es nicht gerade eben geschneit und vielleicht gibt es schon Glatteis, oder laufen da nicht gerade Krokodile über die Straße, das ist alles gefährlich! Es fallen mir ganz viele Gründe ein, warum wir besser daheim bleiben sollten.
Aber dann denke ich, er hat so viel Freude am Gym, er ist halt Sportler, war Extremsportler, hat 23 x den Ironman mitgelaufen (kein Witz). Allein der Gedanke an eine einzige solche Strapaze, lässt mir das Blut in den Kopf hineinrauschen (wie ein D-Zug, der ungebremst durch eine Haltestelle läuft) und mir tun in Gedanken daran allein schon die Füße und sämtliche knöcherne Teile von meinem body weh.

Aber gut, er hat Spaß am trainieren, das Gym ist toll, vor allem, wenn SEIN Schatz mit von der Partie ist.

Das gesellige Kaffeeeckchen im gym.
Wenn es mal ganz schlimm ist und die Motivation so klein ist, dass sie eigentlich gar nicht nennenswerter weise als solche bezeichnet werden dürfte, dann denke ich an den tollen, großen, mich stetig anlächelnden Kaffeevollautomaten, der im Gym an der Theke steht und mit duftend köstlichem Kaffee und mehreren Spezialitäten auf mich wartet. (Der Baron kann währenddessen doch ruhig schon mal anfangen.) Wie ein alter Freund thront der Automat zischend in seinem Eckchen. Und, so hat es neulich im Frühstückscafé die freundliche Bedienung bezeichnet, „HEISSGETRÄNKE“ bereithält.
Eben ein alter klackernder Freund, der mich völlig relaxed begrüßt und gurgelnd sagt: „Komm, ruh´ dich erst mal aus und komm erst mal an, bevor du dich in die Geräte oder auf eines der drei Laufbänder schwingst“, welche fast schon bedrohlich dastehen und mich anstarren, als ob sie sagen wollten: „Na, heute mal wieder erst eine kleine Erfrischung, wo Du noch keinen Schlag getan hast?“
Als Beruhigung fallen mir dann die Kollegen im Gym ein, die - je nachdem zu welcher Uhrzeit wir aufkreuzen – aber doch auffallend oft, in gemütlicher Kaffeerunde zusammensitzen, mit dem Handtuch um den Hals, mit einem frisch aufgeschlagenen Energie-Eiweiß-Shake in der Hand und plaudern. Sie haben bestimmt vorher etwas getan, viel trainiert, viel die Treppe hoch und runter, um wirklich alle Geräte auszukosten, um jede einzelne Muskelgruppe ganz gezielt anzusprechen. Ja, das haben sie bestimmt getan. Bestimmt. Ganz fleißig und gewissenhaft!
So, wie ich es auch tun müsste. Ja, das sind Gesinnungsgenossen.

Und der Baron guckt mich immer noch fragend an, mit offenem zweifelnden unschlüssigen Blick, steht da mit seinem breiten Brustkorb und Schultern, die kaum durch den Türrahmen passen, und deswegen auch permanent den Kleiderbügel – welcher, die dort als Zwischenlösung geparkte und sorgfältig aufgehängte Lieblingsbluse der Baronin trägt, runterzureißen, und ich sage:
„Ja, Schatz, lass uns gehen“.
Ich brauche gar nicht hinzusehen, höre, dass wieder mal der Kleiderbügel aus Holz laut krachend auf den Granitboden knallt. Ein leichtes Klingeln auf dem rechten Ohr und ein rasseln der Autoschlüssel begleiten uns auf dem jetzt wohl anstehenden Canossagang. Das wird jetzt richtig spaßig!

Autor:

Stefanie Baronin von Sachsen aus Wertheim

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