Eine Geschichte zum dritten Advent
Oh Wein, oh nein, oh Tannenbaum!
Der dritte Advent
Es rumpelt mächtig im ehrwürdigen Anwesen
der von Sachsens.
Gerardus und Stefanie,
Baron und Baronin von Sachsen,
zwei Lebenskünstler mit Herz, Hirn und
einem Hang zu Rotwein,
sitzen leicht angedüdelt auf ihrem grünen Samtsofa.
Vor ihnen flimmert zum vierten Mal „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.
Stefanie hat die Füße auf dem Schoß des Barons,
Gerardus den Kopf auf der Sofalehne,
seine rechte Hand ruht auf einem Weinglas.
„Gerardus!“ schreckt sie plötzlich hoch.
„DU schnarchst!“
„Ich schnarche nicht, mein Engel, ich philosophiere laut“,
nuschelt er zurück.
Doch kaum, dass er dies gesagt hat,
springt der Baron auf wie eine betrunkene Tarantel,
rollt mit den Augen und schreit:
„Der Baum, Stefanie! Der Weihnachstbaum!
Wir haben keinen Baum!“
Stefanie, die nichts erschüttert,
trinkt ihren Glühwein aus und sagt:
„Ja, Gerardus. Der Baum.
Tradition in Holland, ich weiß.
Aber hör mal:
DU wirst ihn holen.
DU wirst ihn aufstellen.”
Der Dachboden
Der Baron schnappt sich seine alte Machete –
ein Erbstück aus dunkleren Zeiten –
und marschiert los,
Stefanie folgt ihm,
leicht genervt, aber auch neugierig,
denn wenn Gerardus etwas anfängt,
endet es selten glanzvoll.
„Schneid dich nicht, mein Terminator!“
Erstes Ziel: der Dachboden.
Eine Höhle der Verdammten,
voll mit Kisten, die niemand öffnen will.
„Ist das ’ne Leiche?“ fragt der Baron.
„Nein, das sind deine Winterklamotten,
die passen eh nicht mehr, Herr Baron XXL.“
„Hier oben gibt’s bestimmt ’nen Schatz“, ruft der Baron,
„Ich spür’s!“
Stefanie verdreht die Augen.
„Meinst du damit den staubigen Plastikbaum,
den du vor 15 Jahren versteckt hast,
weil du keinen Bock hattest, ihn aufzubauen?”
Nach einer halben Stunde Kampf mit Spinnen, Staub
und einem sehr aggressiv aussehenden Porzellanengel
finden sie – nichts.
Nur eine tote Maus und eine kaputte Weihnachtskugel.
Der Keller des Grauens
„Runter!“ ruft Stefanie.
„Im Keller ist das Ding!“
Gerardus murrt, aber folgt.
„Das ist ein Marathon in den Wahnsinn.“
Im Keller ist es kalt, dunkel
und, wie Stefanie es nennt, „organisiertes Chaos“.
Regale vollgestopft mit Weinflaschen,
leeren Kisten und einem seltsamen Haufen
von Dingen, die nur ein Baron brauchen könnte:
ein rostiges Schwert,
ein Zylinderhut mit einer Feder
und eine antike Kaffeemühle,
die niemals Kaffee gesehen hat.
Doch da, hinter einer Kiste mit der Aufschrift „Jahrgang 1982“,
finden sie ihn: den Baum.
Zusammengeklappt. Staubig.
So deprimierend wie ein Montagmorgen im Januar.
„Da ist er“, ruft Gerardus, triumphierend.
„Wir haben ihn!“
„DU hast ihn da versteckt, Gerardus“,
sagt Stefanie trocken.
Wein, Chaos und Niederlage
Zurück in der Küche brauchen sie erst einmal
eine „kleine Stärkung“.
Ein Flasche “Domina” wird entkorkt.
Ein Glas. Zwei Gläser. Drei.
„Domina!“ ruft Gerardus.
„Ein Wein wie du, Stefanie: stark, elegant,
und absolut in der Lage,
mich zu verzaubern und betören.“
Stefanie antwortet mit einem verführerischen Blinzeln.
Als die beiden schließlich leicht wankend
den Baum aufstellen,
beginnt das echte Drama.
„Die Lichterkette ist verheddert!“
„Die Kugeln rollen!“
Dekorationen fliegen durch den Raum,
glitzern, blinken, zerschellen.
„Ich bin ein Künstler! Ein Weihnachts-Michelangelo!”
„Perfekt“, lallt Gerardus,
„Fast wie echt!“
Der Stern muss drauf!
„Stefanie, gib mir den goldenen Stern!“
Der Baron klettert auf die Couch,
schwankt,
und versucht mit zittriger Hand,
den Stern auf die Spitze zu setzen.
Doch dann kracht das ganze Ding
wie ein Kartenhaus zusammen.
Plastiktanne, Kugeln, Engel,
alles liegt da wie die Reste einer Kneipenschlägerei.
„Verdammt“, murmelt er.
„Verdammt gut gemacht, Gerardus“, sagt sie trocken.
„Auf das Chaos, mein Lieber!“
Sie stoßen an.
Morgen,
ja, morgen wird der Baum stehen.
Ja, er wird wieder stehen.
Voller Herrlichkeit und Glorie.
Ja, ganz sicher, morgen…
Autor:Gerardus Wilhelmus Theodorus Cornielje Baron von Sachsen aus Wertheim |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.