Bildergalerie und Essay
„Kunst geht neue Wege - Die Berliner Secession“
Ausstellungs-Wechsel im Schlösschen – Besondere Ästhetik bei veränderten Sehgewohnheiten
Wertheim. Es ist kurz nach 14 Uhr am vergangenen Samstag. Der erste Schnee in der Region ist längst schon wieder passé und geschmolzen. Kühl und mit etwas Nieselregen stellt sich das Maintal bei Eichel vor.
Herbstlich leuchten im Hofgarten die langsam sich leerenden Laubbäume. Blätter schweben fast wie in Zeitlupe durch die nasskalte Luft auf den Garten-Boden.
Ein Dutzend Park-Besucher zieht es zum nahen Café und vor allem zur neuen Ausstellung ins Schlösschen. Ein riesiges, Meter langes Plakat vor dem 1777 errichteten Rokoko-Kleinod verrät den Titel der umfangreichen Präsentation, die bis zum 1. Juni 2025 währen wird: „Kunst geht neue Wege - Die Berliner Secession“.
Zwei nette Damen freuen sich im Eingangsbereich auf die ersten Gäste: Gertrud Grein, die besonders vom wunderschön dekorierten Orangerie-Festsaal nebenan schwärmt und die Interieur- sowie Alltagsszenen der Berliner Secession lobt und Ruth Roth, eine bekannte Künstlerin aus Wertheim, die das kompositionsreiche Bild einer deutschen Seelandschaft ( „Drei Frauen am Wasser“ von Eugen Spiro) in ihr Herz geschlossen hat.
Treppauf geht es zu den Kunstwerken auf zwei Etagen. Stühle und sogar ein Leder-Sofa laden zum längeren Innehalten, konzentrierten Verweilen und zum gemütlichen Ausruhen ein.
Der Blick der Besucherinnen und Besucher schweift dabei zu sonderbar anmutenden, außergewöhnlichen Motiven der Berliner Secession, aber auch über geräumige Fenster-Fluchten nach draußen in den idyllischen November-Park.
Eine Litfaßsäule sowie weitere Handreichungen vor den Bildern informieren plakativ über den vor 120 Jahren eingesetzten Protest gegen den erstarrten Kunstbetrieb.
Bekannte und unbekannte Künstlerinnen und Künstler stellen sich mit ihren Werken dem Betrachter vor.
Im Mittelpunkt der Stiftungssammlung Schlösschen im Hofgarten, gestiftet vom Wertheimer Kunstsammler Wolfgang Schuller, stehen Gemälde, Aquarelle und Pastelle der Berliner Secession. Es sind Kunstwerke aus und um Berlin um 1900 mit ihren vielfältigen Strömungen wie Jugendstil, Freilichtmalerei, Realismus und Impressionismus.
Der Begriff „Secession“ meint „Abspaltung“ und verrät auch schon das Leitmotiv sowie die Beweggründe der Berliner Künstlergruppe, die Vorbilder im österreichischen Wien und im oberbayerischen Raum um München Ende des 19. Jahrhunderts hatten.
Es war eine Abwendung einer Künstlergruppe von einer nicht mehr zeitgemäß empfundenen Kunstrichtung.
Tatsächlich ging es bei den deutschen Secessionen um einen eigenen Zugriff auf staatliche Förderungen und um die Loslösung von zwei Institutionen, die den Kunstmarkt beherrschten: vom Wirtschaftsverband der Künstler und von der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft mit ihren Juroren.
Die deutsche Sezessionsbewegung war Teil umfassender Bewegungen zur Lebensreform und gab bedeutsame Impulse zur Gründung des „Neuen- Weimar-Stils“ und für die Kunst des Expressionismus.
Die erste Ausstellung der Berliner Secession im Mai 1898 war ein rauschender Erfolg: Landschaften, Porträts und Alltagsdarstellungen, luftig gehängt in einem eigens dafür errichteten Haus zog das Publikum magnetisch an.
Ein Viertel der der rund 350 Skulpturen, Gemälde und Grafiken wurden direkt verkauft. Der Präsident der Berliner Secessionisten, Max Liebermann, betonte in seiner Eröffnungsrede:
„ Für uns gibt es keine allein selig machende Richtung in der Kunst, sondern als Kunstwerk erscheint uns jedes Werk – welcher Richtung es auch angehören mag – in dem sich eine aufrichtige Empfindung verkörpert.“
Mehr als 60 Künstler, darunter Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt gründeten 1898 als Antwort auf den starren Kunstbetrieb die „Berliner Secession“ und brachten damit die internationale Kunstwelt in die deutsche Reichshauptstadt. Sie stemmten sich gegen die Tradition und auch gegen den Kaiser und seine restriktive Ausstellungskultur im deutschen Kaiserreich.
Die Secessionisten brachten die Avantgarde nach Berlin. Damit etablierten sie neue Kunstströmungen und sorgten für eine Internationalisierung der Kunstwelt: Symbolisten, Jugendstil-Künstler und Impressionisten aus verschiedenen Ländern stellten bei ihnen aus.
Berlin wurde zur Kulturhauptstadt des deutschen Kaiserreiches, was vorher nicht unbedingt so gegeben war. München hatte zuvor die Nase vorn.
Die Berliner Secessionisten gingen als Erneuerer der Malerei in die Geschichte ein. Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt wurden als Berliner Impressionisten berühmt. Doch schon vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Jahr 1910 gehörte das Trio und seine Kunstrichtung zu den Alten und Bewahrern. Expressionistische Künstler forderten Veränderungen, spalteten sich ab und gründeten die „Neue Secession“.
In Wertheim selbst sind aktuell unter anderem 60 Werke von 47 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen von Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Fritz von Uhde, Hans Baluschek, Eugen Spiro, Walter Leistiko, Lesser Ury, Heinrich Zille, Maria Slavona und Sabine Lepsius.
In der gegenwärtigen Präsentation werde besonders deutlich - so die Wertheimer Malerin und Lyrikerin Ruth Roth - wie viel Leidenschaft die Künstlerinnen und Künstler dem damals aktuellen Impressionismus mit seinem unverkennbaren Licht- und Farbenspiel entgegenbrachten, wie sie diesen mit den Kunstrichtungen Realismus, Jugendstil, Symbolismus und expressionistischen Tendenzen individuell kombinierten und ihren jeweils eigenen Stil entwickelten.
Die Stiftungssammlungs-Schau „Kunst geht neue Wege“ ist zu den Winteröffnungszeiten (23.11. – 23.02.) freitags und samstags von 14 bis 17 Uhr und sonn- und feiertags von 12 bis 18 Uhr geöffnet.
Roland Schönmüller
Weitere Bilder und Infos folgen!
Autor:Roland Schönmüller aus Miltenberg |
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